laut.de-Kritik
Schräger Humor trifft auf Noise.
Review von Philipp KauseWer offen für Schräges ist, sollte auf der Big Beat Street die Ohren spitzen. Die Avantgarde-Gruppe Pere Ubu tritt trotz Auflösung noch einmal an. Besonderes Ohrenmerk darf dabei dem "Worried Man Blues" gelten. Das Mini-Hörspiel in mehreren Akten, bestehend aus Sprache, Musik und Raumklang-Installation ist perfekt absurdes Theater auf CD: Erst stellt es die surreale Erfahrung des Bestellens an einem 'McDrive' mit schlechten Headset- und Schnarr-Lautsprecher-Soundqualität nach. Dann wandern die Assoziationen vom frittierten Hühnchen-Burger zu einer Jukebox-Kneipe am Mississippi sowie einer übersinnlichen Begegnung mit den verstorbenen Blues-Größen Howlin' Wolf, Muddy Waters, Robert Johnson und Musikethnologe Alan Lomax. Sänger David Thomas trifft hier gar ein bisschen das raue Timbre von Marla Glen.
Für Ohren, die Pere Ubu nicht kennen: Man spricht sie Pärr Übüh aus, und mit diesem Klang fängt eine Kaskade kauziger Besonderheiten an. Subtile Spuren von Afrofunk-Feeling frei nach Fela Kuti treffen auf theatrale Antifolk-Punk-Vocals mit Freude am Zerren genölter Töne.
Nicht immer sind die Dissonanzen in den mehrschichtig anwachsenden Vocals von "Moss Covered Boondoggle" aufs Gefallen aus. Eher reizen und loten sie aus, wie viel schräg sich noch schön anfühlt. Enthält der Art-Rock punktuell mal weniger "Trouble", als der Albumtitel betont, sondern zielstrebige New Wave-Orgel-Loops und Gitarren-Psychedelic wie in "Crocodile Smile", dann wirkt die Platte wie das Erbe der Talking Heads für Fortgeschrittene.
Einfach ist das Album wahrlich nicht gestrickt, Brüche in Liedern sollte man tolerieren können. Obwohl der Frontmann fortdauernd quäkt, singt, jault, spricht, wiehert und mit Wolfsgeheul klagt, dar man keine Geschichten erwarten, schon eher Sound-Studien. Oder er gurrt wie eine Mischung aus Taube und Voodoo-Medizinmann in "Nyah Nyah Nyah". Es gibt viele übertriebene Geräusche. Mal wirken sie wie analoge Funk-Signale (in "Movie In My Head"). Dann inszenieren sie den Sound von Stör-Rückkopplungen und abbremsenden Dampf-Loks ("Let's Pretend"). Oder sie kommen fiependen Möwenschwärmen gleich (in der Mitte von "Crazy Horses"), erinnern an Feuerwerke ("Crocodile Smile") oder hören sich so an, wie man sich den Krieg der Laser-Schwerter vorstellt ("Uh Oh").
"Trouble On Big Beat Street" erweist sich als Wundertüte bewusst auf den Keks gehender Dadaismus-Momente. Im letzten Track etwa lassen die Amerikaner alles außen vor, was Songs zu Songs macht. Sänger David Thomas hält mit einem lallenden Auf und Ab in der Stimme eine Mantra-Predigt. Ein Rhythmus reicht nicht, es braucht mehrere. Um erkennbare Bestandteile wie Strophen oder Refrains drückt sich das Ensemble auf sympathisch anarchische Weise. Chaotisch diffus finden die Post-Punker, die schon während der Punk-Welle post waren, Platz für Gitarrenriffs der Marke Tom Verlaine. Während die Saiten nach Herzenslust krachen, verquirlen sich Synth-Sound-Effekte zufällig mit Free Jazz.
Wenn in dem Gewusel der Text nicht mehr zu verstehen ist, macht das nichts. Denn alles ist so konzipiert, dass man beim Hören gar nicht dazu kommt, sich auf ein Detail zu konzentrieren, es passiert zu viel durcheinander. In "Uh Oh" zum Beispiel setzt glitschiges Metronom-Ticken ein und macht völlig kirre. Eine Kunst-Erfahrung, die sich lohnt "'Trouble On Big Beat Street' markiert das Ende des Songs", claimt der Promo-Text korrekt.
Das wünschte man sich glatt öfter für die Alternative-Musik: weniger Beat- und mehr Trouble-fixiert, so, wie Pere Ubu es hier vormachen. Diese Band kann man als Fortführung von Captain Beefheart, amerikanisches Gegenstück zu Wire, und noch vieles andere lesen. Überraschend dabei ist, dass es sie doch wieder gibt. Bei Pere Ubu liegen vier Jahre zwischen "Trouble On Big Beat Street" und dem eigentlichen Abschiedsalbum 2019.
Dabei positionierte sich das wechselnd besetzte Projekt in all den Jahrzehnten stets an den Rändern ganz verschiedener Genres. Wer also jetzt diese eine Scheibe in die Hand bekommt, erhält ein paar Puzzle-Teile aus einem insgesamt noch viel bunteren Sound-Dschungel. "Trouble On Big Beat Street" reiht sich hier als eines der mutigsten, besten und konsequentesten Alben in die spannende Band-Diskographie ein.
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