laut.de-Kritik

Nur er darf 20 Jahre lang über ein und dasselbe Thema rappen.

Review von

"Paint the pictures and smash them with lyrics": Mit dieser simplen, aber einprägsamen Metapher hat Rapper Pusha T einst sein Handwerk beschrieben. Zeichnen ließ er sich jene Bilder, die er mit seinen Zeilen zerschmettert, in der Vergangenheit bevorzugt von zwei Granden des Genres: Pharrell Williams und Kanye West. Nachdem Kanye die Verantwortung für den Sound des Vorgängers "Daytona" übernommen hatte, wartet Pusha T nun erstmals mit einem komplett von Pharrell und Ye produzierten Album auf.

So lautete zumindest die Ankündigung. Gleich die erste Single straft den in New York geborenen Rapper allerdings Lügen, denn "Diet Coke" stammt weder aus Kanyes noch aus Pharrells Feder. Den Beat hat Pusha T in der Mottenkiste von 88 Keys ausgegraben, der dessen Grundgerüst schon vor sage und schreibe 18 Jahren gebaut hatte. Sein Haltbarkeitsdatum hat "Diet Coke" aber trotzdem noch lange nicht überschritten. Auch 2022 funktionieren Old School-Kopfnicker-Beats, wenn ein Rapper wie Pusha T sie in die Hände bekommt.

Es muss Gründe dafür geben, dass es Pusha T verziehen wird, dass er im Prinzip seit Beginn seiner Karriere über ein und dasselbe Thema rappt: Kokain. Genauer gesagt den Verkauf von Kokain. Dass sich daran auch mit seinem vierten Soloalbum nichts ändern würde, macht "Diet Coke" als erste Single unmissverständlich deutlich. Doch was sind diese Gründe? Muss das nicht irgendwann langweilig werden?

Zum einen sind es Pusha Ts Fähigkeiten am Mic, die gepaart mit seinem Charisma dafür sorgen, dass die Rapwelt jedes Mal aufs Neue wie gebannt an seinen Lippen hängt und es nicht erwarten kann, die drogendurchseuchten Wortspiele, Anspielungen und Metaphern zu dekodieren. Für Terrence Thornton ist Hip Hop eine Kunstform. Seine perfektionistische Leidenschaft für das Genre war schon jedem seiner drei Soloalben "My Name Is My Name", "King Push" und "Daytona" anzuhören. Zum anderen ist es sein Mentor/Kollege/Freund Kanye West, der sich damals in "Hell Hath No Fury" von Pusha T und seinem Bruder Malice verliebt hatte und Thorntons Solokarriere seit der vorläufigen Auflösung des Duos (Clipse) eng begleitet.

Nachdem Kanye die Geschwister bereits auf "Jesus Is King" wieder vereint hatte, konnte Pusha T seinen älteren Bruder auch für einen Gastpart auf "It's Almost Dry" gewinnen. Eine fröhliche Reunion-Feierstimmung will aber über das gesamte Album nicht aufkommen. Das liegt einerseits an Pusha T's Faible für die dunklen Akkorde und ist teilweise gewollt. Andererseits liegt es aber daran, dass die vermeintliche Kollaboration der beiden Veteranen Kanye und Pharrell eigentlich gar keine ist. Sechs Beats hat Pharrell, sechs (zumindest teilweise) Kanye beigesteuert. Nur an "Rock N Roll (feat. Kanye West & Kid Cudi)" haben beide Produzenten gemeinsam geschraubt. Echte Zusammenarbeit sieht anders aus.

Allerdings hätte auch ohne intensive Zusammenarbeit derjenigen, die für das Soundbild verantwortlich sind, ein Album mit einleuchtenden, flüssigen Übergängen und rotem Faden entstehen können. Dafür braucht es nur eine Person, die das Ganze strukturiert - wie Kanye (es mal war). Einen Executive Producer gab es diesmal allerdings nicht. Die Auswahl und das Arrangement der Tracks muss Pusha T selbst in die Hand genommen haben. Leider ist es ihm nicht gelungen, die beiden Produktionsstile zu einem stimmigen Gesamtkunstwerk zu verschmelzen. Bei einer Länge von nur zwölf Stücken darf es eigentlich nicht so oft passieren, dass das vorherige Stück nicht zum darauffolgenden passt.

Das alles sollte aber auf keinen Fall darüber hinwegtäuschen, dass jeder einzelne Song auf "It's Almost Dry" für sich genommen äußerst hörenswert ist. "Dreamin Of The Past" zum Beispiel, unverkennbar ein Kanye-Beat, basiert auf einem ebenso simplen wie effektiven Sample von Donny Hathaways John Lennon-Cover "Jealous Guy". Kein Wunder, dass Pusha T Kanye um diesen Beat regelrecht anbetteln musste, da dieser ihn eigentlich für sich behalten wollte. Bei Pusha T befindet er allerdings in sehr guten Händen. In Anspielung auf die Grammys 2019, bei denen "Daytona" für viele überraschend Cardi Bs "Invasion of Privacy" unterlag, macht er deutlich, wen er an der Spitze des Rap-Games sieht: "You hollerin', 'Top five', I only see top me / Award shows the only way you bitches could rob me".

Inspiriert von Pushas Scharfzüngigkeit findet auch Kanye mit seinen Parts auf "Dreamin Of The Past" und "Rock N Roll" zu alter Form zurück, nachdem auf dem mehr oder weniger offiziell veröffentlichten "Donda 2" noch viel zu viele halbgare Mumble-Verses zu hören waren. Untermalt von einem Beyoncé-Sample steigert er sich von Zeile zu Zeile, wobei ihn thematisch noch immer seine familiäre Situation und die Beziehung mit Ex-Frau Kim Kardashian beschäftigt: "Finally tired of comin' and goin', make up your mind / I ain't come to pick up the kids to pick a fight".

Apropos "fight": Kid Cudi, der auf "Rock N Roll" sowohl die Hook als auch die Bridge beisteuert, war es wichtig, noch vor Veröffentlichung des Albums bekanntzugeben, dass er nur Pusha T zuliebe mitgewirkt habe und dass dies die letzte Kollaboration mit Kanye West sein werde, die die Fans jemals zu hören bekommen: "I'm not cool w that man. He's not my friend", ließ er via Twitter verlauten. Der Beef zwischen den beiden langjährigen Weggefährten hatte sich mal wieder hochgeschaukelt, nachdem Cudi Pete Davidson, Kim Kardashians neuem Partner, nicht die Freundschaft kündigen wollte. Ein wenig färbt dieser bittere Beigeschmack auch auf das Hörerlebnis ab, denn so ist "Rock N Roll" kein weiteres Kapitel in der Erfolgsgeschichte dieses magischen Duos, sondern vorläufig nur eine bittere Erinnerung einer Mimose und eines Sturkopfes an bessere Zeiten.

An bessere Zeiten erinnern auch Pharrells Beats, der früher gemeinsam mit Chad Hugo als The Neptunes für die Produktion von Clipse-Klassikern wie "Grindin" oder "Mr. Me Too" verantwortlich zeichnete. Seine Unantastbarkeit opferte das Produzenten-Duo zuketzt ausgeprägter Experimentierfreudigkeit - erinnert sich noch irgendjemand an das letzte NERD-Album, trotz Features von Kendrick Lamar und Andre 3000 und Rihanna? Die Qualität der von Pharrell produzierten Hälfte stellt daher eine positive Überraschung dar.

"Let The Smokers Shine The Coupes" ist ein Brett von einem Beat und springt den Hörer an wie ein kläffender Hund. Den "Nick & Wrist"-Beat samt Falsetto-Gesangseinlage von Pharrell konnte sich selbst Rap-Mogul Jay-Z nicht entgehen lassen. "Call My Bluff" und "Open Air" lassen keinen Zweifel an Pusha Ts Abneigung gegen harmonische Dur-Klänge: "I promise you, when we sit down and make music, he don't wanna hear no nice chords. He wants music that is dark in nature and provoking to the spirit - to connect to something carnal", beschreibt Pharrell die Zusammenarbeit im Interview.

Pusha T bleibt sich treu - und das ist gut so. Nach über 20 Jahren im Geschäft hat er niemandem mehr etwas zu beweisen. Thornton ist während der Arbeit an Album Vater eines Sohnes geworden, und die für ihn damit einhergehende Gelassenheit ist ihm anzumerken. Der Beef mit Drake? Nicht einmal mehr eine Randnotiz. Pusha T ist ein extrem kompetitiver Rapper, aber beirren lässt er sich durch die Konkurrenz nicht. Stattdessen holt er sich mit Lil Uzi Vert und Don Toliver zwei Vertreter der jüngeren Generation auf sein Album, lässt beide ihre Stärken ausspielen und zieht schließlich in seiner Strophe sein eigenes Ding durch.

"I Pray For You (feat. Labrinth & Malice)" mit epischer Kirchenorgel-Begleitung klingt wie ein Outro, das ein großes Meisterwerk beschließt. Doch dazu fehlt es an Struktur, an einleuchtenden Übergängen und an einem roten Faden. Obwohl jeder einzelne Vers des Hauptakteurs Pusha T sitzt, Kanye und Pharrell jeweils ganze Arbeit an den Reglern geleistet haben, ihre unterschiedlichen Produktionsstile für Abwechslung sorgen und auch jeder einzelne Gastpart überzeugt, funktioniert "It's Almost Dry" als zusammenhängendes Album nicht so recht. Noch nicht. Denn wer weiß, vielleicht liegt es auch daran, dass die Farben noch nicht getrocknet sind.

Trackliste

  1. 1. Brambleton
  2. 2. Let The Smokers Shine The Coupes
  3. 3. Dreamin Of The Past (feat. Kanye West)
  4. 4. Neck & Wrist (feat. Jay-Z & Pharrell Williams)
  5. 5. Just So You Remember
  6. 6. Diet Coke
  7. 7. Rock N Roll (feat. Kanye West & Kid Cudi)
  8. 8. Call My Bluff
  9. 9. Scrape It Off (feat. Lil Uzi Vert & Don Tolliver)
  10. 10. Hear Me Clearly (feat. Nigo)
  11. 11. Open Air
  12. 12. I Pray For You (feat. Labrinth & Malice)

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Pusha T

Wer ist denn bloß der schwarze Mann, der so viel Nebel machen kann? "I'ma tell you what I'm talkin 'bout": Terrence 'Pusha T' Thornton, geboren 1977 …

9 Kommentare mit 10 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    Gehört 5/5. Ganz großes Album. Pharrelln & Push gewohnt Killerkombi und Kanye auch weit über der Müllmusik seiner letzten Solo-Ergüsse. Vortrag und Text bleibt Rap-Elite, auch wenn er auf dem Track mit Jay durch diese komische Betonung ein wenig die Handbremse angezogen hat. Malice liefert am Ende auch amtlich. Endlich mal wieder Musik bei der man sich nicht für Rap schämen muss.

  • Vor 2 Jahren

    Let the Smokers Shine The Coupes und Dreamin Of The Past sind absolute Highlights und gehören locker zu den besten Pharrell/Ye Beats.

  • Vor 2 Jahren

    Der Konsum&Wegwerf Hip Hop der letzten Jahre hat meine Leidenschaft für das Genre schon stark reduziert. Schön, dass es Artists gibt die Rap noch wertschätzen. Pusha T istn guter, Neck & Wrist ist ein Übertrack.

  • Vor 2 Jahren

    Für mich AOTY bis jetzt. Hab auch keine Ahnung was daran Mixtape Charakter haben soll - das Ding hat ein ganz eigenes, zusammenhängendes und konsequent durchgezogenes Soundbild, klingt total wie aus einem Guss und thematisch hat es sowieso seinen roten Faden. Also absolut das Gegenteil von Mixtape-Charakter. 5/5!

    • Vor 2 Jahren

      Aus einem Guss ist vielleicht etwas übertrieben. Aber diese zusammenhanglose Track-Sammlung sehe ich hier auch überhaupt nicht. Dieses Soundbild als Mischung zwischen eher klassischen 2000er Beats, Trap und avantgardistischeren Produktionen zieht Push schon seit dem ersten Solo Tape durch, Ausnahme Daytona. Da er von den Songs meistens sehr auf sein Kernthema fokussiert ist und diese klassischen Rap-Funktions-Tracks für den Club, für das Auto, für die toten Homies, für die Ladies.. eher auslässt bietet das doch genug verbindendes.

  • Vor 2 Jahren

    Im Jahr 2022 eine Wohltat für mich, verglichen mit den Veröffentlichungen der letzten Jahre. Ich vergleiche es auch mit den Veröffentlichungen der letzten Jahre. Daher 5 von 5 Punkten. Wäre dieses Album jedoch vor 2010 entstanden, dann wäre es für mich nur Mittelmaß. Betrifft auch die neuen NAS Alben. Der letzte Klassiker im Hip Hop kam vor 10 Jahren raus. Das war für mich, good Kid, m.a.a.d. city. Alles danach, im Vergleich zu den 90ern und 2000ern, würde bei mir, die 3 Sterne oder Mics nicht überschreiten. Man kann sich alle Alben danach schön reden, doch leider ist das die traurige Wahrheit im Hop Hop. Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass irgendwann wieder mal ein Klassiker raus kommt. Das neue Future Album ist wieder mal ein Witz. Auch wenn in den nächsten Tagen bei einer Rezension dafür wieder mal 4 oder 5 Punkte vergeben werden. Aber es bleibt uns ja nichts anderes übrig, als nach heutigen Maßstäben zu urteilen. Bsp.: Denzel Curry 2022: 4/5, 2005: 2.5/5, 1995: 2/5

    • Vor 2 Jahren

      Findest du das Pusha Album klingt „alt“? Sehe ich überhaupt nicht so. Die Produktion ist sehr modern, auch viel auf üppigen 808er Basslines, jedoch rough interpretiert und nicht der glattpolierte, gängige Sound von heute. Mit 90er/00er/10er Sound hat das aber nix zu tun, das ist schon modern. Hat eben auch wenig überraschend, viel aus dem modernen Neptunes Sound, den sie seit 2017 fahren.

      Man kann ein 2022er Future Album dann auch schlecht an 90er/00er Maßstäben messen - Musik verändert sich, das ist auch gut so. (Sag ich dir als eingefleischter 2000er Rapfan, der aber durchaus auch aktuelle Sachen für sich als ziemlich gut befinden kann).

    • Vor 2 Jahren

      Late to the Party, aber ich würde da vehement widersprechen. Zugegeben: Die letzten 5 Jahre waren jetzt nicht grade Prime im Amirap (obwohl z. B. mit dem letzten Tyler Album auch da geiler Scheiss rauskam und dieses Jahr richtig stark ist mit Denzel, Vince Staples, Kendrick und Pusha), ABER die Nullerjahre waren doch die absolut schlimmste Zeit für Amirap. Ich müsste länger nachdenken, um zwischen 2004 und 2009 einen Classic aufzuzählen. Dagegen war der Zeitraum von 2010 bis 2015 mit neuen Leuten wie Wolfgang, Kendrick, Staples oder Run the Jewels doch die reinste Rennaisance.

    • Vor 2 Jahren

      Hä??? Jetzt mal ohne lange nachzudenken:
      Champion Sound
      Madvillaney
      The Documentary
      College Dropout
      The Black Album
      King
      Boy meets World
      Shapeshifters
      Triple P

      Kein Plan, ob das jetz der Klassiker-Aufkleber drauf muss, aber für die absolut schlimmste Zeit sind mir das zu viele gute Alben.

    • Vor 2 Jahren

      Ok, vielleicht liegt es auch ein wenig an mir, ich hab von diesen Alben tatsächlich nur die Hälfte gehört :D.

      Finde The Documentary und The Black Album auch gut, aber keine 5/5. Madvillaney würde ich so gerne mögen, aber es geht mir irgendwie nicht rein und Kanye ist einfach ein schlechter Rapper und hat zu diesem Zeitpunkt seine besseren Beats noch Jay-Z gegeben, der damit auch mehr anzufangen wusste.

      Madvillaney ausgenommen, setzen die Alben die ich von deinen Kandidaten kenne auch eher Entwicklungen fort, die schon davor begonnen hatten. Kanyes Sampling war schon auf Blueprint groß, neu und beeindruckend und The Documentary ist musikalisch ein 1999 T The Massacre Derivat. Ich will auch gar nicht sagen, dass da gar nichts passiert ist, aber im Vergleich zur Golden Era oder dem Beginn der Zehner wo wahninnig viele neue Trends etabliert wurden, war da eher Stillstand angesagt.

    • Vor 2 Jahren

      Ja ende nuller war schon schwierig. Nachdem eminem triple alben und 50s debüt alles abgefackelt haben war da schon ne kluft. Denke der star dieser zeit war wayne. Der hat da geglänzt wie kein anderer, aber sonst wenig alben aus dieser zeit die ich mir heute noch anmache. Asap, tyler und lamar waren mit die beste zeit für amirap, gefühlt.

    • Vor 2 Jahren

      Aesop Rock - None Shall Pass, UGK - Underground Kings, J Dilla - Donuts

    • Vor 2 Jahren

      Blu & Exile - Below the Heavens, Guilty Simpson - Ode to the Ghetto, Kid Cudi - Man on the Moon, + die oben genannten...

  • Vor 2 Jahren

    Geht so für mich, hörbar, aber nicht überragend…
    Brett ist der Track mit Uzi und Don Toliver ;)