laut.de-Kritik

Comeback mit wildem Genremix.

Review von

"Refused. Coming Soon." stand Anfang 2010 auf der offiziellen Bandhomepage von Refused. Ich drehte durch. Aber die Aufregung währte nur kurz. Denn ein paar Tage später war klar: "The Shape Of Punk To Come" wird neu aufgelegt und in einer Special-Edition herausgebracht. Wie äh, toll. Zwei Jahre später waren Refused dann aber wirklich zurück, spielten ein paar Shows – und verschwanden wieder. Man wurde skeptisch. Wird das noch was? Es wurde noch was, auch wenn Gitarrist Jon Brannström auf der Strecke blieb.

Jetzt, 17 Jahre nach ihrem Meilenstein, sind Refused wirklich richtig zurück. "Nothing has changed", brüllt Dennis Lyxén im Opener und macht damit klar, warum Refused zurück kommen mussten: Die Welt will gerettet werden. "Hat sich ja nix verändert", dachte sich wohl auch der ein oder andere enttäuschte Hörer, als "Elektra" vor ein paar Wochen veröffentlich wurde. Und tatsächlich erinnert der Song sehr stark an den Übertrack "New Noise". Und wieder war die Skepsis groß.

Aber "Freedom" ist kein "The Shape Of Punk To Come Vol. 2". Es ist eine konsequente Fortführung der Refuse'schen Ideen, die 17 Jahre lang in diversen anderen Bands und Projekten reifen und sich entwickeln konnten. Die neue Platte ist tatsächlich musikalisch radikaler und wilder als der alte Vorgänger. Der abgefahrene Stilmix, der bei "The Shape..." angedeutet wurde, wird jetzt so richtig umgesetzt. Refused spielen mit Hardcore, Funk, Pop, Elektro. Und wie vor 17 Jahren basteln sie diese Genre zusammen, als würden sie schon immer zusammengehören.

Nach dem relativ normalen Opener wird es das erste Mal ungewöhnlich. "Old Friends/New War" rumpelt, stampft und rasselt, die Akustikgitarre schrammelt und eine tiefe kratzige Stimme rappt. Zwischendrin klingen Refused wie 31 Knots. Einen härteren Cut hätte man auf dem Album nicht schaffen können. "Dawkins Christ" lullt den Hörer mit Frauenstimme ein, während im Hintergrund schon wieder diese "New Noise"-Gedächtnis-Gitarre lauert und alles niederreißt.

Bei "Francafrique" wird es zum ersten Mal poppig und tanzbar. "Just another word for genocide" brüllt Dennis Lyxén über Funkgitarre und Trompete. "War On The Palaces" rock'n'rollt sich mit Hilfe von Bläsern mitten rein in den Pop. "366" beginnt im Hardcore, schaut kurz bei den Foo Fighters vorbei und landet im melodischen Postcore. In "Servants Of Death" erinnern Refused an die Red Hot Chili Peppers.

"Useless Europeans" startet wie "Coup D'Etat" vom "Songs To Fan The Flames Of Discontent"-Album, bleibt aber ruhig und entwickelt sich zu einem der intensivsten Songs der Platte. Hier wird einer der großen Unterschiede zu "The Shape..." deutlich: Dennis Lyxén kann auf einmal singen. Dafür hatte er ja jetzt auch 17 Jahre Zeit. Die Melodien tun "Freedom" gut, auch wenn dadurch mehr poppige Klänge im Refused Party Program zu finden sind.

Wer Bock drauf hat, kann Refused deshalb natürlich Sellout vorwerfen. An einigen Songs hat Shellback mitgearbeitet, einer der Produzenten, die Hits für Pink, Britney Spears, Maroon 5 oder Taylor Swift, verantwortet hat. Das riecht schon enorm nach dem bösen Kapitalismus, den Refused mit Songs wie "Useless Europeans" bekämpfen wollen.

Gingen sie nicht mal zugrunde, weil keiner mehr die Botschaft hinter ihren Songs wahrnahm? Dass sich das mit "Freedom" ändern wird, darf bezweifelt werden. Immerhin werden sie jetzt die Aufmerksamkeit erleben, die sie schon vor 17 Jahren verdient hätten.

Letztendlich bleibt auch bei "Freedom" die großartige Musik hängen, dieser ungewöhnliche und wilde Stilmix, den vermutlich nur Refused so spielend einfach hinkriegen. "Freedom" klingt nicht verkopft, nicht gezwungen, sondern so leicht und frei, wie ein Debüt. Der Druck und die hohen Erwartungen, die mit diesem Album unweigerlich verbunden sind, werden achselzuckend weggerockt. Refused haben es tatsächlich geschafft, den Kopf frei zu kriegen. "Freedom" beseitigt innerhalb von 40 Minuten jegliche Skepsis oder Zweifel, die im Vorfeld angebracht waren. Refused are fucking back.

Trackliste

  1. 1. Elektra
  2. 2. Old Friends/New War
  3. 3. Dawkins Christ
  4. 4. Francafrique
  5. 5. Thought Is Blood
  6. 6. War On The Palaces
  7. 7. Destroy The Man
  8. 8. 366
  9. 9. Servants Of Death
  10. 10. Useless Europeans

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13 Kommentare mit 17 Antworten

  • Vor 9 Jahren

    In dem Alter immer noch Sturm und Drang oder was? Hört sich ja gut an. Obwohl, wenn ich mir die Snippets anhöre, klingt das Ganze doch ein bisschen weniger kantig/rotzig, oder täusche ich mich? Sind radikal und wild da wirklich die richtigen Adjektive? Klar, irgendwie konsequenter in der Umsetzung... Na ja, so kann ich schlecht drüber urteilen. Bin gespannt, was die ersten User sagen, die es ein paar mal durch haben.

  • Vor 9 Jahren

    "Gingen sie nicht mal zugrunde, weil keiner mehr die Botschaft hinter ihren Songs wahrnahm?" NEIN!

    Das Album ist an sich ganz gut, es hat viele sehr großartige Momente. Von den allermeisten Bands würde man das album abfeiern, bei Refused ist das Problem halt dass man es unweigerlich mit der Shape vergleicht. Egal wie sehr man versucht es nicht zu tun :)
    Die Produktion ist teils sehr interessant, teils aber auch zu glatt. Teils reisst einen die Stilvielfalt vom Hocker, teils wirkt sie zu konstruiert. Bei der Shape wirkte das eben nie so.
    Aber im Prinzip ein sehr gutes Album.

  • Vor 9 Jahren

    aber ob meine meinung zählt? für mich ist das beste lyxzen-album immer noch survival sickness :)

  • Vor 9 Jahren

    Ja ja der Herr Lyxzén was hat der nich schon alles gemacht...ne innovative Hardcore-Band hochgezogen und bevor jemand es verstanden hat wieder in den Boden getreten. Mit The (International) Noise Conspiracy eine äußerst delikate Kapelle nachgelegt und mit Invasionen auch mal die ruhigere Kugel geschoben. Doch dann plötzlich tauchen Sie wieder auf den leider viel zu großen (Festival)Bühnen dieser Welt auf, die gleichen die auch mal Kapitalismus als organisierte Kriminaltät bezeichneten. Gleiche Message nur halt besser gekleidet ^^ ... hoffentlich schreit niemand ausverkauf. Jetzt wo es neues Material gibt ist der Vorwurf etwas verhallt aber was taugt die goldig produzierte Brühe? (Randnotiz: "Songs to Fan the Flames of Discontent" ist für mich das bessere Album als "Shape of Punk to Come") 1. Elektra: Fazit...Dennis kann noch brüllen, alles beim Alten :) 2. Old Friends / New War: Tempo wieder runter, es wir sanft mit dem Kopf genickt 3. Dawkins Christ: Ja endlich Sachen wie Text/Inhalt/Message nehmen Fahrt auf genauso wie das Tempo 4. Françafrique: magnifique es ist eine Hitsingle (außer in Frankreich und seine Kolonien) 5. Thought Is Blood: der Refrain ist ganz schön ausgenudelt und texlich passiert leider auch nix spannendes 6. War On The Palaces: der Zwitter unter diesem Reigen weil so herrlich musikalisch bekömmlich für jeden Lyxzén-Fan aber trotzdem mit bösen textlichen Refused-Salven 7. Destroy The Man: Ziemlich banales Stück weil ohne gute Dynamik und auf der Suche nach dem Break 8. 366 Na noch mal Glück gehabt und Dynamik & Break wieder gefunden...hier ist wieder mehr Spannung im Karton 9. Servants Of Death: Singt Der Dennis da etwa fast den ganzen Song? Muss das jetzt sein... Es wird Funky im Kreis geplätschert 10. Useless Europeans: Ja lang dahin sichende Hardcore-Songs sind nicht so mein Fall aber hey wenn das die Message besser transportiert nur zu ... ich leg dann schon mal Songs to Fan the Flames of Discontent auf

  • Vor 9 Jahren

    Der heer hat noch nie ein schlechtes Album aufgenommen, da fängt er auch ganz sicher nicht mehr mit an. Am Ende geht es doch nur um die Nuancen die über den persönlichen Zugang entscheiden. Mir gefällt Freedom sehr gut, sehe keine wirklichen Schwächen, außer vielleicht in Kleinigkeiten, die aber nur stören wenn man möchte das sie das tun....

  • Vor 8 Jahren

    Minischwächen in der Mitte. Album macht immer noch verdammt Laune.