laut.de-Kritik
Den gelungenen Livestream gibt es nun auch auf Vinyl und digital.
Review von Giuliano BenassiFür seine Rückkehr ins Popgefilde suchte sich Rufus Wainwright den schlechtesten Zeitpunkt aus. Gänzlich unvorhersehbar natürlich, denn als er 2019 sein vermutlich bestes Album "Unfollow The Rules" in erlauchter Gesellschaft aufnahm, konnte keiner ahnen, dass die geplante Veröffentlichung im April 2020 mitten in die erste Corona-Welle samt Lockdown fallen würde. Plan B bestand darin, das Datum auf Juli zu verschieben und es mit einem Livestream zu begleiten.
Dass ZDF und arte die Produktion übernahmen, zeigt, dass der gebürtige Kanadier in Europa beliebter ist als in seiner Heimat USA. Der Stream fand im Ballsaal des Paramour-Anwesens in Los Angeles statt. Einem Ort, der für US-Verhältnisse antik ist (erbaut wurde es 1923) und in dem schon viele Berühmtheiten gekommen und gegangen sind. Neben der schönen Kulisse bot der Saal genügend Platz, um neben Wainwright auch einen Gitarristen, einen Pianisten und ein Streichquartett zu beherbergen.
"Gute Lieder können in vielen verschiedenen Umgebungen zur Geltung kommen. Ich möchte, dass meine Fans die Möglichkeit haben, die neuen Songs bei der Veröffentlichung live zu hören. Der einzige verantwortungsvolle Weg in diesen Zeiten besteht darin, es mit akustischen Instrumenten zu tun, mit wenigen Musikern in einem großen Raum und einer sehr kleinen Crew", so Wainwright.
Eine Rechtfertigung, die im Nachhinein merkwürdig anmutet, zu jenem Zeitpunkt jedoch berechtigt war, hatte Wainwright das Studioalbum mit Mitchell Froom (Produktion), Matt Chamberlain und Jim Keltner (beide Schlagzeug) sowie Blake Mills (Gitarre) aufgenommen. Eine bessere Begleitung kann man sich wohl kaum aussuchen.
Die Erkenntnis nach wenigen Takten des Streams: Wainwright hatte mit den guten Liedern in anderer Umgebung recht. Das Schlagzeug fehlt nicht wirklich, außer vielleicht in "Damsel In Distress", das im angerockten Original besser rüberkommt. Dafür klingt "Devils And Angels (Hatred)" ohne die furchtbaren Achtzigerjahre-Pop meets Klassik-Einlagen in der neuen Version besser.
Nicht alle Stücke von "Unfollow The Rules" schafften es ins Paramour. Dafür nahm Wainwright "Going To A Town" auf, sein bekanntestes Stück von 2007, mit der prägenden Aussage "I'm so tired of America". In Großbritannien bescherte es ihm seine höchste Position in den Charts und eine Coverversion von George Michael auf einem Livealbum mit Orchesterbegleitung. An dieser Interpretation orientiert sich hier Wainwright, wobei das Original von seinem Studioalbum besser klingt.
Die letzten zwei Stücke sind neu. Das fröhlich-nachdenkliche "How To Treat A Lady" hinterlässt keinen bleibenden Eindruck, "Happy Easter" setzt sich dagegen mit dem ersten Lockdown auseinander. "Day seventeen of quarantine / I called you up to see how you've been / Now we are on day twenty-seven / Christ has arisen up next to heaven", so die erste Strophe, begleitet von einem klassisch anmutenden Klavier. Wann werden wir uns wieder sehen, so die Frage zum Schluss. An Christi Himmelfahrt vermutlich, beantwortet sie Wainwright selbst. Womit er mehr oder weniger Recht behalten hat.
Das beste Stück auf beiden Alben ist "Peaceful Afternoon", in dem Wainwright mit einem Augezwinkern und viel Liebe 13 Jahre Ehe zelebriert. "And although I know I've brought you joy and happiness, babe / I've also been a fuck ... a fecund resource for anger / 'Cause it's all a part of the game / Yeah, it's all a part of the symphony", beschreibt er die Höhen und Tiefen der langen Beziehung, von der er sich wünscht, dass sie bis zu seinem Lebensende hält: "And I pray that your face is the last I see / On a peaceful afternoon".
Eine Liebeserklärung, wenn auch einer anderen Art, ist auch dieses Album, das ein Jahr nach dem Stream interessanterweise auf Vinyl und digital, aber nicht auf CD erscheint.
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