laut.de-Kritik
Edler Cocktail aus Sixties-Seligkeit und Sophisti-Pop.
Review von Kerstin KratochwillVor 34 Jahren erschien mit "Foxbase Alpha" das taufrische und tolle Debüt-Album der Londoner Band Saint Etienne, das die Club-Sounds und die House-Musik der Neunziger charmant mit Sixties-Vibes der damaligen Girl-Groups über French-Pop bis hin zu Lounge-Lässigkeit verschmilzt. Der Opener "This Is Radio Etienne" gibt die Stilrichtung vor: Wir hören einen französischen Radiosprecher, der über den Namensgeber, den Fußballverein AS Saint-Étienne spricht, und werden in nostalgische Stimmung versetzt, bevor ihre Version von Neil Youngs "Only Love Can Break Your Heart" uns endgültig dem Charme dieser Edel-Indiepop-Darlinge verfallen lässt.
Einer der größten Hits der Band, allerdings noch nicht gesungen von der wunderbaren Sarah Cracknell, die später zusammen mit den Schulfreunden Pete Wiggs und Bob Stanles ein unzertrennliches Trio bilden wird. In der trip-hoppigen Coverversion hören wir die nicht minder coole Stimme der britischen Sängerin Moira Lambert, die dem Track massive Massive Attack Vibes verpasst.
Nach einem elektronisch bouncenden und chilligen Interlude lauschen wir erstmals der seufzenden wie sehnsüchtigen Stimme Cracknells in "Carnt Sleep", einem schwebenden Dreampop-Stück mit einem Hauch Brazilian Sadness. Es basiert auf dem Reggae-Beat von "Youthman Riddim", das nur ein Beispiel für den unnachahmlichen wie wagemutigen Genre-Mix von Saint Etienne ist, der zwischen Sixties-Seligeit und Sophisti-Pop sowie Downbeat und Dub einen so edlen wie exquisiten Cocktail zusammenrührt.
"Foxbase Alpha" – der Albumtitel ist ein Insiderwitz der Band aus Kindertagen, der einen utopischen Ort voller großartiger Menschen bezeichnet – ist eine Zeitkapsel, die den Test der Zeit bestanden hat. Die Tracks sind zwar Kinder ihrer Zeit, so ist "Girl VII" mit seinen Spoken-Word-Parts eine Synth-Pop-Hommage sowohl an Madonnas "Vogue" als auch an die Pet Shop Boys. Sie sind aber immer zugleich retro und modern.
Das Album mit seinem von The Smiths inspirierten Designs über 60-Jahre-Ikone und die Einflüsse von Dusty Springfield über OMD bis hin zu King Tubby ist nicht nur ein eklektischer und emotionaler Liebesbrief an die Vielfalt der Musik, sondern auch an die Multikulturität Londons (besonders bezaubernd in dem schon fast Cocteau Twins fließenden "London Belongs To Me"). Hier fließen jamaikanischer Dub, balearische Atmosphäre, amerikanische Einflüsse und Swinging London zu einem süßen wie süchtigmachenden Mix zusammen.
All das macht Saint Etiennes Musik zu einer einzigartigen und unverkennbaren, die Melancholie und Dance-Pop leicht und locker miteinander verschmilzt. Diese Leichtigkeit im Sound ließ manche KritikerInnen abfällig von Bubblegum-Pop sprechen, die Wärme in den Songs brachte Saint Etienne den Vorwurf der Vintage-Schönfärberei ein. Doch ihre Musik ist vielmehr durchzogen von einer zartschmelzenden wie zärtlichen Zuckrigkeit, die dank der vielen überraschend eingeflochtenen Nuancen mit technoiden Einschüben, bemerkenswerten Samples, pulsierendem Disco-Beat oder ambientlastigen Teppichen niemals in Kitsch verfällt.
Highlight des Debüts ist das Herzstück "Nothing Can Stop Us", das ein sehr markantes Sample von Dusty Springfields Song "I Can't Wait Until I See My Baby's Face" enthält und bereits hier schon sehr an eine zukünftige Kylie Minogue erinnert. In der Tat nehmen Saint Etienne später eine Version des Songs mit dem Gesang von La Minogue auf. So unvorhersehbar Saint Etiennes Musik-Mix ist, so unberechenbar ihre Kollaborationen, ständige wechselnden Tempi und vor allem ihr Genre-blending Sound, der mit dem mittlerweile Indie-Pop-Klassiker "Foxbase Alpha" seinen Anfang nimmt – wahrlich ein Kosmos voller großartiger Menschen, die Musik machen.
2025 verabschieden sich Saint Etienne leider mit dem finalen Album "International" aus der Musikwelt – auf ihrem Höhepunkt wie sie selber sagen. Wir sagen: Danke für all die zeitlose und elegante Musik – nothing can stop it ...
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.