laut.de-Kritik

Die Sehnsucht nach den 90ern.

Review von

Saint Etienne galten in den 90ern als das 'Next big thing'. 80er-Reminiszenzen auszuleben, galt damals im Unterschied zu heute als ausgefallen. Nummern wie "Sylvie" und "Pale Movie" zündeten zwar auch im Rest Europas, trotzdem blieb das Electropop-Projekt nach der Jahrtausendwende ein relativ britisches Phänomen mit guten Chartsplatzierungen.

Doch bei der Londoner Downtempo-Band, die das Französische nur im Namen trägt, kam in den vergangenen Jahren eine Sehnsucht nach jener Phase auf, 1997 bis 2001, als sich die Welt noch anders anfühlte. Da neue Songs nie dasselbe transportieren können, was seinerzeit Lebensgefühl war, sampeln sich Saint Etienne auf "I've Been Trying To Tell You" ersatzweise munter durch die ausgehenden Neunziger und ganz frühen Nuller-Jahre.

Die Rückwärtsgewandtheit erwuchs aus der Frage, ob damals tatsächlich alles besser war oder man es im Rückblick nur verklärt. Unterschiede gibt es natürlich viele, etwa ein Leben ohne 24-h-im-Internet. Chillen, relaxen und abschalten waren wichtige Motive kommerziell erfolgreicher Platten, worauf etwa die "Café Del Mar"-Serie oder das Hedkandi-Label fußten.

In England sei der Blickwinkel damals ein ganz eigener gewesen, so Sarah, Bob und Pete. Nach den Thatcher-Jahren habe Blairs Labour-Sieg hohe Erwartungen geweckt. Vielleicht sei man damals naiv gewesen, der Selbsttäuschung erlegen, habe geglaubt, alles wäre möglich? Saint Etiennes Überlegungen sind nachvollziehbar, jedoch gerät die musikalische Umsetzung wenig substanziell. Sie wirkt zu glatt, farblos und phasenweise gar wie die Wartemelodien in der Hotline einer Zahnarztpraxis.

"Penlop" erinnert sofort an die große Zeit des Trip Hop, des Drum'n'Bass-getränkten Downtempos. Melodie und Tempo basieren maßgeblich auf einem "Cloudcuckooland"-Track der Lightning Seeds von anno 1990. Saint Etienne gehen insgesamt recht plump zu Werke, Sampeln bleibt hier nur Selbstzweck, die reine Kopie, ohne, dass mit dem Material wirklich gearbeitet wird.

Auch "Pond House" kommt im Wesentlichen als Downbeat, der Stimmen zerlegende und interpolierende Wabbelbass schlurft schwer und hat immerhin Schubkraft. Der Beat pluckert so hypnotisch, wie sich ein Herzschlag unterm Stethoskop anhört. Der Track transportiert betriebsames Gefrickel, stimmlich köcheln Saint Etienne aber auf Sparflamme: Unendlich oft wird die Zeile "Here it comes again" repetiert. Eingängig, aber unspannend.

Mithalten kann "Fonteyn", wobei sich der Drum'n'Bass etwas technokratisch, nach Autopilot anhört. Man denkt an gängige Lounge-Sampler. Im weiteren Verlauf der kitschigen Verdichtung der gekünstelt wirkenden Dramatik kommen Assoziationen zu De-Phazz aus dem Langzeitgedächtnis hinzu. Am Ende versandet der Track in viel zu viel Geklimper und wirkt wie Goldfrapp für Arme. "Little K" macht es besser. Der kristallklare Klang dieses gleichmäßigen Dreampops punktet instrumental. Er bedürfte nicht mal Sarahs sphärische Lautmalerei.

"I've Been Trying To Tell You" liefert nett designte Soundskizzen, die kaum stören. So surft etwa der ohne Sampleangaben platzierte Track "Blue Kite" mit komplexer Verschachtelung durchs Warp Records-Alphabet von Aphex Twin über Autechre bis Seefeel. Am Gesamteindruck ändert dies aber kaum etwas: solide Tapete, nicht mehr, nicht weniger.

Trackliste

  1. 1. Music Again
  2. 2. Pond House
  3. 3. Fonteyn
  4. 4. Little K
  5. 5. Blue Kite
  6. 6. I Remember It Well
  7. 7. Penlop
  8. 8. Broad River

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