laut.de-Kritik
Weltmusik im wahrsten aller Wortsinne: akute Trance-Gefahr!
Review von Dani FrommSehnsüchtig, beinahe schwermütig hebt "Mongol Nutag" an. Erst mit zunehmendem Tempo hebt sich der Schleier der Melancholie. Percussioninstrumente bringen den brummenden Tönen den Rhythmus. Was nur langsam in die Hufe kam, trabt urplötzlich flott über die akustische Steppe.
Mit dem ersten Ton sichert sich dann jedoch der Gesang ungeteilte Aufmerksamkeit. Die Frage nach der Wahl des Ensemble-Namens stellt sich gar nicht: Sedaa bedeutet Stimme. Die Stimmen der Sänger Naranbaatar Purevdorj und Nasanjargal Ganbold stehen konkurrenzlos im Zentrum des Geschehens. Unfassbar, immer wieder, was sich der menschlichen Kehle entlocken lässt.
Die Exotik, die mongolischer Obertongesang - zumindest für das in Mitteleuropa sozialisierte Gehör - birgt, ist nur schwer zu überbieten. Der Kontrast zwischen tief grollenden Kehllauten und glasklar darüber hinweg perlenden, glockenhellen Obertönen, wie sie in "Tal" erstmals auftauchen, könnte schärfer kaum ausfallen.
Den naturverbundenen Gesang, der sich von erdigen Tiefen in schwindelnde Höhen ausbreitet, unterstreichen traditionelle Instrumente des Wanderhirtenvolks: Pferdekopfgeige, mongolischer Bass und Hackbrett.
Für das "Meets Oriental" zum "Mongolian" sorgt Multiinstrumentalist Omid Bahadori. Seine Rhythmen schleichen sich in die Klänge der Steppe ein, sein Spiel mit mannigfaltigem Rhythmusgerät und Gitarren tritt in lebhaften Dialog mit den Streichern und sorgt für steten Groove.
Orientalische Melodiebögen treten in "Arezoo" in den Vordergrund. Wie Wassertropfen trommeln Finger auf Trommelfelle: "Unspoken Words" bezieht seine Spannung - ganz ohne Worte - aus der Gegensätzlichkeit von Percussion und getragenen Streichern.
Filigranes Saitenspiel entwickelt in Verbindung mit Oberton- und Kehlgesang in "Tovschuur Hogjim" fesselnde Dynamik. Hinter jedem langsamen Auftakt vermutet man bald einen bereits auf der Lauer liegenden Tempowechsel.
Scheinbar mühelos lassen Sedaa ihre Instrumente miteinander Kontakt aufnehmen. Zuweilen herrscht die entspannte Stimmung einer Jam-Session. Dabei geht der Draht zur Natur, zum ewigen Spiel der Elemente und Jahreszeiten, nicht verloren. Der meditative, hypnotische Charakter ihrer Songs birgt akute Trance-Gefahr.
Anders als traditionelle Gruppen wie Huun Huur Tu bewahrt man bei Sedaa zwar ebenfalls das nomadische Erbe, sperrt sich aber gegen Purismus. Neben den schon mit dem Titel versprochenen orientalischen Harmonien lassen Sedaa sogar westliche Einflüsse und moderne Technik zu.
So quakt durch "Bülgo" eine extrem funky angespielte E-Gitarre. Auf den "November Rain"-tauglichen Rock-Balladen-Touch hätte ich zwar problemlos verzichten können. Dennoch beeindruckt die Vielfalt des Klangbilds. Das verkraftet auch mal eine Akustikgitarre ("Lullaby").
Selbst sachte programmierte Drums ("Raz"), die beinahe in Drum'n'Bass-Gefilde hinüber leiten, passen sich nahtlos ins organische Gefüge ein. Wenn ein derart aufgeschlossener Ansatz nicht Weltmusik im wahrsten aller Wortsinne gebiert - was dann?
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