laut.de-Kritik
Lavalampe und Arschtritt: triumphale Rückkehr nach 40 Jahren.
Review von Ulf KubankeEin schweres, fast behäbiges Gitarrenriff öffnet dem Saxophon die Tür. Der Bläser tanzt Pirouetten - zu groovy für puren Freejazz, zu frei für reinen Cocktailjazz. Kurz darauf erwacht die E-Gitarre aus der Lethargie, kickt das Sax und rockt die Nummer nach Hause. Das ging fix.
Nachdem Soft Machines letztes Studioalbum "Land Of Cockayne" 1981 herauskam, erscheint erst knapp 40 Jahre später der Nachfolger "Hidden Details". Diese Veröffentlichung, mit der nicht mehr zu rechnen war, ist musikhistorisch eine Sensation - und erweist sich qualitativ als ein Highlight des laufenden Jahres. Immerhin gehören Soft Machine neben Pink Floyd zu den Erfindern des Psychedelic Rock und legten mehr als nur eine Hand an die Wiege von Progressive Rock und Jazzrock.
Haben die hier versammelten Urgesteine heute noch was zu sagen? Definitiv! Die Platte ist eine höchst unterhaltsame Mischung aus Lavalampe, Groove und Arschtritt. Fluffigkeit trifft Avantgarde und nimmt den Hörer mit auf einen bewusstseinserweiternden Trip. Dieser verläuft weit jenseits kommerzieller Pfade, verfügt aber dennoch über den fundamentalen Willen, sein Publikum zu entertainen, statt mit ziellosem Gefrickel zu nerven.
Soft Machine stehen anno 2018 nicht wie andere Kollegen am Scheideweg zwischen besagter psychedelischer Fluffigkeit und Avantgarde. Sie selbst stehen genau auf dieser Kreuzung und zeigen einmal mehr, wie gut man sein muss, um zeitlos relevant zu sein. Somit lautet die Preisfrage nicht 'Wie gut sind sie?', sondern 'Wer spielt überhaupt?'.
Innerhalb eines guten halben Jahrhunderts verzeichnete die Band mehr Besetzungswechsel als Deep Purple, Black Sabbath und Rainbow zusammen. Mehr als 30 Musiker spielten in über 20 verschiedenen Konstellationen miteinander und stiegen teilweise mehrfach ein und aus. Auf Nebengleisen fuhren zusätzlich die Schwesterformationen Soft Ware oder Soft Works. Der Clou: Jede einzelne Facette überzeugt auf künstlerischer Ebene.
Die aktuelle Besetzung verhält sich, um beim Black Sabbath-Vergleich zu bleiben, in etwa wie "Heaven And Hell" zu "Paranoid": Nicht ganz dasselbe, aber verdammt gelungen! Zwar ist von den Gründervätern Kevin Ayers/Robert Wyatt niemand mehr an Deck. Doch die derzeitigen Maschinenführer haben es nicht minder in sich. Bis auf den groß aufspielenden Saxofonisten/Flötisten Theo Travis, der ungefähr zu Zeiten der Bandgründung zur Welt kam, befindet sich die Mannschaft von Anfang bis Mitte der 70er im Maschinenraum.
Die Veteranen marschieren großen Schrittes auf die 80 zu. Doch wie so oft bei Musikern, deren Wurzeln im Jazz oder Blues liegen, hört man es den Stücken nicht an. "Hidden Details" macht vielmehr qualitativ dort weiter, wo Platten wie "Fifth", "Six" oder das verehrte "Third" den Weg ebneten. Der Pfad dieser dreizehn Nummern folgt nur dem eigenen Instinkt der Musiker, man erkennt die typische Soft Machine-Handschrift an allen Ecken und Enden.
Jeder Song wartet mit Deails auf, die schon beim ersten Hören faszinieren. "The Man Who Waved At Trains" glänzt dank dem exquisiten Dialog zwischen ätherischem Glockenspiel und ausgelassener Flöte. Ein Lied später probt das Sax den Aufstand, wird im Verlauf jedoch von einer stoisch schmirgelndenen Gitarre wieder eingehegt. Zahm schmeichelt sich "Heart Off Guard" mit der romantischen Akustischen ins Ohr - der Finger verweilt auf der Wiederholungstaste. Travis versiertes Spiel lehnt sich hier einen intensiven Moment lang gar an das melancholische Timbre eines Art Peppers ("The Prisoner") an.
Konsequent und nachdrücklich macht John Etheridges Sechsaitenspiel in "Broken Hill" klar, dass nicht allein David Gilmour ein Lorbeerkranz für die Erfindung elegischen Gitarrengejammeres gebührt. Wer den Song irrtümlich für ein dreistes Pink Floyd-Rip Off halten sollte, arbeite den Katalog Soft Machines noch mal auf. Es lohnt sich ohnehin.
Als ultimativen Anspieltipp empfehle ich den Zweiteiler "Out Bloody Intro"/"Out Bloody Rageous". Hier bringen die Legenden binnen weniger Minuten ihre gesamte atmosphärische Bandbreite auf den Punkt. Die erste Passage gleitet ästhetisch als Ambient-Stilleben dahin, während die zweite Hälfte in stürmischer Euphorie dem Affen Zucker gibt. Gut geölt, die Maschine!
2 Kommentare mit 7 Antworten
Etwas zu viel fluff für mich, aber dennoch sehr stark. Das Alter hört mensch den Musikerinnen wirklich nicht an.
@ Anwalt: Hat zwar vielleicht nur durch das Artwork hiermit zu tun, aber kannst du was mit Spidergawd anfangen?
ja, die finde ich gut. bin mal eher zufällig über die motorpsycho-verbindung auf die gestoßen. kenne auch nur 2 platten von ihnen. die mag ich allerdings sehr.
Hättest du da noch einen Tip aus der Richtung in petto, bzw. gibt es ein etwas gestraffteres Album von Soft Machine?
das ist gar nicht mal so leicht. "third" und "4" würde ich wegen eyatt empfehlen. das hat einfach ne ganz eigene aura. auf der "third" findet man auch ne urvariante von "bloody rageous".
die "5" ist rhythmisch sehr interessant, weil mit 2 drummern gemacht.
die !7! geht etwas straighter zur sache, was besonders an babbington liegt.
und die "bundles"/"softs" haben ein allgemein direkter rockendes naturell.
es sind allerdings auf so gut wie jeder ihrer platten mindestens zwei killertracks vorhanden und ein allgemein kreatives und spielerisch hohes niceau.
Ist ein "Niceau" ein nices Niveau?
mindestenc
Danke für die Einschätzung. Niceau wird Wort des Tages - mal schauen ob es gegen den Mettenbeat im Monatsranking ankommt.
was ist denn mettenbeat?
Spätes, unerwartetes Comeback einer Legende – Jazz-Prog-Rock at it’s best, durchaus mit experimentellen Ausflügen · https://www.peter-hamburger.de/blog/soft-m…