laut.de-Kritik

König Lustig und die Erfindung des Memes.

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Es gab genau zwei ehrliche Momente bei seinem Comeback. Stefan Raab stand noch ausgelaugt vom Boxkampf gegen Regina Halmich im Ring, als er fast unsicher seiner Kernbotschaft entgegen stotterte: "Ich hab' mir überlegt, ich mach' wieder Shows." Die leichte Hemmung dürfte weniger verwundern, bemühte sich die Showgröße doch seit ihrem 'Raabschied' 2015 beinahe pathologisch um Anonymität. Der zweite Augenblick folgte bei der anschließenden 'Pressekonferenz', als er seine wahren Motive enthüllte: "Ich mache es auch ein bisschen, um in Zukunft vor allem mich selbst zu unterhalten."

Seit Mitte September läuft nun sein neues Show-Format auf RTL+. 'Neu' ist dabei relativ, verbindet "Du gewinnst hier nicht die Million bei Stefan Raab" doch vor allem Elemente aus "TV total" und "Schlag den Raab". Die Heavytones sind ihm gefolgt. Und auch beim Humor schlagen die Uhren nach wie vor 1999. Ein typischer Raab-Gag klingt so: "Bill Kaulitz ist jetzt Botschafter für schwule Schafe - kein Scherz! Schwule Schafe oder wie sie hier in Köln heißen: Schafe." Lief so in der zweiten Ausgabe seiner RTL-Show, erhielt höflichen Applaus von den anwesenden Millennials im Zuschauerraum.

Doch einige Aspekte haben sich tatsächlich verändert. Raab geht mit einem Enthusiasmus ans Werk, den er in den letzten Jahren von "TV total" missen ließ. Er verlässt sein Studio und trifft echte Menschen, reflektiert mediale Mechanismen und Zielgruppen, kokettiert mit seinem Reichtum und kollaboriert mit RTL-Trash-Nasen wie Calvin Kleinen. Sein neuer Haussender zeigt sich begeistert von seinem Fang. "Der Raab-Deal ist das smarteste, was ich in meinem Leben gemacht habe. Das wird nur schwer zu toppen sein", frohlockte etwa die Programmgeschäftsführerin Inga Leschek bei DWDL.

Dass die Trennung von seiner langjährigen unternehmerischen Heimat nicht ohne Groll abgelaufen ist, dürfte ein offenes Geheimnis sein. Statt wie die jüngste Single "Pa Aufs Maul" über seine neue Plattform "Raab Entertainment" erscheint dann auch "Seine Größten Hits (25 Jahre)" über "Raab Records", lizenziert von Banijay, jenem französischen Medienunternehmen, das seit 2020 sämtliche Anteile an Brainpool und seiner Tochterfirmen hält. Der Sampler begleitet 'König Lustig' quasi zur Tür hinaus und wirft einen Rückblick auf die goldenen Jahre, destilliert in zehn Essentials.

Zum Einstieg grüßt Regina Zindler, deren typisch deutscher Nachbarschaftsstreit in der sächsischen Provinz dank Richterin Barbara Salesch Berühmtheit erlangte. Raab verwurstete den Fall als "Lonesome Rider" mit Truck Stop zu einer Country-Nummer für rastende LKW-Fahrer. Humoristisch wirkt das Ergebnis eher mittelprächtig, lebt es doch ausschließlich vom skurrilen Auftritt einer ostdeutschen Hausfrau ohne Medienkompetenz. Und doch steht "Maschen-Draht-Zaun" exemplarisch für den kulturellen Input des Showmasters, der damit bereits in den 1990er Jahren die Vorstufe des Memes erfand.

Stefan Raab überführte das Prinzip des musikalischen Samplings mithilfe des 'Nippleboards' in den Alltag. Catchphrases gingen in Büros und auf Schulhöfen noch ganz analog viral und setzten sich mitunter bis heute fest. Der Entertainer übernahm in einem zweiten Schritt die Rückübersetzung, indem er die Schlagworte wieder in Musik verwandelte. Ein hingerotztes "Ho Mir Ma Ne Flasche Bier" des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder transformierte er dank entsprechender Rhythmik in eine Polka, über die sich das heutige russische U-Boot unlängst im Talk-Format Gregor Gysis amüsierte.

"Wir Kiffen!" verkaufte Raab als warnende Antwort auf Afromans "Because I Got High" aus "The Good Times". Ein passend zur Thematik etwas chaotischer und ausschweifender Song, der unterbrochen von Gitarren- und Steel-Drum-Solos zahlreichen öffentlichen, mitunter längst vergessenen Personen Konsum unterstellte. Seine vermeintliche Anti-Drogen-Kampagne setzte er in "Gebt Das Hanf Frei!" mit Shaggy fort. Im Zentrum stand ein Ausruf des mittlerweile verstorbenen Grünen-Politikers Hans-Christian Ströbele auf der Hanfparade 2002, der seine spätere Gewinnbeteiligung wirklich anteilig in die Drogenprävention steckte.

Schwerer fällt es Raab traditionell, gewitzte Songs ohne externen Anstoß zu produzieren. Zu seinem Alter Ego Eddie Rodriguez hatte sich seine Redaktion damals allerhand ausgedacht, doch der Latin-Pop "Sensaçion" funktioniert gerade im Rückblick aus sich selbst heraus kaum. "Wadde Hadde Dudde Da" dürfte dafür das Lied sein, das seinen Charakter am ehesten einfängt. Es kombiniert seine Funk- und Bigband-Leidenschaft mit Nonsens-Humor, einer Over-the-Top-Inszenierung und seiner Begeisterung für den ESC, den er wegen seines kompetitiven Charakters zugleich albern findet.

"I Want Rock" und "S.U.P.E.R.B.A.D. Motherfucker" dienten jeweils zur Promotion seiner "TV total Stock Car Crash Challenge", dem männrigsten Event im Raab-Kosmos. Gemeinsam mit Max Mutzke und Rick Kavanian gründete er dazu die Formation Dicks On Fire, deren Rap-Rock sich wohl irgendwo zwischen Run DMC, den Beastie Boys und den zitierten Cypress Hill einordnen wollte. "I Want Rock" fand sich übrigens zusätzlich auf dem Soundtrack zu "(T)Raumschiff Surprise - Periode 1", auf dem an dieser Stelle ebenso der gnädige Mantel des Schweigens ruhen soll wie auf dem Titelsong "Space-Taxi".

"Seine Größten Hits" enden mit "Wir Kommen, Um Ihn Zu Holen". Die WM-Hymne auf Mario Götze, Thomas Müller und Co. mag nicht ganz so catchy sein wie "'54, '74, '90, 2006" der Sportfreunde Stiller, aber dafür erschien es Raab-typisch mit perfektem Timing zum Erfolgsturnier in Brasilien. Ob dem früheren ProSieben-Aushängeschild noch immer der Sinn für den Zeitgeist innewohnt, werden die kommenden Monate bei RTL+ zeigen. Zumindest musikalisch tobt er sich bislang in jeder Ausgabe aus und fügt seinen Songs mit Unternehmenskritik sogar eine neue, satirische Facette hinzu.

Trackliste

  1. 1. Maschen-Draht-Zaun
  2. 2. Wadde Hadde Dudde Da
  3. 3. Ho Mir Ma Ne Flasche Bier (mit DJ Bundeskanzler)
  4. 4. Sensaçion
  5. 5. Wir Kiffen!
  6. 6. Gebt Das Hanf Frei! (mit Shaggy)
  7. 7. Space-Taxi
  8. 8. I Want Rock
  9. 9. S.U.P.E.R.B.A.D. Motherfucker
  10. 10. Wir Kommen, Um Ihn Zu Holen

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