laut.de-Kritik
Für alle, die durch Musik nicht herausgefordert werden wollen.
Review von Philipp KauseObwohl es einem so vorkommt, dass Sting alle paar Monate etwas veröffentlicht: Meist recycelt er nur sein eigenes Oeuvre. Nun gibt es also neues Material, und zwei rote Fäden ziehen sich lyrisch durch "The Bridge". Die Liebe ist der eine, unter den Aspekten der Trennung, des Abschieds und Rückblicks. Natur und speziell Wasser formen die andere wiederkehrende Linie. Musikalisch lässt sich keine große Entwicklung beim 70-Jährigen feststellen, keine Änderungen gemessen an der Rezeptur, die er seit den Achtzigern auf Soloalben köchelt. Diese LP ist wirklich solo, obwohl der Singer/Songwriter und Bassgitarrist zuletzt Duette präferierte.
Die unaufgeregte Easy Going-Platte setzt allzu oft aufs Synth- und Synth-Drum-Programming. Von Sting ist man das gewöhnt. Im Minimalismus von "Loving You" klappt das herausragend gut. Bei "For Her Love" zum Beispiel nicht. Da stört das Geschepper. Warum gönnt der Musiker einer so schönen Melodie kein echtes Schlagzeug-Set? Beim Ästhetik-Empfinden des Engländers komme ich nicht so recht mit: Streicher ja, Bläser auch (wie in "Harmony Road"), und dann schematisch-sterile Beats aus der Maschine dazu?!
Alle Tracks verbindet etwas dezent Keltisches, Nordisches in den Harmonien. Hinzu kommt eine Gesangslage, als sei Sting Leuchtturmwärter und überblicke von oben manch drohende Gefahr, vorgetragen in einem dramatischen "Vorsicht-vor-dem-Sturm"-Tonfall. Angeblich, so der Künstler selbst, resultiere diese Haltung aus seinen Erfahrungen während des Lockdowns und resümiere persönliche Verluste und seinen Eindruck von den politisch Mächtigen dieser Zeit. Das wirkt alles allgemein und beliebig.
Fröhlich hört sich "The Bridge" jedenfalls nicht an. Obwohl die Liedersammlung einen schönen schwungvollen Fluss hat und bisweilen rhythmische Leichtigkeit, dämpfen und konterkarieren die eingetrübten Akkordfolgen den Eindruck. Die Texte teils auch, "The Hills On The Border" besingt einen Grabstein, "The Bells Of St. Thomas" eine leere Kirche.
"If It's Love" zitiert ärztlichen Rat für schockartige Verliebtheits- und wohl auch 'Klammern nach der Trennung'-Reaktionen. Doch hier wie auch in allen weiteren Lyrics macht die Police-Legende es einem schwer, dem Sinn zu folgen. Eher wirken die Texte wie impressionistische Skizzen, die einen Anlass bieten, mal wieder neuen Output zu rechtfertigen, der dann doch klingt wie zig Male vom Mainstream-Star gehört.
Selbst wenn jetzt der große Kick fehlt, ist "The Bridge" schon mehr als nur eine weitere LP eines Marken-Artists, sondern klingt angenehm. Für alle, die durch Musik nicht herausgefordert werden wollen. Der Modern Pop des Einstiegssongs geht mehr und mehr in folkige Beiträge wie "Captain Bateman" über, den Wechsel der Klangfarben und überhaupt einige Abwechslung bekommt Sting sehr gut hin.
Manches erscheint clever gemacht: Die kontrabassig brummenden Anti-Melodie-Strophen von "The Book Of Numbers" crashen gegen einen explosiven Refrain mit dominant aufbrausender Stimmlage und Bläsern. Der Leise-Laut-Kontrast funktioniert. Das mit Fiedel-Gejaule durchfrottierte "The Hills On The Border" gehört ebenfalls zu den intensiven Abschnitten. In "The Bells Of St. Thomas" ziehen Fingerpicking und langgezogene Vokal-Töne eine Parallele zu James Taylor, ein Hinhör-Song, der aus dem mitunter gefälligen Geplätscher zum Glück herausreißt.
Um nicht Gefahr zu laufen, eine Nebenbei-Platte zu machen, die weder Hits noch Überraschungen bietet, hängt Sting ein paar Bonus Tracks in der CD-Deluxe-Version an. Das unerwartete Halb-Instrumental "Captain Bateman's Basement" entpuppt sich als Highlight des Albums. Lautmalerei ("di-bi-do-bi-dam") vermählt sich mit einer so pfiffigen Rhythmusspielerei an den Keyboards, dass manche Progrock-Band stolz drauf wäre. Leider bricht dieses - wie alle Tracks - sehr kurze Stück zu früh ab, was auch bei "(Sittin' On) The Dock Of The Bay" aus der Feder von Steve Cropper und Otis Redding schade ist. Denn dieses Cover hat Sting wirklich gut drauf.
Ein zweites "Message In A Bottle" beinhaltet auch "The Bridge" wieder nicht. Der Engländer schlägt ein weiteres Mal trotz guter Grundlagen etwas zu seichte Darbietungen seiner neuen Stücke ein und kreiert keinen Gänsehaut-Moment. No killers, fairerweise aber sei gesagt: auch no fillers. Somit bleibt unterm Strich: Die Platte ist nett. Ein unverfängliches Weihnachtsgeschenk.
4 Kommentare mit einer Antwort
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
ich will durch musik nicht herausgeforderoiöjöit werden
Sehr gute Songs.
Es ist mir scheißegal, was der Künstler mir sagt. Ich höre nur auf den Kritiker!
7 Jahre für den ersten Kommentar nach Anmeldung reicht definitiv aus für "Es ist mir scheißegal".