laut.de-Kritik
Perlen im Gemischtwarenladen.
Review von Dani Fromm"Zwanzig Jahre in dem Game, Bruder", resümiert Tatwaffe am Ende der ausgedehnten Spielzeit von "Sternenklar". Vor diesem Hintergrund kann es nur eine Haltung geben: "Ich scheiß' drauf, was ihr von mir denkt." Das klingt, mehr oder weniger deutlich, aus jedem einzelnen der 23 Tracks.
Manch anderem Rap-Veteranen hätte ich angesichts der Flut an Hashtag-Lines und der Häufigkeit, in der sein Hauptproduzent J-JD auf die nervösen Hi-Hats zurückgreift, an denen 2016 offenbar keiner mehr einen Weg vorbei suchen will, unterstellt, er wolle sich auf Biegen und Brechen dem Zeitgeist anbiedern. Das absurd breit gefächerte Themenspektrum könnte leicht wie der ziemlich verzweifelte Versuch wirken, nur ja für jeden etwas Passendes zu liefern.
Falls es sich so verhalten sollte, macht Tatwaffe dabei dennoch irgendetwas richtig. Unabhängig davon, ob man seine Stücke jetzt ganz großartig oder ganz und gar grauenvoll findet: Der Mann hinterlässt in jedem Moment den Eindruck, er tue genau und ausschließlich das, wonach ihm gerade der Sinn steht, ohne viel Kalkül und auch ohne Rücksicht auf die Folgen.
Angesichts der kaum verschleierten Bocklosigkeit, die mehr als einer seiner Zeitgenossen an den Tag legt, wirkt, was in einer Kultur, die allenthalben nach Realness plärrt, eigentlich die Regel sein sollte, ziemlich erfrischend. Das ändert jedoch nichts an dem Umstand, dass einem "Sternenklar" wie ein irrwitzig vollgestopfter Gemischtwarenladen vorkommt, in dessen überladenen Sortiment man die Perlen leicht übersieht. Zumal die Meinungen darüber, an welchen Stellen es sich genauer hinzuhören lohnte, vermutlich stark divergieren dürften.
Der Erfolg von "Die Eine" und ihren diversen Fortsetzungen, mit denen Tatwaffe in der Vergangenheit bereits sein Familienglück lobpries, legt nahe, dass öffentlich zelebrierte Liebeserklärungen an die Auserwählte und die Nachkommenschaft bei vielen Fans hoch im Kurs stehen. Wer "Wunder" und Ähnliches feierte, dem sollten auch "Nachtflug" oder "Family First" reinlaufen. Dass ich mit derlei, auch wenn ich die Motivation dahinter verstehe, trotzdem wenig anfangen kann: längst kein Geheimnis mehr.
Die Absicht, einen tauglichen Sommerhit zu kreieren: an sich nicht verwerflich. Warum dabei eine konkurrenzlos platte Nummer wie "Bikini" herauskommen muss, verstehe, wer will. Schon klar, dass ich schlecht in eine Zielgruppe passe, die sich mit Schwärmereien für Damen in knappen Zweiteilern abholen lässt. Aber selbst die muss sich doch spätestens bei der von Ado Kojo in Schmalzfluten frittierten Hook winden, wenn sie sich schon nicht daran stört, dass der Text die angesungene Heldin auf ihre Tauglichkeit als dekorativer Kleiderständer reduziert. Dass das vermutlich nicht in despektierlicher Absicht, sondern eher versehentlich geschieht, macht es kaum besser.
Tatwaffe hat eigentlich zu viel Grips, um in derart flachen Gewässern zu fischen, wie "Arabische Gärten" zeigt. Das steht in der Tradition düsterer Message-Tracks wie "Kein Ende In Sicht", aus dem Featuregast Bosca passenderweise gleich noch zitiert. Gemeinsam positionieren sich hier zwei Generationen von Rappern gegen Kriegstreiberei, Profitgier und die Abschottung, mittels derer sich der Westen vor den Folgen seines Handelns zu drücken versucht. J-JD illustriert den verwunschenen Garten mit verwehten, hallenden Klängen und einer exotischen Melodie. Wundervoll.
Weniger bedeutungsschwanger geht es in "#fmna" zu. Das gibt - "'Der Beat ist ein Brett.' 'Du sagst es, Alta!'" - dafür wuchtig auf die Zwölf. Regie führt ausnahmsweise nicht J-JD, sondern Mete Makkat, während sich Tatwaffe zusammen mit Harris gegen Distanz- und Respektlosigkeiten zur Wehr setzt. Wie sehr die Killerstimme deines Lieblings Rappers gefehlt hat, geht einem da erst richtig auf.
"Ganz Allein" steht Tatwaffe also beileibe nicht da. Viel mehr geben sich bekannte und weniger bekannte MC-Kollegen die Klinke in die Hand. Eko Fresh muss sich in der Nostalgietour back in time zwar erst warmlaufen, steigert sich im Lauf seines Verses in "Die Besten Momente" aber richtig rein. Auf den Gesangspart hätte ich wiederum, wie auf diverse R'n'B-poppige Hooklines anderswo, problemlos verzichten können.
Mit einer Geschichte, wie sie Tatwaffe im Rücken hat, darf man sich den Stolz auf den eigenen Werdegang durchaus einmal anmerken lassen. Die Gefahr, es sich auf den mühselig erarbeiteten Lorbeeren allzu bequem einzurichten, lauert aber bekanntlich überall. Beinahe ein bisschen absurd mutet da an, dass der deutlich jüngere (entsprechend um Welten hungriger klingende) MoTrip in "S.T.A.R." noch entschlossener die Traditionsfahne hochhält als der alte Recke.
"Immer Noch Am Machen" fährt von Manuellsen über Lakmann, Vega, Timeless, Dr. Knarf und Caput bis zu Ayouni eine bunte Protagonistenschar auf. Genau deswegen krankt die Nummer auch am Leiden der meisten Posse-Tracks: Äußerst durchwachsen und mir insgesamt zu lang, was so für das ganze Album "Sternenklar" gilt.
Der Vorzug des Gemischtwarenladens stellt zugleich sein Problem dar: Fast jeder findet etwas nach seinem Geschmack, aber eben auch massig, das kalt lässt oder den eigenen Vorlieben komplett zuwider läuft. Die harten Themen- und Stimmungswechsel zwischen Entspannt-durch-die Hood-Cruisen ("Eine Hand Aus Dem Fenster", "Kingz"), Weltpolitik ("Regen", "Arabische Gärten"), Lovesongs ("Nachtflug", "Halbwegs OK"), Hip Hop-Hommage und Selbstabfeierei ("Echter Rap", "S.T.A.R.") muss man abkönnen.
Ich tu' mich zwar schwer damit, weil so keine der vielen angerissenen Stimmungen so richtig aufkommt, hab' aber immerhin überall das Gefühl, dass Tatwaffe mit Herz und Seele bei der Sache ist. "Ich mach' bei diesem Zirkus nicht mit, doch nicht für Geld, Alter.". Nö, dieser Mann will das alles genau so haben, also zieht er sein Ding durch, Kehrtwende um Kehrtwende. In seiner Konsequenz wirkt das dann auch schon wieder geradeaus, auf jeden Fall aber passend zur abschließend noch einmal explizit ausgegebenen Maxime: "Bleib Deinem Kurs Treu".
4 Kommentare mit 25 Antworten
Savas soll mal einen Track darüber machen, wie Melbeatz ihn damals geschlagen hat.
Häusliche Gewalt gegen Männer ist im Deutschrap thematisch eindeutig unterrepräsentiert.
Würde bis heute zu gerne wissen, ob die Story wahr ist. Hier nochmal die wundervollen - inzwischen geschwärzten - Zeilen:
„Kool Savas war nie ein Gangster. Melbeatz, die Exfreundin von Savas, die war Gangster. Die hatte eine echte Gangvergangenheit, vor der hatten alle richtig krass Respekt. Als ich mal bei ihr und Savas zu Hause rumhing, kommt sie rein, verpasst Savas zwei Backpfeifen und brüllt ihn an: ‹Hab ich dir vorhin nicht gesagt, du sollst abwaschen?„
wo hast du das her?
Kannste Staiger fragen...
https://www.youtube.com/watch?v=G4d8WvRQKh4
"tatwaffe hurensohn" (bass sultan hengzt sinngemäß 2006)
Verwzeifeltes Namedropping ala Farid Bang
nein. 2006 war das noch legitime punchline
https://www.youtube.com/watch?v=hXnot-pTsUw
Korrektur: raptile = hurensohn; tatwaffe= hundesohn
die 99 +x geborenen müssen jetzt monika griefahn googlen
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
Hengzt 2006 Boss
Zu hart für Django
Da hab ich lieber Olli Banjo und Kollegah gepumpt!
Hurensohn, Schwulensohn, Hundesohn, Mikrofon...der Rhyme ist fett, der Rhyme ist fett.
olli banjo
Bitch, please! Zu der Zeit mit der beste MC! Leider ziemlich nachgelassen, aber cooler Dude nach wie vor.
man muss ihm lassen, dass er bei Sidos Possetrack vor paar Jahren den mit Abstand schlechtesten Featurepart auf gehobenerem Niveau abgeliefert hat den es gibt und das bei so hochkarätiger Konkurrenz wie dem müden Pelham oder Smudo
Dieser Kommentar wurde vor 8 Jahren durch den Autor entfernt.
gehobener weil ich darunter mit den facebookencees anfange..ja Django...die mit eigenem Studio Marke "Samstag Abend, alle sind unterwegs aber ich arbeite"
würden sie lieber mal den Hausmüll rausbringen
@garret ja das stimmt. aber wegen pelham und smudo hat ich das teil nie ganz gehört
was wurde eigentlich aus moni k? seit dem hirntot prozess nie wieder was gehört irgendwie kein feldzug mehr gegen berliner rap O.o
aber dafür macht ja jetzt voker beck jetzt ihren job
@django
2006 war kolle höchstens (mäßig)begabter RBA spast
Nö, da gabs schon Zuhältertape 1 und Boss der Bosse! Danach gings stetig bergab bis auf 1-2 Ausnahmen.
Für mich hat der Kolle-Abstieg ab 2011 begonnen
Höre mir die RBA-Runden immer noch lieber an als Zuhältertape 3, sorry. Über 90% des Krams zwischen 1,2 und 3 müssen wir gar nicht erst reden.
zuhälter 3 hatte schon parallelen zu bossaura, war in sich aber noch interessant genug. 2010 war, für mich, das Hoodtape gelungen. alles Phasen vor den eingeölten Muscleshirts und dem endgültigen Wegfall des Kaschierens schlechter Beats
zht 3 war nMn der höhepunkt seines schaffens. bossaura sein schwächstes werk. Alphagene ist miserabel gealtert. Der Rest ist gut bis sehr gut.
Tatwaffe ist ein guter und sollte generell nicht auf "die Eine" reduziert werden. Review ist nachvollziehbar, als Lokalpatriot gibts aber natürlich einen Stern mehr
Zitat aus der Rezension: "Angesichts der kaum verschleierten Bocklosigkeit, die mehr als einer seiner Zeitgenossen an den Tag legt, wirkt, was in einer Kultur, die allenthalben nach Realness plärrt, eigentlich die Regel sein sollte, ziemlich erfrischend."
Solche Konstruktionen mit zig Einfügungen sind furchtbar! Ich musste den Satz fünf mal lesen um zu verstehen, was gemeint war.
Dui bist halt einfach saudoof. Face it.
Na, ich mag halt einfache Konstruktionen, die genau so viel aussagen. Des is des Selbe in wissenschaftlichen Arbeiten: Im deutschsprachigen Raum versucht man in akademischen Arbeiten unglaublich kompliziert die Ergebnisse darzulegen. Wer einfache Sätze schreibt, bekommt entgegnet: "Aber das ist ja nicht wissenschaftlich!" In englischsprachigen Arbeiten im akademischen Bereich hat kaum ein Satz mehr als 10-15 Worte.