laut.de-Kritik

Monster-Debüt von einer der vielseitigsten UK-Punk-Bands.

Review von

Gerechtigkeit lässt oft auf sich warten. Denkt man an UK-Punkbands der ersten Stunde, sind Namen wie The Clash oder The Sex Pistols schnell bei der Hand. The Damned, immerhin die Interpreten der ersten britischen Punk-Single "New Rose"? Waren am Veröffentlichungstag im Oktober 1976 Outsider und sind es bis heute geblieben. Sie kamen zuerst und wahrscheinlich gehen sie auch zuletzt. Sid Vicious und Joe Strummer sind tot. Captain Sensible (Bass) und Dave Vanian (Gesang) leben noch und durften zur Belohnung im Februar 2017 den 40. Geburtstag ihres High Energy-Punk-Classic-Debüts "Damned Damned Damned" feiern, das in einer Anniversary-Deluxe-Edition mit ausführlichen Liner Notes neu aufgelegt wurde.

Mitte 1976, einige Monate bevor die Punk-Welle das Vereinigte Königreich erfasst, entstehen die DIY-Labels Stiff und Chiswick Records, die finanziell und vertriebsmäßig unabhängig von Majorlabels agieren. Independent nennen sie sich selbst nicht, aber das übernehmen bald andere für sie (selbst als sich beide Labels später beim Vertrieb doch von den Großen unterstützen lassen). Clash, Pistols und selbst die ebenfalls früh in Manchester gestarteten Buzzcocks wandern bald zu Majorlabels über. The Damned dagegen: zum Scheitern verdammt. Man fühlt sich wohl bei Stiff und später bei Chiswick, und wenn man sowieso nur saufen und Party machen will, wieso sollte man sich dann mit Anzugträgern von der Industrie rumärgern?

Die mit dem Punk-Hype einsetzenden Sell-Out-Vorwürfe bleiben für The Damned schon deshalb Fremdworte, weil kein Majorlabel ihnen je unerhört attraktive Summen geboten hat. Ob Fluch oder Segen: The Damned blieben stets für sich. Daraus dürfte auch die selbstbewusste Leichtigkeit resultieren, mit der das Quartett fortan seinen Stil variiert. Schon beim zweiten Album "Music For Pleasure" (1977) drosseln sie die Geschwindigkeit und experimentieren mit Pop und Psychedelik. Sie engagieren Pink Floyd-Drummer Nick Mason als Produzenten (da Syd Barrett unabkömmlich) und treten 1979/80 als Geburtshelfer für die Gothic-Rock-Richtung in Erscheinung. Diese Variabilität beeindruckt später die unterschiedlichsten Bands: Von Black Flag über Bad Brains bis hin zu Green Day, Offspring, Behemoth und Guns N' Roses (die "New Rose" covern) reicht die Palette ihrer Verehrer.

22. Oktober 1976: Captain Sensible, Dave Vanian, Brian James (Gitarre) und Rat Scabies (Drums) halten ihre Single in den Händen und glauben es selbst nicht. Niemand klingt wie sie, das Wort Punk existiert noch nicht. Nur die Freude am Krawall, die der Bandgründer James zuvor mit Scabies schon in der Formation London SS (mit Clash-Gitarrist Mick Jones) ausgelebt hat. Mit dem Glamrock-Fan Sensible und dem gut aussehenden Horrorfilm-Spezialist Vanian entsteht ein ganz besonderes Gebräu. Speziell für den Captain geht ein Traum in Erfüllung: In seiner Zeit als Toilettenreiniger übte er die Gitarrensoli von Jimi Hendrix, bis seine Finger bluteten, und als er sie drauf hatte, waren sie plötzlich nicht mehr angesagt. Da Damned-Bandgründer James auf seinem Instrument beharrt, steigt Sensible auf den Bass um.

Die musikalischen Gemeinsamkeiten sind schnell gefunden: MC5, Stooges, Velvet Underground, andere Outsider eben. Dennoch würdigen The Damned mit den ersten Worten von "New Rose" die Girlgroup Shangri Las und ihren '64er Hit "Leader Of The Pack": "Is she really going out with him?", fragt Vanian rhetorisch, denn bei den Damned endet der Song nicht tragisch. Brian James lässt ein furioses Riff vom Stapel und Vanian seiner Freude über die jüngste amouröse Eroberung freien Lauf: "I gotta new rose, I got her good / Guess I knew that I always would / I can't stop to mess around / I got a brand new rose in town". Ein UK-Punk-Klassiker, der Geschichte schreibt: Erst fünf Wochen später erscheint die Pistols-Single "Anarchy In The UK" (wenngleich Rotten und Co. schon vor den Damned Konzerte gaben).

Auch die Single-B-Seite von "New Rose" verdeutlicht die Sehnsucht der Gruppe nach Neuorientierung: Auf "Help" stutzen The Damned das Beatles-Original rigoros zusammen. Captain Sensible erinnert sich: "Die Beatles hatten alles andere so lange überschattet. Als Musik-Fan regte ich mich schon auf, wenn ich sie nur sah. Da kam die Gelegenheit, einen ihrer Songs zu zerstören, gerade recht." Dass zu diesem Zeitpunkt bereits sieben Jahre seit der Beatles-Trennung ins Land gegangen sind, sagt einiges aus über die massive Strahlkraft der Liverpooler Pop-Könige.

"Damned Damned Damned" erscheint im Februar 1977 zwischen Bowies "Low" (Januar) und Iggys "The Idiot" (März). Deren experimentelle Schlagrichtung beeindruckt die Band auf ihren folgenden Alben nachhaltig. Das Damned-Debüt ist jedoch noch randvoll mit lehrbuchhaften Pop-Punk-Hymnen. "Neat Neat Neat" zählt zu den besten Rock-Openern ever, maßgeblich dank der Killer-Bassline von Captain Sensible. Auch "I Fall" und "See Her Tonite" drücken gut aufs Tempo und lassen gerade im Vergleich zu den Sex Pistols die hohe musikalische Vorbildung der Beteiligten erkennen.

Doch schon auf dem Debüt sind The Damned nicht nur für rasendes Zwei-Minuten-Gedresche zu haben: So erinnert das ruhige "Feel The Pain" mit seinen dissonanten Akkorden und Vanians Intonation an Lou Reeds Combo, während "Fan Club" ein psychedelisch abgehangener 60s-Rocker ist, der relativ unverblümt in Richtung Stooges schielt. Ihr auf späteren Alben noch deutlicher zur Schau gestelltes Talent für Atmosphäre macht "Born To Kill" zu einem Album-Highlight, das völlig ohne Backgroundgesang auskommt. Im Gegensatz zum aggressiven Titel verströmt Vanians teilnahmsloser Vortrag hier mindestens so viel Fuck-You-Attitüde wie ein Brecher der Marke "Neat Neat Neat".

Platz 36 der LP-Charts heißt es am Ende für "Damned Damned Damned". Glamrocker Marc Bolan von T.Rex engagiert sie für seine letzte UK-Tour als Support. In Erinnerung bleiben chaotische Bühnenauftritte (Sensible urinierte gerne mal ins Publikum) und das heute legendäre Tortenmatsch-Cover, das die Fun-Punk-Ästhetik vorweg nimmt. In seiner Bela-Lugosi-Verehrung trägt Sänger Vanian zudem noch vor Robert Smith Lippenstift auf.

Mit "I Feel Alright", einer wilden Coverversion des Stooges-Songs "1970", endet ein großartiges Debütalbum. 40 Jahre nach der Veröffentlichung erfährt "Damned Damned Damned" nun noch einmal die verdiente Anerkennung in Form eines ansprechenden Re-Releases und wird dadurch hoffentlich noch mehr Liebhaber finden. Schließlich verbürgte sich schon der unsterbliche Lemmy Kilmister für Vanian und Co.: 1978 stieg der Motörhead-Boss kurzzeitig bei The Damned ein, nachdem die Bandgründer James und Scabies ihren Ausstieg verkündeten. Erneut gelang The Damned damit eine historische Wegmarke: Sie waren eine der ersten Punk-Bands, die sich auflösten.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Neat Neat Neat
  2. 2. Fan Club
  3. 3. I Fall
  4. 4. Born To Kill
  5. 5. Stab Yor Back
  6. 6. Feel The Pain
  7. 7. New Rose
  8. 8. Fish
  9. 9. See Her Tonite
  10. 10. 1 Of The 2
  11. 11. So Messed Up
  12. 12. I Feel Alright

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT The Damned

Die Londoner The Damned gelten als eine der wenigen Punkbands, die neben dem eigenen Genre auch den Gothic-Rock beeinflusst haben. Einzige Konstante der …

2 Kommentare mit 3 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    ich hatte nicht die geringste ahnung, dass die jemals mit t.rex unterwegs waren. danke fürs tolle detail, don z.

    ist wohl die einzige band, die sowohl für punk als auch für gothic gleichermaßen bedeutend ist. "black album". "strawberries" und "phantasmagoria" finde ich immer noch richtig gut hörbar.

    ist auch ein tolles goth-ehepaar, der vanian und patricia morrison.

  • Vor 7 Jahren

    Eine zweifelsohne wichtige Platte, quasi das zweite essenzielle Punk-Album nach "Ramones" (vorhergehende Protopunk-Alben nicht mit eingerechnet). Wie aber auch das Album der Ramones ist "Damned Damned Damned" ohne nostalgisch verklärten Blick nur ein schnörkelloses, solides Zeitdokument. 1977 kamen auch die Genre-Monumente "Pink Flag" und "Marquee Moon" auf den Markt und dagegen hat "Damned Damned Damned" nur Schülerbandniveau.