laut.de-Kritik
Extrem-Metaller entdecken den Melodic Rock.
Review von Jürgen LugerthDem schwedischen Night Flight Orchestra widerfährt momentan quer durch den Blätterwald und auf der weltweiten Datenautobahn so viel überbordende Bewunderung, dass man meinen könnte, die Beatles wären wieder auferstanden. Ob das alles noch im richtigen Verhältnis steht, darf angezweifelt werden.
Das musikalische Genre, das die Nachtflieger bedienen, nennt sich Melodic Rock oder AOR und wurde/wird gemeinhin von allseits bekannten Mainstream-Bands wie etwa Boston, Asia, Toto, Foreigner oder Survivor geprägt und repräsentiert. Das Lustige an der Sache ist, dass die Protagonisten des Night Flight Orchestra zum größten Teil aus der ganz derben Ecke des Metal kommen, von Prügel-Bands wie Arch Enemy oder Soilwork beispielsweise.
Möglicherweise hatten die Herren irgendwann ihr eigenes Gebrüll satt und besannen sich folglich auf ihre unschuldige frühe Jugend, als sie noch ergriffen den oben angeführten Bands lauschten, ohne zu ahnen, in welch finstere Raserei später ihr eigenes Musikerleben ausarten würde. Irgendein Erweckungserlebnis muss es jedenfalls gegeben haben. Und das führte dazu, dass die Extrem-Metaller plötzlich Alben voller Wohl- und Schönklang einspiel(t)en. Der Promo-Zettel zum schon dritten Album "Amber Galactic" vermutet darüber hinaus, dass zur musikalischen Kursänderung auch jede Menge Alkohol beigetragen habe. Ah ja.
Nüchtern betrachtet jedoch liefert das schwedische Nachtflugorchester zwar eine recht nette, unterhaltsame Platte mit unzähligen Referenzen an alte Helden ab, bleibt aber im Gesamten ziemlich harmlos und ist von einer Sensation recht weit entfernt. Zu Euphorie besteht deshalb meiner bescheidenen Meinung nach kein Anlass. Ganz nebenbei ist das lahme Cover-Artwork auch nicht gerade ein Überflieger.
Natürlich klingen Songs wie der Opener "Midnight Flyer" oder der Schluss-Track "Saturn In Velvet" sehr gefällig, und an vielen Stellen hört man wirklich exzellente Gitarrenarbeit und sehr atmophärische Keyboards, aber innerhalb dieser Klammer gibt es eine Menge Geklautes oder einfach schon zu oft Gehörtes. "Gemini" erinnert an die Doobie Brothers, "Sad State Of Affairs" verwurstet Kiss-Riffs, "Jennie" bemüht das altehrwürdige Electric Light Orchestra, "Josephine" verneigt sich gar vor Sir Elton John und "Something Mysterious" bedient sich bei den Tigeraugen von Survivor. Immerhin ist "Space Whisperer" ein ziemlicher Kracher. Da rockt es ordentlich.
Manches wie "Domino" ist sogar richtig langweilig. Ab und an hinzugefügte Gimmicks wie angespacte Intros, launiges Disco-Gehopse oder Pop-Trallalla im Hintergrund reißen es auch nicht raus. Zu guter Letzt: Ein Sänger wie Björn "Speed" Strid mit seiner eher sonoren, nicht all zu wandlungsfähigen Stimme ist für diese Art Mucke nicht unbedingt die Idealbesetzung. Insofern liefert das ganze Projekt allen Lobeshymnen zum Trotz eher guten Durchschnitt ab.
Sagen wir so: In seinen schwachen Momenten ist das Night Flight Orchestra deutlich schlechter als fast alles Mittelmäßige von den Bands, die als Vorbild dienen. Und an Meilensteine wie etwa "More Than A Feeling" von Boston, "Wheel In The Sky" von Journey, "Africa" von Toto oder alle legendären Foreigner-Songs von "Urgent" bis "Juke Box Hero" kommt das Ensemble auch in seinen stärksten Stücken nicht ran. Selbst das totgenudelte "I Was Made For Loving You" von Kiss hat letztlich die Nase vorn. Wir wünschen allen Beteiligten trotzdem viel Spaß und guten Flug!
13 Kommentare mit 3 Antworten
Das Debüt von 2012 ist ein Meilenstein, die beiden anderen tatsächlich etwas schwächer.
Ou! Dann sollte ich mir das erste mal reinziehen. Das hier ist wirklich nicht so stark, wie man überall liest!
grandiose truppe, die technisch wie emotional überzeugt.
melodic rock/aor/classic rock wird sowieso deutlich unterschätzt. es müssen ja auch nicht immer nur die ewig gleichen "survivor"-verdächtigen als referenz dienen.
als ergänzung zu diesem wirklich gelungenen projekt empfehlen sich etwa russ ballards "the fire still burns"-album, dessen vorherige 84er-scheibe (mit "voices")
oder
das debüt von gtr ("the hunter")
oder die ersten beiden scheiben von phenomena (mit glen hughes)
oder den 1982er "loser" von der unterschätzten deutschen band trance https://www.youtube.com/watch?v=HBsI1VyAenk
im grunde bräuchten wir auch mal ne lautliste "die besten aor-songs".
Grad vorgestern das ominöse Orchester aufm Rock Hard Festival erleben dürfen. Album geht ja noch. Live vom Sound und der Performance her eine Katastrophe. Da hat gar nichts gepasst. Tja. Hype.
Beim Wort Prügel-Bands bin ich ausgestiegen. Was für geistige Tiefflieger schreiben mittlerweile für laut.de - Beschämend schlechte Qualität der Review.