laut.de-Kritik

Sinn und Sinnlichkeit.

Review von

Der Tiger kehrt der "Sexbomb" den Rücken zu, um Einkehr und Besinnung zu finden in Gospels und Spirituals. Tom Jones also auf dem Weg vom Saulus zum Paulus? Nicht ganz. Denn "Praise & Blame" präsentiert neben einem altersweisen Tiger auch noch immer loderndes Feuer mitsamt dem Willen, das Leben trotz sich immer widriger gestaltenden Umstände weiterhin zu genießen.

Auf dem Foto im Innenteil des Booklets steht Jones 2010 da mit ergrautem Haar und Bart, die Augen geschlossen, Gesicht und Hände beschwörend dem Himmel zugewandt. In einem mittlerweile siebten Lebensjahrzehnt erscheinen die großen Las Vegas-Gesten fragwürdiger und die persönliche Sinnsuche nach all dem Partylärm nimmt zwangsläufig einen höheren Stellenwert ein.

In den einzelnen Song-Titeln finden sich bereits all die Ingredenzien, die es braucht für den klassischen Kampf zwischen Gut und Böse: der Lord trifft natürlich auf den Devil in Hell, um vor Ort zu versuchen, die bedauernswerte Soul fürs christliche Grave zu erretten.

Mit düster trommelndem Stakkato erfährt Bob Dylans "What Good Am I?" eine höchst geglückte Neu-Interpretation. Die Arrangement-Ausstattung verbleibt karg-spartanisch, und stellt Jones' gealterte, doch nach wie vor kraftvolle Stimme in den Vordergrund. "Lord Help" gibt einen an den Elvis der Fifties-Phase gemahnenden Blues-Rocker. Mit "Run On" ist dann direkter Cover-Handschlag in Richtung King vorhanden.

Hautnah spürbar: Konzentration und Elan, mit denen sich Jones in seine Aufgabe stürzt. Frei von schwülstigem Gospel-Kitsch mit Chor-Hundertschaften zelebriert der Waliser seinen Gottesdienst in der kleinen Hinterhofkirche nebenan. Das bekommt Intensivität und Authentizität des Vortrags ausgezeichnet. Jones begeht nicht den Fehler, eine womöglich auf Dauer ermüdende Platte vorzulegen, die sich nur auf stille Spirituals konzentriert. Fürs abwechslungsreiche Tempo sorgen Rhythm And Blues, und auch mal eine Prise Rockabilly.

"Strange Things" geschehen jeden Tag, mutig stellt sich Tom dem mit viel Drive und Honky-Tonk-Piano in der Hinterhand entgegen. John Lee Hookers "Burning Hell" präsentiert eine aggressive Gitarre mitsamt beschwörend artikulierendem Sänger. "Don't Knock" inszeniert einen angriffslustigen Tiger, dem die Unterstützung dank mutiger Gitarre und punktgenauem Chorgesang weitere Entschlossenheit zum Kampf verleiht.

Fast hat es den Anschein, als befinde sich Mr. Jones in seiner persönlichen Rick Rubin-Phase, was das Interieur der aktuellen Songs angeht. Sicher nicht zufällig bedeutet "Ain't No Grave" natürlich eine Verbeugung vor den American Recordings des Johnny Cash. Doch während vom Man in Black zwangsläufig wenig Neues mehr zu erwarten ist, sieht das bei Tom Jones erfreulicherweise eventuell doch anders aus.

Trackliste

  1. 1. What Good Am I?
  2. 2. Lord Help
  3. 3. Did Trouble Me
  4. 4. Strange Things
  5. 5. Burning Hell
  6. 6. If I Give My Soul
  7. 7. Don't Knock
  8. 8. Nobody's Fault But Mine
  9. 9. Didn't It Rain
  10. 10. Ain't No Grave
  11. 11. Run On

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