laut.de-Kritik
Sterilisierter Abklatsch eines Erfolgsrezepts.
Review von Philipp KauseUB 40 werden 45 und nehmen das als Anlass für "UB45". Sie waren ja mal eine ganz große Nummer. Denkt man zurück an berührende Sozialstudien wie "Guns In The Ghetto", frage ich mich, wieso ich die Engländer nie für unsere Meilensteine vorgeschlagen habe. Denn sie erfüllen die Voraussetzungen: Sie veränderten die Musikgeschichte, indem sie viele Leute überhaupt erst ans Genre Reggae heran führten, die damit vorher nichts am Hut hatten. Meinen Geschmack bereicherten sie, als "Can't Help Falling In Love" meine Liebe zu Sounds entzündete, die wie unter Wasser aufgenommen wirken. Und jeder Musikfan sollte sie Genre-übergreifend als Beweis gehört haben: Dafür, wie eine alternative und kapitalismusskeptische Underground-Sache, nämlich die kleine britische Rasta-Welle, kommerzielle Pop-Popularität in vielen Ländern erreicht.
Darin schlummert die Ironie der Geschichte, wenn man an den Namen der Gruppe denkt: UB40 war eine Formular-Nummer für ein Papier zum Beantragen von Arbeitslosenunterstützung, in einer Zeit, als Großbritannien den großen Kahlschlag, die Schließung von Industrie-Standorten und Bergwerken, erlitt und Margaret Thatcher den Neoliberalismus einführte: das Abschieben aller volkswirtschaftlichen Risiken aufs Individuum. Wenn UB40 auftraten, etwa im deutschen 'Rockpalast' oder bei 'Live aus dem Alabama' in TV-Formaten mit großer Reichweite in den 80ern, dann zielten sie paradoxerweise auf die systemkritischen Punker genauso wie auf die Synthie-Ästhetik liebenden Popper. Dieser schelmische Schritt gelang wenigen.
Hört man sie heute, dann gehen sie mit ihrem frühen Fan Chryssie Hynde, einst Gastsängerin auf "I Got You Babe" und "Breakfast In Bed", konform. Während Chryssie heute bei Konzerten einzelne im Publikum zusammen staucht, weil sie ihre Playback-Gitarrenmassage fotografieren, leben UB40 im Studio aus der Loop- und Sample-Konserve. Das neue Album erscheint nach weiteren Todesfällen der Gruppe, die schon vor über zehn Jahren in zwei miteinander zerstrittene Bands zerfiel. Noch schlimmer als die Vorgänger-Platten klingt der Jubiläums-Aufguss der alten Erfolgsrezeptur sterilisiert und vakuumisiert. Für freches Augenzwinkern ist kein Spielraum mehr. Das Projekt tötet jegliche Leidenschaft ab und besitzt null Gespür für Dramatik. Egal an welcher Stelle man sich in "UB45" einklinkt, hört man gefühlt das Identische wie an jedem anderen Punkt.
Versucht man, konzentriert auf Feinheiten zu achten, mündet das in chronische Unterforderung. Die nachbesetzte Combo mit dem neuen Sänger Matt Doyle verfolgt offenbar nur einen einzigen Anspruch an sich selbst: Zu beweisen, dass er alte Hits singen kann. Rein technisch gesehen kann er das auch. Zumindest meistens. In "King" (Original: 1980) mutet er recht flachbrüstig und unsicher an. Doch wahrscheinlich würde sein Organ sowieso in einem Charts-Dancepop-Kontext besser passen: Matt hört sich nicht wie die Verkörperung von Reggae an.
Zur Hälfte knöpft sich die Scheibe x mal veröffentlichte Lieder vor. Etliche stammen als Coverversionen aus anderen Musikstilen. Doch auch in diesen Stücken wirkt Doyle wie ein Fremdkörper mit kaum charakteristischer Stimme, eher ein zweckmäßiges Füllsel. Dass die Forties hierzulande ausschließlich mit Covers berühmter Schnulzen ihre großen Hits landeten, wie "Cherry Oh Baby", gehört zur traurigen Wahrheit rund um dieses Band-Jubiläum herum. Dass fast alle Reggae-Medien und Festivals schon sehr lange einen Bogen um die (beiden) Gruppe(n) machen, ist ein weiterer Teil der Tragik. Wenn ganz selten mal eine der beiden Fraktionen für Groß-Events gebucht wird, dann die Abspaltung Ali Campbells.
Der Move der anderen UB40, jetzt auf der Neueinspielung "Red Red Wine" einen namenlosen Ragga-Rapper in Eurodance-Manier rein zu montieren, geht vielleicht auf Third Worlds geschmackvolleren Hit "Theme From The Underdog - Rap Version" aus dem Jahr 1989 zurück. Die konkrete Umsetzung unterbietet die schauderhafte Qualität des ganzen Albums als gnadenloser Tiefpunkt. Immer wieder in der Abmischung übertönt der überflüssige Lead-Sänger den Rapper und relativiert diesen zum Marionetten-Kasper, der verzweifelt Gehör sucht. Vom Niveau her könnten die Briten im Vorprogramm von Andy Borg auftreten oder in einer TV-Show mit Barbara Schöneberger. Jener MC Gilly G legt noch weitere Kurzauftritte hin, zum Beispiel in "Trouble".
Weitere Minuspunkte: Eine so stumpfsinnige wie sedierende Fassung von Bill Withers' feinfühliger Soul-Ballade "Hope She'll Be Happier" mit dem fragwürdigen Charme einer K.I. hätte nicht sein müssen und bekleckert Bills Erbe mit Dilettantismus. Das brav herunter gesungene "Kingston Town" erweist sich derweil als unkaputtbar. Neue Einfälle kamen der Band jedoch keine. Das Saxophon-Posaune-Arrangement des fraglos wichtigen Klassikers "Food For Thought" hört sich teilweise gequält und gequetscht wie in einer Übungsstunde an der Jazz-Akademie an, jedenfalls unnatürlich.
Die wunderschöne Soul-Nummer "Gimmie Little Sign" als "Gimme Some Kinda Sign" aalglatt und gefühllos zu covern, ist an sich schon schlimm. Zudem gibt es den Track längst als Reggae, in der Referenz-Version des geschätzten Owen Grey, jamaikanischer Rocksteady-Pionier der allerersten Stunde. Die anachronistischen Spieluhren-Keyboards in "Sing Our Own Song" wirken dagegen immer noch nett. Allerdings fragt man sich, wo das großmundig versprochene "fresh treatment" bleibt, das die Gruppe laut PR-Briefen und Interviews von Gitarrist Robin Campbell vorhatte. Immerhin bleiben Zeilen wie "We fight for the right to be free / and we build our own society" seit 1986 großartige Singalongs. Aber rechtfertigt sowas bei der üppigen Flut an UB40-Best Of-CDs, Anthologien, Greatest Hits und Präsenz auf Hit-Samplern dann wirklich noch ein weiteres Album?
Die Band verschanzt sich hinter ihren politischen Inhalten auf "Fool Me Once" und "Home", um die Relevanz des Releases zu untermauern. Der eine Song handelt von den Leuten, die Boris Johnson beispielsweise im Brexit-Votum auf den Leim gingen und sich gern populistisch verführen lassen. Der andere spielt auf die latente Xenophobie im multikulturellen Einwanderungsland Großbritannien an. Schon als Reggae, Ska und Punk zwischen Coventry und Wolverhampton aufkamen, war das ein großes Thema: Karibische oder afrikanische Einwanderung, die zur Mittelschicht in Dienstleistungsberufen beitrug und als Sozialschmarotzerei verschrien wurde, wie es Spitzenpolitiker:innen von Thatcher bis Theresa May immer wieder gerne suggerierten.
Dieses Narrativ aufzubrechen, ist ein Identitätsthema einiger englischer Underground-Genres bis hin zum Trip Hop. Leider transportiert Frontmann Doyle diesen Content mit seinem gleichgültigen Gesang gar nicht. Die Messages sind einigermaßen versteckt. Außerdem tröpfeln die Musik-Arrangements rundherum zu belanglos, manieriert und künstlich. Hier springt leider kein Funke über. Und für "Tyler", einen der ältesten Songs, greife man bitte zum Original vom Debüt "Signing Off", mit dubbigem Blubbern, ausdrucksstarken Vocals, angejazzter Grundstimmung, gut austarierter Lead Guitar und visionär frühen Elementen von Drum'n'Bass.
2 Kommentare
geiles Ablung
Reggae für Menschen, die keinen Reggae mögen.