laut.de-Kritik

Marktkonforme Texte zu kleinen Wagnissen von Ikke Hüftgold.

Review von

Vanessa Mai habe "frischen Wind" gebraucht, erläuterte Ikke Hüftgold vor einigen Wochen im laut.de-Interview. "Dann haben wir uns getroffen und festgestellt, dass es menschlich überragend funktioniert - und auf kreativer Ebene auch. Deshalb haben wir jetzt das ganze Album für Vanessa produziert." Ob die Zusammenarbeit mit Summerfiled Records, den Sachverständigen für die Ballermann-Eskalation nicht auch ein Risiko für sie berge? "Nein", winkte er ab, "Sie bleibt sich ja treu, schaut aber trotzdem über den Tellerrand hinaus, um auch mal andere Genres anzukratzen."

Tatsächlich brechen Ikke Hüftgold, Dominik de Leon und Co. den gefälligen Stillstand von "Metamorphose" auf. "Wir Lieben Das" kommt zunächst im NDW-Gewand daher, bevor es im Chorus in Sichtweite die Balearen umkreist. "Nicht Von Dieser Erde" versucht sich an Dance-Musik inklusive einer Hommage an Alice DeeJay. "Jalousie" treibt vom Popschlager zum Eurodance-Refrain. "Löwenherz" dürfte der von Summerfield produzierte Song sein, der am ehesten in die Schublade für handgemachte Musik passt. Und "Limited Edition" bildet dazu das plakative Gegenstück mit Club-Szenario.

Den kleinen Wagnissen auf produktioneller Ebene setzt Vanessa Mai marktkonforme Texte entgegen. "Alles wird gut, alles wird gut", wiederholt sie wie Taby Pilgrim im Intro zu "Nest", nur dass sich bei der "Schlager"-Sängerin anstelle morbider Chansons eine sommerliche Atmosphäre entfaltet. "Leb' den Tag zweimal, wenn er doch geil war. Schalt' dein' Kopf ab, drück Repeat", singt sie vergnügt. Vordergründig funktioniert "Leb Den Tag Zweimal" als Hedonismus-Hymne, doch mit seinem Jogging-Rhythmus ist es gleichermaßen für selbsterklärte Leistungsträger beim Frühsport nutzbar.

Vanessa Mais Vorstellung der Sentenz 'Carpe diem' funktioniert somit sowohl als Aufforderung zu Vergnügungssucht als auch im Sinne von 'Work hard, play hard'. Vor allem "Wait A Minute" fällt in diese doppelbödige Kategorie. "Haben wir schon vergessen, dass die Zeit vergeht?", fragt sie rhetorisch und träumt sich hinfort zu Fahrradtouren durch Prag. Doch im nächsten Moment wähnt sich die Hörerschaft im Anpacker-Podcast "Einfach mal machen" des CDU-Generalsekretärs Carsten Linnemann: "Lass uns anfangen, endlich nicht mehr nur zu reden. Was passiert, wenn wir's einfach tun?"

Mehr noch als bislang zielt Vanessa Mai mit "Matrix" auf junge Menschen, die an der pubertären Pforte anklopfen. "Ich pass' nicht in eure heile Welt", imaginiert sich das lyrische Ich im Titelsong einen Outlaw-Status zurecht. "Ihr wisst immer alles über mich. Doch was jetzt kommt, das kanntet ihr noch nicht: Komm vorbei und schau dich um. Hier gibt's die geilsten Partys!", singt sie mit der störrischen Mentalität eines Teenies, das darunter Rebellion versteht, aber nach einem verrückten Sommer eine Banklehre startet. Das ist keineswegs ehrenrührig, aber markiert eben auch kein Außenseitertum.

Wenn sie das vermeintlich nonkonformistische Leben zu überfordern droht, lässt Vanessa Mai die "Jalousie" herunter, um sich für etwas "Me-Time" zu vergraben. "Find' die Welt heute zum Kotzen. Könnt' mein Kissen heute boxen", singt sie erfüllt von juvenilem Eigensinn, "Ich hab' kein’ Bock auf euer Motzen. Es dröhnt der Sound aus mein' Boxen." Und während sich die Eltern wohl angesichts ihrer bockigen Haltung wissend zunicken, etikettiert sie diese kurzerhand zur Selbstbestimmung um: "Schau' aus dem Fenster, seh' die Menschen. Sind gefangen, lassen sich lenken."

"Kennst du das Gefühl, wenn dir jemand sagt, was du zu tun und zu lassen hast?", schmeißt sie sich rhetorisch fragend in Trotz-Pose, um in "Wir Lieben Das" gegen die Bevormundung anzusingen. Selbst die immer früher einsetzende Nostalgie findet mit "Wie Es War" ihren Platz. "Weißt du noch unsere Partys? Wie wir getanzt haben Arm in Arm? Im Häuschen, das jetzt nicht mehr da ist", drückt sie ihr großmütterliches Bedauern über vergangene Zeiten aus, die bestimmt schon zwei oder gar drei Monate zurückliegen mögen, "Ich denk' so gern' zurück und die Erinnerung lebt ewig!"

So lässt sich "Matrix" auf der musikalischen Seite als vorsichtige Weiterentwicklung verbuchen. Die große Schlager-Geste beschränkt sich auf "Unser Moment" und der befürchtete "Igel"-Wahnsinn bricht sich nur Bahn, wenn die aus Finchs Dorfdisko bekannten HBz ("Pink") oder Tribbs ("Tragic (Never Let Go)") ins Spiel kommen. Auf der lyrischen Seite verbleibt sie eine sympathische Hülle, die sich nach Zielgruppenanalysen ausrichtet, statt eben dieses Publikum auch nur minimal herauszufordern. Womöglich wäre das ja schon zu viel verlangt von einer Popschlager-Sängerin.

Trackliste

  1. 1. Leb Den Tag Zweimal
  2. 2. Wir Lieben Das
  3. 3. Löwenherz
  4. 4. Limited Edition
  5. 5. Nicht Von Dieser Erde
  6. 6. Jalousie
  7. 7. Oben
  8. 8. Wie Es War
  9. 9. Wait A Minute
  10. 10. Unser Moment
  11. 11. Pink (mit HBz)
  12. 12. Matrix
  13. 13. Tragic (Never Let Go) (mit Tribbs)

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