laut.de-Kritik
Enjoy real Jazz!
Review von Kai KoppDas "Enjoy Jazz"-Festival hat sich in den neun Jahren seines Bestehens zu einem der aufregendsten und innovativsten Festivals, die es für improvisierte Musik auf dem europäischen Festland gibt, entwickelt. Mut und Scheuklappenlosigkeit zeichnen die Veranstalter und das Programm aus, denn in Heidelberg wird nicht staubig vor sich hin geswingt. Hier trifft sich, was nicht so recht sortierbar ist, was in keine Schublade so recht passen will und deshalb unter dem Label "Jazz und Anderes" in den Regalen steht.
Der zum Festival gehörende "Enjoy Jazz"-Sampler ist das akustische Vermächtnis des Festivals 2007. DJ Jazzy Jeff feat. CL Smooth eröffnen den bunten Tonreigen mit einer Rap-Reimflut. Lässig, cool und Acid-jazzig präsentiert sich der Opener "All I Know".
Bei weitem experimenteller geht das Kammerflimmer Kollektief zur Sache. Wohl gemerkt, "Palimpsest" bleibt trotz immenser Entdeckungslust stets ein nachvollziehbares Jazz-Experiment, steht aber im krassen Gegensatz zum beatlastigen Opener. Gerade deshalb ist "Palimpsest" wohl als zweite Nummer platziert, macht sie doch deutlich, dass wir es hier nicht mit einem Mainstream-Sampler zu tun haben, der mit dem Wörtchen "Jazz" smoothe und beiläufige Extravaganz assoziiert. Nein, "Enjoy Jazz" überzeugt, ebenso wie das Festivalpendant, mit einem absolut eigenständigen Konzept, das die Bandbreite heutigen Jazzschaffens hervorragend abbildet.
Dritter im Bunde ist das von mir oft mit Vorschusslorbeeren bedachte Cinematic Orchestra, hinter dem der britische Soundtüftler Jason Swinscoe steckt. In "Familiar Ground" erhebt die Haus- und Hofchanteuse des Klangarchitekten, Fontella Bass, ihr Organ. Sie verpasst der Nummer mit ihren Hooks eine einzigartig ambiente Gänsehautstimmung, die nur das Cinematic Orchestra im Stande ist, zu erzeugen.
Barbara Lahr feiert 2007 ihr Soloalbum "Undo Undo". Das daraus stammende "A Queen Called Malingam" funzt im "Enjoy Jazz"-Kontext richtig gut. Die Teilzeit-De Phazz-Frontfrau sorgt, gemeinsam mit Tuomi ("Th' Expense Of Spirit"), für einen subtilen, balladesken Flow.
Aufpeitschend präsentiert das britische Neil Cowley Trio seine "Little Secrets". Als klassisch instrumentiertes Jazz-Klaviertrio rückt bei dem Brand New Heavies-Keyboarder der akustische Flügel in den Vordergrund. Das E.S.T. ist schon lange nicht mehr das einzige Trio, das kreativ mit Tönen und Tasten spielt.
Irgendwie abgedreht: Die Battles mit "Atlas". Rockdrums und -gitarren meets Sprachfetzen meets Irgendwas. Noiserock trifft Metal-Prog-Jazz (oder so ähnlich) heißt das dann in der Fachsprache. Tolle Combi, tolle Combo! Nach der Loop-lastigen Noise-Attacke tut es gut, von Hazmat Modine akustisch umworben zu werden. Die Tuba, das Schifferklavier, das Bariton-Saxophon, die Stimme, die Komposition, das Arrangement, die Instrumentierung, die Interpretation - einfach alles - erscheint als eine Würdigung des Schaffens von Tom Waits. Das New Yorker Trio konzentriert die Waits'schen Aussagen auf eine Quintessenz namens "Bahamut", den Titelsong ihres gleichnamigen Debütalbums.
Ins tiefste Mittelalter und seine musikalischen Weisen entführt "Rolandskvadet". Das norwegische Trio Mediaeval präsentiert sich geschichtsbewusst und modern. Ein Widerspruch? Nein! Ebenso wenig wie die "Sonata Seconda", die Maya Homburger und Barry Guy inszenieren. Der Kontrabassist Guy und die Violinistin Homburger zelebrieren im Duett ihre Vorliebe für Alte Musik. Ihre Leitidee: Solowerke aus der Barockzeit im Kontext von freier und improvisierter Musik zu interpretieren. "Wir wollen kein Crossover. Wir halten an der Verschiedenheit dieser Klangwelten fest. Es gibt aber emotionale Bezüge, die uns interessieren", erläutert Guy (und Arvo Pärt lässt grüßen).
Klangliche und ästhetische Schönheit gewähren Dino Saluzzi und Anja Lechner mit ihrem "Tango A Mi Padre". Seit mehr als zehn Jahren agieren die Beiden zusammen und formen ihre Vision aus Jazz, Folk, Ambient und Klassik. Auch Stefano Battaglia, der mit Neuer Musik sympathisiert, leistet einen hervorragenden Beitrag für das "Enjoy Jazz"-Konzept und setzt mit "Toto E Ninetto" den Schlussakkord.
"Enjoy Jazz" bietet erfahrenen Jazzhörern eine fast einmalige Gelegenheit sich über das aktuelle Schaffen hochkarätiger und potenter Jazzbands zu informieren. Jazzeinsteigern vermag der Sampler eine Tür aufzustoßen. Eine Tür in eine Welt, die sich um kompositorische Konventionen einen feuchten Dreck schert, die ihren eigenen Ausdruck sucht und findet, und sich nicht von Download-Zahlen in die erfinderischen Knie zwingen lässt. Alles in allem eine CD, die hält was sie verspricht: Enjoy Jazz!
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