laut.de-Kritik
Wenn sogar das Kreuzchen für die CDU seinen Schrecken verliert.
Review von Mirco LeierMit ihrem letzten Langspieler versprachen uns Jennifer Rostock augenzwinkernd, die schlimmsten Auswüchse ihrer ohnehin nicht gerade mit Meisterwerken gesegneten Diskographie überstanden zu haben. Um nicht nur wenige Jahre später wieder mit diesem Versprechen zu brechen, nutzt Frontfrau Jennifer Weist eben ihre Solokarriere als Schlupfloch. Clever. Man muss nicht besonders versiert in den musikalischen Machenschaften der in Usedom geborenen Sängerin sein, um festzustellen, dass ihr Solo-Debüt unter dem Rap-Moniker Yaenniver alles bis dato von ihr gehörte im negativen Sinne in den Schatten stellt.
Wer auch immer es für eine gute Idee hielt, einer Frau, deren unangenehme Penetranz schon im Korsett eines Popsongs jeden unterstützenswerten Inhalt ins Unerträgliche verzerrt, einen Trap-Beat vor die Füße zu werfen: Hoffentlich spritzt dir beim Kacken auf alle Ewigkeit das Wasser zwischen die Backen.
Es macht ja nicht einmal aus Werbe- oder Image-Gründen Sinn. Niemand, der sich für Hip Hop interessiert und nicht ohnehin schon Fan der Frau ist, wird diesem Projekt mit unvoreingenommenen, aufrichtigem Interesse begegnen. Die Hoffnung, dass "Nackt" irgendetwas anderes als ein Fremdscham auslösendes Feminismus-Manifest der Selbstüberschätzung werden könnte, verblasste ja schon mit jeder vorausgeschickten Single mehr und mehr.
Das "Intro" braucht keine 30 Sekunden, bis man zum ersten Mal im Boden versinken will. "Übertrieben cringe, dass die Bitch jetzt ein' auf Deutschrap macht": Nur weil man sich seiner Außenwahrnehmung bewusst ist und mit einer gewissen Selbstironie an die Sache herangeht, macht es den Inhalt nicht besser. Was Weist hier stilistisch zum Besten gibt, findet man so auch auf den Schulhöfen der Nation, wo sich Fünftklässler im Spucke-Regen eines Zahnspangen tragenden Beatboxers um ihr Pausenbrot batteln. Nur eben mit dem Unterschied, dass man denen wenigstens den Spaß dabei anhört. Weist klingt hingegen verbissen, als habe sie es sich mit aller Gewalt zur Aufgabe gemacht, auch in diesem Genre Fuß zu fassen, um ihrer genrefremden Hörerschaft eine altbackene Alternative zu Mutterfickern und Drogendealern zu liefern.
"Wie du weißt, üb' ich nächtelang / Nur für dich, bist du sagst: 'Gar nicht schlecht für 'ne Frau'": Nein, das ist 'sogar für eine Frau' (um dieses Narrativ zu bedienen) absolut unterirdisch. In den letzten Jahren tat sich viel hinsichtlich der weiblichen Repräsentation im Deutschrap: Juju, Shirin David, Haiyti, Nura, Badmómzjay, Ace Tee, Ebow: Alles Stimmen, die der Szene gut tun. Für Jennifer Weist gilt eher das Gegenteil. Repräsentation hin oder her: Ohne dieses Album wäre Deutschrap besser dran. Nicht nur weil Weist der handwerklichen Mittel schlichtweg nicht mächtig ist, sie begegnet dem Genre teils auch mit einer humorlosen, moralisch überlegenen Erklärbär-Mentalität, die den ohnehin vordergründigen Inhalt jeglicher Dringlichkeit beraubt.
Natürlich ist das, worüber sie rappt, in den meisten Fällen absolut richtig und unterstützenswert. "Ich Ficke Jeden" setzt sich für Polyamorie ein, "Mädchen Mädchen" hält einer sexistischen Gesellschaft den Spiegel vor, "For Real" skizziert einen misogynen Austausch auf einer Dating-App, wie es ihn garantiert allein heute schon tausende Mal gab. Das Problem liegt eben darin, wie sie diese Probleme anspricht. So progressiv die Inhalte, so prüde, krampfhaft, belehrend und letzten Endes regressiv der Vortrag. Das geht stellenweise so weit, dass man seine eigene Ideale hinterfragt. Ich bin queer und durch und durch linksversifft, aber dieses Album lässt das alles so uncool klingen, dass sogar ein Kreuzchen für die CDU plötzlich seinen Schrecken verliert.
Selbst wenn Weist ihren Fokus auf weniger politische Themen richtet, bleibt ihre textliche Ungelenkheit die Krux der LP. "Kifferin" (jedes Hip Hop-Album braucht einen Kiffer-Song, oder?) ist womöglich einer der schlimmsten Songs, die jemals jemand dem grünen Kraut widmete. Wenn Weist darüber rappt, wie gerne sie kifft, klingt sie wie eine Teenagerin, die einmal bei ihrem großen Bruder am Joint ziehen durfte und in der Folge ihr Kinderzimmer mit Bob Marley-Postern tapezierte. "Und sie fragen mich: Yaenniver, ist es wirklich wahr, sag mal bist du wirklich Kifferin". Das haben sie damals in der großen Pause bestimmt gemacht, ob es zwanzig Jahre später noch jemanden juckt, wenn eine 35-Jährige gerne mal ein Tütchen raucht? Fraglich.
Da liegt dann ultimativ wohl auch der Hund begraben. "Nackt" ist ein Album einer Frau Mitte Dreißig, die unbedingt allen beweisen will, dass sie den Zeitgeist nicht verschlafen hat, dass sie verdammt noch mal cool sein kann. Da reicht es eben nicht, seiner Hörerschaft progressive Botschaften mit auf den Weg zu geben, man muss ihnen auch auf plakativste Art und Weise einhämmern, dass man gerne kifft, dass man viel Sex hat und dass man den Humor der Jugend versteht. "Wenn du willst kann ich alles sein, von mir aus auch Manuel Neuer" - Doof nur, dass sich die Welt seit 2015 weiter drehte. Den vor fünf Jahren abgestandenen Manuel Neuer-Witz findet Weist sogar so lustig, dass sie ihn auf "For Real" von Feature-Rapper SwayClarke noch einmal wiederholen lässt. Erneut möchte man vor Fremdscham im Boden versinken.
Das spiegelt sich auch in den Beats wieder, die Yaenniver pickt. "Nackt" hat keine wirkliche kohärente musikalische Identität. Vielmehr fühlt es sich wie ein wildes Konglomerat verschiedenster Stilrichtungen an, das versucht, das Genre Hip Hop so breit wie möglich aufgestellt zu beschreiten, ohne jedoch auch nur einer Idee den Feinschliff zu geben, die sie benötigen würde. Auf "Ich Ficke Jeden" gibt's Westcoast-Synths aus der Retorte, auf "Intro" Trap-Drums, die drohen einzuschlafen, und auf "Energie" den dröhnenden Bass einer Marteria B-Seite. Die meisten Produzenten die hier an den Reglern stehen, weisen keinen besonders Rap-affinen Lebenslauf auf. Raphael Schalz und Vincent Kottkamp produzierten in der Vergangenheit Dosen-Beats für Acts wie Felix Jaehn und Grossstadtgeflüster, und das hört man.
Zu sagen, "Nackt" sei ein Hip Hop-Album, wäre jedoch nur die halbe Wahrheit. Songs wie "Halb So Ich" oder "Finger Auf Die Lippen" integrieren zwar hier und da die Elemente des Genres, fühlen sich aber musikalisch Seite an Seite mit Mark Forster, Lea und Co. inmitten von Deutschlands komatösem Pop-Vakuum wesentlich wohler. "Sag Deiner Freundin" traut sich sogar etwas ganz ausgefallenes und wärmt die mittlerweile schon schimmelnden Reste der 80er-Revival Welle auf. Das Ergebnis fällt erwartbar fad und leblos aus.
Hintenraus legt Jennifer Weist dann sogar vollends das Hip Hop-Korsett ab und stimmt die leisen Töne an. Hier greift dann auch erstmals das Konzept der emotionalen Nacktheit, das sie dem Album attestiert. Um einen wirklich bleibenden emotionalen Eindruck zu hinterlassen, reicht das allerdings nicht tief genug, dafür fehlen der Norddeutschen einfach die Qualitäten als Songwriterin. "Seebrücke" und "Outro" sind harmlose Balladen, was auf diesem Album einer Wohltat gleichkommt. Endlich mal Songs, die nicht wirklich weh tun, bei denen man nicht alle dreißig Sekunden tief durchschnaufen muss, um dem Impuls zu widerstehen, das gesamte Album auszuschalten. Insbesondere der Closer bemüht hinter seiner schnulzigen Silbermond-Tribut-Instrumentierung einige schöne Bilder, die Weist auch mit ausreichender vokaler Gravitas verkauft.
Um den Totalausfall zu verhindern, reicht das jedoch nicht. Jennifer Weists Debüt unter dem Moniker Yaenniver meint es ja eigentlich nur gut, agiert aber lyrisch so plump, ungelenk und unangenehm, dass es gleich mehrmals eine körperliche Reaktion in einem auslöst. Die absolut lieblose, plastische Musikalität des Ganzen tötet dann auch den letzten Rest an genuinem Unterhaltungswert, der sich irgendwo, gut versteckt, zwischen den Zeilen verbirgt. Ab einem gewissen Punkt, jenseits der Kapitulation, lässt man dieses Album einfach nur noch geschehen und findet sich damit ab, dass Menschen, die richtige und wichtige Dinge sagen, nicht davor gefeit sind, unglaublich schlechte Musik zu machen.
20 Kommentare mit 109 Antworten
Feminismus ist jetzt offiziell wieder uncool und man kann sich darüber lustig machen? Sehr gut.
Du bist echt durch und durch ein dermaßen weichgekochtes biodeutsches Landei, dass es bereits vor dem Verzehr kollektiv Übelkeit und Magenkrämpfe verursacht...
Windei aus Windhagen. Passt doch.
Ich möchte hinzufügen: nutze doch einfach die Hintertür Pornographie, die hier jüngst auch bereits irgendwie als rechts bzw. anti-feministisch eingeordnet wurde. Ich bin ebenfalls schon so dermaßen verwirrt, dass ich nur noch über alles lache. Das ist am sichersten.
"Das Problem liegt eben darin, wie sie diese Probleme anspricht. So progressiv die Inhalte, so prüde, krampfhaft, belehrend und letzten Endes regressiv der Vortrag." Und bringt dann einen prüden, krampfhaften und regressiven CDU Witz. Wow was haben wir hier nur für Virtuosen an den Tastaturen.
Yaenniver, bist du's?
ne, ist nur der olle sandro. der hat mal wieder sand im schritt
Sancho*
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Das ist dann wohl die Leisenberg'sche Unschärferelation
"bei denen man nicht alle dreißig Minuten tief durchschnaufen muss"
Bestimmt wollte der Autor hier "Sekunden" statt "Minuten" schreiben. Oder "Planckzeit"...
Upps.
Cool, dass du scheinbar so interessiert in Quantenmechanik und Kosmologie bist. Macht doch mega sympathisch :*
Geil, Frau Waist ähnelt mit zunehmenden Alter und nachlassendem Erfolg immer mehr der Ollen von Kalle Grabowski.
Als ich hörte, dass sie n Soloalbum rausbringt hab ich mich erst gefreut. Ich hatte immer das Gefühl sie könnte ein krasses Soloalbum bringen und nur die Band war also Schuld daran, dass der Output so beschissen war. Aber nach einem Durchlauf dieses Albums musste ich feststellen: ne ne, Frau Weist ist einfach unfähig gute Texte und Songs zu schreiben. Singen kann sie, Ihre Ansichten sind eigentlich vertretbar bis cool, aber daaaaaamn ist dieses Album unterirdisch schlecht XD
Volle Zustimm.
Dann doch lieber King orgasmus