laut.de-Kritik

Comeback ohne jede Strahlkraft.

Review von

Alphonse Pierre hat in seiner jüngsten Kolumne die Frage aufgeworfen, ob Young Thug, frisch aus dem Knast, über beide Ohren in Beef versunken, paranoid bis in den Tod, sein eigenes "Me Against The World" in sich haben könnte. Ob er quasi all den Wirbel und all die Negativität, die sein Leben seit seiner Inhaftierung für ihn bereithielt, in ein großartiges Album transformieren könnte.

Es war eine schöne Fantasie, aber "Uy Scuti" zeigt, wie weit sie von der Wahrheit entfernt ist. Nur, weil gerade sehr viel Druck auf Thugger lastet, entsteht leider noch keine überzeugende kreative Marschrichtung, und wenn man in die letzten Jahre seines Schaffens guckt: Marschrichtung fehlt ihm mehr als alles andere. "So Much Fun", das immer noch als sein Debütalbum gilt, markiert den Anfang einer seltsamen Phase, in der er mit Gunna und Lil Baby seinen eigenen Zöglingen hinterhergelaufen ist, weil die es geschafft haben, seinen seltsamen, idiosynkratischen Sound zu etwas kommerziell Erfolgreicherem zu transformieren. Thug hätte auch gerne das Geld statt nur den Einfluss. Aber sind wir ehrlich: Weder "Punk" noch "Business Is Business" hatten irgendetwas von dem zu bieten, das Thug eigentlich großartig macht.

"Uy Scuti" ist nun die Spitze dieser Entwicklung. Das Geile an Thug war doch früher, dass er geklungen hat wie zehn Jahre aus der Zukunft. Man konnte die "Slime Season"-Mixtapes oder "Barter 6" allen möglichen Oldheads zeigen und wusste, dass sie es zwar noch nicht, aber vielleicht bald verstehen würden. Nichts von dieser Progressivität ist übrig. "Uy Scuti" hat nichts zu bieten, das Leute erst demnächst kapieren. Alle Sounds und alle Verweise sind an diesem Punkt schon wieder überholt, und sie sind alle doppelt und dreifach ausgelutscht.

Was nicht heißen will, dass es nicht ein paar brauchbare Momente gibt. Die Stellen, an denen Thug versucht, komplett ins Melodrama auszuschweifen, befriedigen immerhin die Neugierde nach Gossip. Das irgendwie intensive "Catch Me I'm Falling" zum Beispiel transformiert die Unstetigkeit der letzten Jahre. Auf dem siebenminütigen Outro "Miss My Dogs" spricht Thug wahrscheinlich so klar und unmissverständlich über seinen Schmerz und sein Innenleben, wie er es nie getan hat. "Whaddup Jesus" klärt mit YFN Lucci einen der ältesten Atlanta-Beefs.

Da wäre also so etwas wie ein geläutertes, Leben-in-den-Griff-kriegendes Album in "Uy Scuti" versteckt gewesen. Leider sind das nur Highlights, während andere Stellen sich eher an ein 'Ich ficke euch jetzt alle'-Motiv klammern. Das Snitchen von Gunna sitzt Young Thug tief im Mark und er will es die Welt wissen lassen. Es gibt ein paar bissige, giftige Momente. Auch das hätte eine Richtung sein können.

Nun: Leider Gottes bringt dieses 20 Songs starke Tape 80 Minuten auf die Waage, und die meisten Tracks gehen in keine der beiden Richtungen. Der Großteil hier hätte auf "Punk" oder auf "Business Is Business" landen können. Oder auf einem beschissenen DJ Khaled-Album. Wen juckts?

Die Feature-Liste allein lässt tief blicken. Es gibt eine Passage, in der back to back Auftritte von 21 Savage, Lil Baby und Travis Scott passieren, und wer in den letzten zehn Jahren auch nur ein bisschen Amirap gehört hat, weiß ganz genau, wie diese Feature-Beiträge klingen. Es sind exakt die, die ihr erwartet. Sollte die Idee, auf dem Comeback-Album einer Legende ihrer Szene zu rappen, in diesen Jungs irgendeine Euphorie oder ein besonderes Gefühl ausgelöst haben, dann hört man davon auf der entstandenen Tracklist nada.

Viel finsterer sollte man direkt auf den Anfang blicken: Ich persönlich habe überhaupt nichts gegen Ken Carson oder Cardi B. Aber wenn Features mit diesen beiden, die wirklich überhaupt nichts mit dem Mythos Young Thug zu tun haben, die ersten, wichtigsten Tracks auf einem Album garnieren, dann weißt du doch eigentlich schon Bescheid. Thug sucht irgendwo Clout, einen kleinen Boost, den er sich selbst nicht zuzutrauen scheint. Die Features sind eh uninspiriert, da passiert kein bisschen Magie, indem diese Charaktere aufeinander treffen.

Die Produktion mag ihre Höhepunkte haben, gerade wenn wir im Mittelteil auf Tracks wie "Walk Down" oder "RIP Big Mack" ein bisschen LondonOnDaTrack zurückbekommen. Wheezy ist auf "Whoopty Doo" ebenfalls nicht schlecht. Aber selbst in den besten Augenblicken entsteht hier kein Gefühl von Intention. Thug hat keinen Sound und keine Stimmung vor Augen, er rappt einfach nur auf gerade rumliegende Stangenware und hofft, dass ein Lucky Punch dazwischen ist.

Das macht "Uy Scuti" mitnichten unhörbar. Aber es tut auch überhaupt nichts für Young Thug als MC. Es entwickelt nichts weiter, es verdichtet nichts, es schlägt emotional oder inhaltlich keinen Profit aus seiner bewegten Lebenssituation. Es klingt wirklich einfach nur, als hätte Thug fünf Jahre nach seinen unterwältigenden letzten Alben einfach genau da weitergemacht, wo er aufgehört hat. Wenn das nicht die größtmögliche Enttäuschung für einen der eigentlich interessantesten Rapper aller Zeiten ist, dann weiß ich auch nicht.

Trackliste

  1. 1. Ninja
  2. 2. Yuck (feat. Ken Carson)
  3. 3. On The News (feat. Cardi B)
  4. 4. Catch Me I'm Falling
  5. 5. Fucking Told U
  6. 6. Whoopty Doo
  7. 7. Blaming Jesus
  8. 8. Sad Spider
  9. 9. RIP Big & Mack (feat. T.I.)
  10. 10. Invest Into You (feat. Mariah The Scientist)
  11. 11. I'm So Dope
  12. 12. Pardon My Back (feat. Lil Baby)
  13. 13. Mami (feat. Sexyy Red)
  14. 14. Whaddup Jesus (feat. YFN Lucci)
  15. 15. Walk Down (feat. 21 Savage)
  16. 16. Pipe Down (feat. Travis Scott)
  17. 17. Revenge (feat. Lil Gotit & 1300SAINT)
  18. 18. Money On Money (feat. Future)
  19. 19. Dreams Rarely Do Come True (feat. Mariah The Scientist)
  20. 20. Miss My Dogs

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