laut.de-Kritik

Mehr Wucht, mehr Message, mehr Gefühl.

Review von

"Full stop, Punkt, Aus, Ende." Balbina hat den Branchenriesen Sony endgültig den Rücken gekehrt. Mit "Punkt.", das auf ihrem eigenen Label Polkadot in Kooperation mit BMG/Warner erscheint, setzt sie alles auf Neuanfang: Wuchtigerer Sound, einfachere Texte, mehr Gefühl. "Ich bin jetzt jemand anders", heißt es sogar in "Weit Weg." So weit muss man allerdings nicht gehen.

Schließlich bietet Balbinas exzentrische, gewöhnungsbedürftige Stimme und ihr eigenwilliger Umgang mit der deutschen Sprache immer noch genug Reibungsfläche, um wieder einmal sämtliche Hater und Kritiker auf den Plan zu rufen. Doch hört man sich die Platte ganz unvoreingenommen an, muss man ihr durchaus zu Gute halten, dass sie an vielen Stellen recht überzeugend über ihren eigenen Schatten springt.

Dass sie die überladenen Disney-Streicher des Vorgängers "Fragen Über Fragen" gegen elegantere und wärmere eintauscht, stellt schon mal einen Schritt in die richtige Richtung dar. So brodelt es im Opener "Hinter Der Welt." dramatisch vor sich hin. Im anschließenden "Weit Weg." findet man sich dann in schwerelosen James Bond-Sphären wieder. In "Wanderlust." und "Blue Note." kommt schließlich noch soulige Leichtigkeit dazu. Auch sonst wirken die Streicher-Arrangements recht variabel, aber nie übers Ziel hinausschießend, ebenso wie die feine Beat-Auswahl.

So herrscht zwischen großflächigen, urbanen R'n'B-Klängen ("Weit Weg.", "Kein Ende."), stilvollem Neo-Soul ("Blue Note.", "Langeweile."), trappigen Elektro-Tunes ("Sonne.") und Klassik-Interludes ein ausgewogenes Verhältnis. Schon alleine der Umstand, dass der Rammstein-Hit "Sonne." anstatt mit brachialen Gitarrengewittern auch mit bunt blinkenden Synthies und mit zischenden Snare-Sounds musikalisch hervorragend funktioniert, spricht für den Mut der Berlinerin, stilistische Grenzen hinter sich zu lassen. Nur verliert sie sich gesanglich nach und nach zu sehr im Melodramatischen. Sie fährt also noch nicht ganz aus ihrer Haut.

Hierin liegt vor allem das Hauptproblem des Albums begründet. Zwar gibt es in der ersten Hälfte eine Menge gesangliche Lichtblicke, etwa wenn sie die mittlerweile sogar englisch gesungenen Passagen in ihre deutschen Texte einstreut. In "Blue Note." verzichtet sie zugunsten einer souligeren Klangfarbe gänzlich auf theatralische Zwischentöne. In "Augenblick." harmoniert sie mit kraftvollen Background-Gesängen bestens, so dass tatsächlich so etwas wie Emotionen ins Spiel kommen. Die erzeugt sie gerade ab der zweiten Hälfte leider viel zu oft nur mit der Brechstange. Bestes Beispiel: Das Titelstück, wo sie oftmals mit ihrem affektierten Gejauchze und Geschreie in aufgesetzte Divenhaftigkeit abgleitet.

Das handelt von ihrem Zerwürfnis mit ihrer alten Plattenfirma. Erst kürzlich erzählte sie der Stuttgarter Zeitung: "Als ich in die Popmusik einstieg, waren es ausschließlich die Typen, die den vollen Durchblick hatten. Die Megaentscheider, denen man blind vertrauen konnte. Wenn eine Frau hingegen eine klare Vision von ihrer künstlerischen Linie besaß und die auch noch durchsetzen wollte, war sie sofort die anstrengende Zicke." Das sorgte nicht nur für Frustration, sondern stürzte Balbina letzten Endes in eine depressive Krise.

Dementsprechend musste sie sich erst aus der Realität ausklinken, ihre Gedanken sortieren, umstrukturieren und neu ordnen. So lebt das Werk mehr von einer klaren lyrischen Linie als die Vorgänger, entführt zunächst in eine ferne Märchenwelt aus "Hoffnung und Liebe", nur um gegen Ende beim "Machen" anzukommen. Es kreist um die eigenen Fehler der Sängerin ("Weit Weg."), um Vereinzelung ("Blue Note."), aber auch um Selbstliebe ("Kein Ende.").

Statt mit einer Vielzahl an Wortspielen die losen Gedanken des Alltags einzufangen, bemüht sie sich nun größtenteils um eine deutliche Sprache, selbst wenn sich vereinzelt immer noch ein paar Zeilen finden lassen, die zu anstrengend und zu bemüht daherkommen. In "Weit Weg." lautet es etwa: "Ich bin weit weg, weit weg in der Welt der vergessen Dinge / Dabei bin ich doch nur um die Ecke."

Dazu streut die Rapperin Ebow gegen Ende noch ein paar kritische Zeilen über die Generation Smartphone ein, die nicht unbedingt nennenswerten Mehrwert aufzuweisen haben. Ebenso wenig hätte es Herbert Grönemeyer gebraucht, auf dessen 2015er-Tournee die Berlinerin im Vorprogramm zu sehen war. Der versucht nämlich in "Machen." mit größtmöglicher Penetranz auf den momentanen Dancehall-Zug aufzuspringen. Zumindest verstärken seine Zeilen die grundlegende Botschaft der Platte, während einer schwierigen Zeit neue Hoffnung zu schöpfen und irgendwann weiterzumachen, selbst wenn man einmal wieder "gegen Wände" rennen sollte.

Insgesamt kommt die Autonomie, für die Balbina lange kämpfen musste, dem Gesamtbild in erträglichem Maße zu Gute. Sicherlich läuft auf der Scheibe noch nicht alles perfekt. Dennoch fällt sie nach den schlimmen Vorgängern oftmals überraschend hörbar aus, was auf jeden Fall auf den richtigen Entscheidungen der Berlinerin beruht. Über ihre zum Teil exaltierte Art lässt sich trotzdem nach wie vor genüsslich streiten. Dafür macht sie künstlerisch endlich mal zwei, drei Schritte nach vorne.

Trackliste

  1. 1. Hinter Der Welt.
  2. 2. Weit Weg.
  3. 3. Wanderlust.
  4. 4. Blue Note.
  5. 5. Augenblick.
  6. 6. Langeweile.
  7. 7. Zwischenspiel Eins.
  8. 8. Sonne.
  9. 9. Punkt.
  10. 10. Zwischenspiel Zwei.
  11. 11. Zwischenspiel Drei.
  12. 12. Machen.
  13. 13. Kein Ende.
  14. 14. Zwischenspiel Vier.

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