laut.de-Kritik

Niemand anders ist gleichzeitig so gut und so schlecht.

Review von

Uff. Wir sind ein Foto von ihm als Kind auf dem Cover davon entfernt gewesen, schon mit Albumtitel und Schwarz-Weiß-Look das Klischee-Bingo vollzukriegen. "Vladyslav" also. Nach einem historischen Run durch die Deutschrapgeschichte, den wir als Szene sowohl in seiner Größe wie in seiner Absurdität bis heute nicht verarbeitet haben, wird das jetzt wohl das Album, mit dem er uns den 'wahren' Capital Bra zeigen möchte. So ein bisschen wie es Sido neulich auf "Paul" überraschend gut gemacht hat. Nur ist doch eine gewisse Skepsis geboten. Capi hat bewiesen, dass er Selbstreflexion kann, nur meistens nicht mit filigranem Handwerkszeug. Gelingt ihm ein kohärent erzähltes, wirklich tief blickendes Album?

Die Antwort ist: Absolut nicht. Aber! Zwar ist dieses auf eine gute halbe Stunde runtergekürzte Projekt immer noch so vogelwild zusammengeworfen wie seine schlimmsten 80-Minuten-Eskapaden. Aber trotzdem finden sich hier viele Songs, die auf die ein oder andere Art viel über ihren Protagonisten erzählen. Auch, wenn es nicht immer erreicht, was es zu tun gedenkt, wird das Projekt in seiner absoluten Weirdness doch nie so wirklich langweilig.

Erstmal: Man blendet irgendwie zu leicht aus, was für ein weirder Typ Capi generell ist. Vielleicht hat uns die Overexposure zu schnell an ihn gewöhnt, aber da ist etwas Tragisches an seiner Persona. Allgemein könnte man ihm ja dem Gangsterrap zuordnen, aber im Vergleich zu anderen Atzen in diesem Feld hatte er nie den Anspruch, einen auf Gangsterboss zu machen. Er hatte immer diesen offensichtlichen Kleinkriminellen-Swag, ein linkischer, wieseliger Typ, der offensichtlich genug Leute verarscht hat, um niemandem zu trauen. Und selbst, als das Land ihn mit allem Erfolg und Ruhm überschüttet hat, stand er immer mit der Paranoia von jemandem auf den ganz großen Bühnen, den sie gerade aus dem Halbschatten in das Blitzlicht gezerrt haben und der aller Drogen zum Trotz dem Braten niemals trauen wird. Joker Bra war nur die logische Konsequenz daraus: Die eine Hirnhälfte will im Rapstar-Traum komplett auf die Kacke hauen, die andere Hirnhälfte zerfrisst die Paranoia bis zur Neurose.

"Magnum Python" ist musikalisch der beste Song, weil er genau das ausdrückt. Dieser Track klingt komplett kleben geblieben. Wie sie seine Stimme in der Hook an den Zeilenenden runterpitchen, der Kontrast aus seiner Halbschlaf-Delivery mit den psychotischen Adlibs die leise durch den Hintergrund hallen. Klingt crazy, klingt bedrohlich, klingt überzeugend tilli-trippy, als hätte jemand Houston-Rap-Highness intuitiv aus den Elementen des Berlin-Pendants zusammengebaut, ohne überhaupt die Absicht zu haben, Amirap zu biten. Außerdem ist das die Sorte Song, die einfach niemand außer ihm machen würde. Sie klingt für Mainstream-Rap geradezu experimentell.

Es gibt diese Tracks noch ein paar mal, insbesondere mit jungen, hungrigen Features, die Capi zu aggressiver Form auflaufen lassen, wenn auch konventioneller. "Alles Nasip" mit HK gibt Team Kuku-Vibes, "Halbmond" mit Kalazh44 ist der vermutlich anschlussfähigste Banger, "Louis & Prada" geht auch absolut fit mit wer auch immer Ozan Bra ist. Sein kleiner Bruder? Wer weiß. Vermutlich weder verwandt noch verschwägert. Aber er kommt mit Schmackes rein.

Wir rekapitulieren: "Vladyslav". Verwundbares Foto auf dem Cover. Wollten wir nicht etwas über den Bra lernen? Na gut. Ja, es gibt eine Menge Tracks, die in alten rappers.in-Kategorien definitiv unter die Sektion "Deep" fallen würden. Man erkennt sie am Klavier! Aber die gabeln sich trotzdem noch einmal in zwei Untersektionen. Da sind zweieinhalb Songs, in denen Capi wie ohne Maske rüberkommt und so wirkt, als würde er genau meinen, was er sagt. Und dann gibt es leider aber auch zu viel dumme Scheißtracks, die auch deep und selbstreflektiert klingen sollen, aber eher wirken, als würde sich ein manipulatives Arschloch durch eine kalkulierte Entschuldigung bullshiten.

Das ist ein bisschen witzig, denn einer von den guten Songs heißt "Es Tut Mir Leid" und thematisiert genau das: Capi spricht seine Frau darauf an, dass er schon ein Dutzend mal mit bullshittigen Entschuldigungs-Songs angeschissen kam und im Grunde selbst weiß, dass es Bullshit ist. Es ist ein ziemlich vernichtendes Urteil über sich selbst, das er in diesem Track zieht. Ohne es groß zu planen, dekonstruiert er seinen erfolgreichsten eigenen Archetyp. Musikalisch ist das keine Offenbarung, aber der Flavour ist nüchtern und beklemmend, deutlich schonungsloser, als man es erwartet hätte.

Der beste Song der Platte ist aber definitiv sein Intro: Das ist ein Track über Samra, aber nicht der, den man erwartet hätte. Er lässt Revue passieren, was sie alles gemeinsam erreicht haben, dass sie sich jetzt zwar hassen würden, er aber die Zeiten vermisse, in denen sie in den komischen Industriepartys auf alle geschissen und zusammen auf dem Parkplatz kiffend Freestyle gerappt haben. Irgendwie ein rührendes Bild: Er schließt dann: "'Die Augen lügen nie Chico' war kein Diss / Hass, Liebe, Taş, Krise, ich hab' dich nur vermisst / Kann sein, sie reden dir ein / Capital will Samra nur für Berlin lebt 3 / Sag den'n, ich mach' das Album allein / Aus Prinzip lasse ich ein'n Part immer frei". Vielleicht seid ihr härtere Hunde als ich. Aber mich hat das ein bisschen gekriegt.

Wow, so viel Gutes zu sagen über "Vladyslav"! Ich wünschte, ich könnte diese Energie aufrecht erhalten, denn ich hätte so gerne nach "Makarov Komplex" wieder ein Capi-Album so richtig gefühlt. Leider dürfen wir die gängige Praxis nicht verlassen und das heißt, dass die schwachen Tracks nicht nur schwach, sondern gottlos scheiße sind. Nach dem wirklich rührenden Samra-Track kommt nämlich sofort ein Müllsong mit 1986zig in der Hook, schleimig wie die Ghostbusters bei den Kids Choice Awards. Richtig bitter auch, dass sonst inzwischen die Kackhooks nicht mal mehr von den Markenprodukten der Deutschpop-Wackness übernommen werden. Jetzt ersetzt eine junge Frau mit dem Namen Joelina eine LEA und ein Typ namens Samo104 wäre gerne ... keine Ahnung, Moe Phoenix oder so? Auf jeden Fall sucken all diese Songs. Sie sind unauthentisch, belanglos und Capi soll sich endlich abgewöhnen, dass Deepness und beschissenes Klavier intrinsisch zusammenhängen.

Vielleicht war es seine finale Verbeugung vor Samra, sich das Album mit wacken Lukas Piano-Gedenkbeats zusammenzuscheißen? Aber Lukas Piano ist Deutschlands schlechtester Producer, und Capi hat bis heute nie verstanden, dass die Songs in denen er vorhat, tief blicken zu lassen, nur selten die sind, in denen er es wirklich tut. Grundsätzlich ist er besser, je weniger Filter er hat, und er ist als Person spannender, je weniger er einen Fick darauf gibt, irgendetwas Kohärentes oder Sinnvolles zu sagen. "Vladyslav" ist objektiv eine zusammenhanglose Mess von einem Album, das mit seinem eigenen Konzept heillos überfordert ist, aber in dieser Überforderung dann doch wieder eine beeindruckende Quote erstaunlich guter Songs auftut. Aber vielleicht ist das Capi in seiner reinsten Form: Kein Rapper war jemals gleichzeitig so gut und so schlecht.

Trackliste

  1. 1. Ein Part Immer Frei
  2. 2. Kaputte Nikes (feat. 1986zig)
  3. 3. Alles Nasip (feat. HK)
  4. 4. Es Tut Mir Leid
  5. 5. Enemies (feat. Mashkal & Baro Dano)
  6. 6. Schwarzes Haus
  7. 7. Magnum Python
  8. 8. Flügel (feat. Samo104)
  9. 9. Halbmond (feat. Kalazh44)
  10. 10. Regen Auf Der Fahrbahn (feat. Sido & Gringo)
  11. 11. Louis & Prada (feat. Ozan Bra)
  12. 12. Dünnes Eis (feat. Joelina)

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