laut.de-Kritik

Gangsta Rap sprengt seine Ketten.

Review von

Oktober 2019. Der Club ist gut gefüllt, die Tanzfläche nicht. Über den Köpfen wabern Weedschwaden, eintönige Elektro-Tunes langweilen anonym aus den Boxen. Die Stimmung lahmt. Bis DJ Fly Klaus einen gewissen Scott Storch aka Just-a-Piano-Man an die virtuellen Keyboards holt und Snoop Dogg klarstellt: "Yeah nigga I'm still fucking with ya / Still waters run deep / Still Snoop Dogg and D-R-E, '99 nigga / Guess who's back." Die Hütte brennt.

Zwanzig Jahre zuvor, am 13. Oktober 1999, eröffnen jene Zeilen, Storchs hypnotisch geloopte Klaviertunes und gnadenlos bangende Drums einen, wenn nicht den besten Beat aller Zeiten (im Finale vielleicht gegen "Shook Ones Part II") und läuten den vierten Frühling von Westküsten-Legende Andre ein. "Ladies they pay homage, but haters say Dre fell off / How nigga? My last album was The Chronic (nigga)." Selbst LL Cool J würde diese Explosion wohl ein Comeback nennen.

Zwischen 1992 und '99, die Morde an 2Pac und Biggie und die Implosion des Death Row-Labels inklusive, hatte Dre nicht an einem echten Nachfolger für sein "Chronic"-Solodebüt arbeiten können. Nicht, dass der Doktor in der Zwischenzeit keine Beats verarztet hätte. Andere Produzenten stürben dafür, legte man ihnen nach mehreren Klassikern und neuen Sounderfindungen (World Class Wreckin Cru, N.W.A, "The Chronic") Songs wie "Been There, Done That", Ras Kass' "Ghetto Fabolous", das "The Firm"-Album oder "Zoom" als Fell-Off aus. Wir reden dabei noch nicht einmal von der Gründung seines Labels Aftermath, der Entdeckung Eminems und dessen kurz zuvor veröffentlichter "Slim Shady LP".

Trotzdem erscheint der Doktor im Herbst '99 hungriger denn je. Er will es allen zeigen, will den Thron zurück. "They want to know if he still got it / They say rap's changed / They wanna know how I feel about it (If you ain't up on thangs) / Dr. Dre is the name / I'm ahead of my game." Immerhin dominieren Ende der 90er andere, meistens aus New York, das Rap-Game. Primo hat die dickste Bass-Drum, Swizz Beatz die besten Synthies und Jay-Z regiert mit Puffy die Clubs. Bis "Still D.R.E." über den Äther läuft. Der Track killt, burnt, bounct, groovt, nickt Kopf und fickt sofort jede Feier ab. Da spielt es keine Rolle, welches Jahr man gerade schreibt, welcher Trend durch das Internet getrieben wird, welche Stadt Hip Hop auf das nächste Level hebt. "Still D.R.E." ist zeitlos in Zuffenhausen, in Zaire, in Zürich.

Mit der Vorabsingle hatte Dr. Dre also sein erstes Ziel bereits erreicht: Ich bin wieder da und immer noch der beste. "Niggas try to be the king but the ace is back." Mit dem einen Monat später, im November 1999 folgenden Album legte er darauf den Grundstein für den G-Funk-Sound der Nullerjahre und setzte Maßstäbe für Beats und Produktion. Er befreite die Westküste alleine aus Suge Knights Diktatur und Post-2Pac-Depression, auch, indem er auf "2001" neben der langersehnten Reunion mit Snoop Dogg das Gros der L.A.-Rapper vereinte. So versammelt er alleine auf dem tonnenschweren Slow Jam "Some L.A. Niggaz" Leute aus dem Underground wie Defari, N.W.A-Weggefährten wie MC Ren, Legenden wie King T, neue Signings à la Xzibit und holt sich für die klassische Funk-Hook Knoc-Turn'Al und Kokane ins Studio.

"2001" sprengte endlich die Ketten des Gangsta Rap. "Es ist ein Film mit diversen unterschiedlichen Szenen. Du hast gefühlvolle Momenten, du hast aggressive Momente. Es gibt sogar eine bisschen Porno", so Dre damals zur New York Times. Bereits im Opener "The Watcher" mimt er stimmig den Ghetto-Regisseur: "Watched the lawsuits when they lost the dough / Best friends and money: I lost them both / Went visited niggas in the hospital / It's all the same shit all across the globe / I just sit back and watch the show." Es zahlt sich aus, wenn man neben Jay-Z ("Still D.R.E.") mit illustren Ghostwritern wie D.O.C., Royce da 5'9 (vor allem beim deepen, Eastcoast-inspirierten und von Lord Finesse produzierten "The Message") und Eminem um die Verse feilschen kann.

"The Watcher" verdeutlicht von Takt eins an die für "2001" neu gefundene Soundformel: Peitschende Synthie-Streicher duellieren sich mit Piano-Loops, tiefen Bässen und hart schlagenden Snares, ab und an aufgelockert von den berüchtigten "Nuthin But A G Thang"-Melodien. Im Studio arbeiteten unter anderem Mel-Man, Chris Taylor, Mike Elizondo (Bass) und Scott Storch an den Beats. Mel-Man steht in den Credits hinter jedem Track, vor allem sorgen aber Taylor und Storch mit ihren Keyboardkünsten für die unverwüstlichen Trademarks.

Josh Tyrangiel beschreibt gegenüber der Times den Aufnahmeprozess folgendermaßen: "Jeder Dre-Track beginnt gleich. Der Doktor sitzt hinter der Drum-Machine, umringt von vertrauenswürdigen Musikern. Sobald Dre einen rohen Beat gezimmert hat, sollen die Musiker Melodien zum Beat spielen. Wenn er denn etwas hört, das ihm gefällt, holt er den Jeweiligen zu sich und werkelt mit ihm alleine am Sound für den Track weiter."

Wer sich übrigens schon immer wunderte, dass Dr. Dres Produktionen lauter, drückender über die Speaker brummen, findet bei Rapper/Producer Thes One von People Under The Stairs eine mögliche Erklärung. "'The Chronic' war ein Meilenstein in Sachen Tontechnik und Mastering. '2001' dagegen ist Katzenscheiße. Ich kennen einen Toningenieur, der damals dabei war und anscheinend wollte Dre die 'lauteste CD ever'. Das ist natürlich ein wahnwitziges Statement, da man eine binäre CD einfach nicht lauter bekommt. Ich denke, sie wollten einfach den monströsesten Wumms aus den Boxen ballern."

Spätestens jetzt steht fest, wie sehr Dre alles und jeden wegburnen wollte. Besonders die knallharten, in bester Deep-Cover-Manier pumpenden "Bang Bang" und "Murder Ink" lassen das Blut wahlweise in den Adern gefrieren oder im Auto aus den Ohren träufeln. Ähnlich gespalten, zumindest aus heutiger Sicht, erscheint die Sicht auf Dres erotische Phantasien auf "Fuck You" und "Housewife". Trotz seiner langjährigen Ehe hinterlassen seine gewalttätigen Aktionen gegen Frauen Ende der 80er einen schmalen Beigeschmack bei diesen beiden Bettsäuslern und Lyrics wie "I just wanna fuck bad bitches / All them nights I never had bitches / Now I'm all up in that ass bitches / Mad at 'cha boyfriend, aint 'cha? / You'se a bad girl, gotta spank ya" oder "I'm mannish, get yo' nails out my back / Slut I'm bout to nut and get up, go scrub yo' cat / Learn the player rules, this is how I play a dude".

Andere Tracks scheinen da auch heute noch wesentlich heller. "Xxplosive" inspiriert nach eigenen Aussagen Kanye West mit seiner Mischung aus Soul und harten Beats (man vergleiche den Drumsound mit Yeezys frühen Werken). "The Next Episode", die letzte Single, geht mit seinen Keys von Storch als eine Art "Still D.R.E.", Part Two durch und liefert in seiner Video-Version ganz am Ende die himmlischsten Streicher-Arrangements ever. Die musikalische Vater-Sohn-Beziehung zu Eminem wirkt sich zudem positiv auf Dre und das Album aus. Ihr Duett auf dem wild bouncenden "Forgot About Dre" und auch das eingängige "What's The Difference" heben die beiden in die Top-Fünf der Rap-Kollabos.

Bis ins Jahr 2005 variiert Dre mit seiner Produzentenarmee den auf "2001" gefundenen Style aus dicker Produktion, dramatisch gesetzten Streichern und Keyboard-Sounds erfolgreich. Er verhilft Eminem unter anderem zu seinem besten Album, schenkt 50 Cent mit "In Da Club" den besten Club-Track aller Zeiten, The Game rollt dank ihm ("How We Do") und Busta Rhymes findet auf "Break Ya Neck" seinen perfekten Beat. Irgendwo nach dem unglaublichen "Outta Control"-Remix für 50 Cent und Mobb Deep wiederholen sich jedoch die Muster und verlieren an Schwung. Das Rapgame reist weiter. Stimmen aus dem Westen werden laut, Dr. Dre wolle sich mit "Detox" ein fünftes Mal neu erfinden und den Thron erklimmen.

Doch "Detox" bleibt Legende und Dre als Executive Producer, Aftermath-Talentscout (Kendrick Lamar) und Geschäftsmann (Beats-Kopfhörer) erfolgreich. Erst 2015 stellt er sich mit seinem "Compton"-Soundtrack den eigenen Ansprüchen, ohne jedoch die einstige Position im Rapgame wieder erreichen zu können und zu wollen. Dafür wird es auch in 2022 in Dorfdisse, Club, Beach- oder WG-Party immer noch heißen: "It's still Dre day nigga, AK nigga."

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Lolo (Intro)
  2. 2. The Watcher
  3. 3. Fuck You
  4. 4. Still D.R.E.
  5. 5. Big Ego's
  6. 6. Xxplosive
  7. 7. What's The Difference
  8. 8. Bar One
  9. 9. Light Speed
  10. 10. Forgot About Dre
  11. 11. The Next Episode
  12. 12. Let's Get High
  13. 13. Bitch Niggaz
  14. 14. The Car Bomb
  15. 15. Murder Ink
  16. 16. Ed-Ucation
  17. 17. Some L.A. Niggaz
  18. 18. Pause 4 Porno
  19. 19. Housewife
  20. 20. Ackrite
  21. 21. Bang Bang
  22. 22. The Message

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30 Kommentare mit 14 Antworten

  • Vor 22 Jahren

    oh mein gott sag ich da nur!!! makaveli, du bist dumm! wer sagt denn das battle-rhymes, die dre bevorzugt nichts mit gutem hip hop zu tun haben? nur weil dir deeper hip hop besser gefallt heisst dass dass es nicht real ist? wenn du nur ein bisschen ahnung vom untergrund hättest wüsstest du dass da battles im vordergrund stehen!
    und wenn dre auf kommerz aus ist, wieso bringt er dann in 10 jahren nur 2 alben raus? und warum ist die up in smoke tour die einzige die er seit NWA gemacht hat? und warum ist 2001 voller features wenn er das ganze geld doch selber einsacken wollte?
    peace

  • Vor 22 Jahren

    also meiner meinung nach is das album wirklich gut...es sind nicht alle lieder die besten, aber es sin echt gute sachen auf der cd. ausserdem is sie für gewissen zeiten perfekt :D
    klar wirds leute geben, die besser rappen als dre, dennoch is er wirklich gut und auch die platte is'n hammer

  • Vor 22 Jahren

    ey, ich kanns bald nicht mehr hören, "echter, " real", "deeper", ey leute, hip hop verändert sich, natürlich hat sich der westcoast-rap verändert, aber es ist immer noch hip hop, kritisiert doch lieber diese scheiß pop-musik, oder die möchtegern-hip hop-fans, ich höre alles gern, west, east, south und teilweise auch deutschen. und dre ist genial, und der kritiker ist entweder voreingenommen oder hat absolut keine ahnung vom hip hop, und wenn dir die platte nicht gefällt, dann argumentiere auch richtig, eure kritiken werden immer oberflächlicher