laut.de-Kritik
Galanter Monolith des Acid Jazz mit wichtiger Botschaft.
Review von Johannes JimenoWer nicht will, der hat schon: Jason Luis Cheetham, besser bekannt als Jay Kay, bewirbt sich Ende der 1980er als neuer Sänger bei den Brand New Heavies. Acid Jazz ist zu dieser Zeit der heiße Scheiß: die Mischung aus Jazz, Soul, Funk und Disco hat Hochkonjunktur auf der britischen Insel. Doch Jay Kay scheitert bei den Herrschaften aus London. Daraufhin schnappt sich der Mann aus Stretford ein paar talentierte Kumpels und gründet seine eigene Acid Jazz-Band. Die Combo nennt sich Jamiroquai – abgeleitet von der Liebe zum Jammen und dem indianischen Stamm der Irokesen – und avanciert in ihrer Geschichte zu einer der erfolgreichsten britischen Bands der Neuzeit. Die Brand New Heavies werden sich in den Arsch gebissen haben, versandete doch seitdem jedes Album der Londoner.
Jamiroquai bestehen neben Sänger Kay aus DJ D-Zire an den Reglern, Simon Katz an der Gitarre, Keyboarder Toby Smith, Bassist Stuart Zender, den Schlagzeugern Sola Akingbola sowie Derrick McKenzie und Didgeridoo-Spieler Wallis Buchanan, der sein exotisches Instrument salonfähig macht und erstmals einem großen Publikum präsentiert.
Den ersten Output liefert die Truppe mit der Single "When You Gonna Learn?" auf Acid Jazz Records 1992 und geht damit komplett durch die Decke. In jedem Club läuft der Hit rauf und runter. Schon beachtlich, dass ein dermaßen umweltkritischer Text eine solche Aufmerksamkeit bekommt, angesichts der musikalischen Untermalung aber kein Wunder: Trompeten, Flöten, Saxophon und ein unwiderstehlicher Groove bringen alle zum Tanzen. Die Stimme und Intonation Kays erinnern frappierend an Stevie Wonder. Sony nimmt sich Kay daraufhin zur Brust und legt ihm ein epochales Schriftstück vor: Einen hoch dotierten Vertrag über acht Alben hinweg. Das kann er nicht ablehnen. Ein Jahr später folgt der Re-Release des Überhits, dieses Mal auf Sonys Tochter Columbia, und das Debütalbum "Emergency On Planet Earth" steht in den Regalen.
Das Cover ist von schöner Schlichtheit: klassisch schwarz auf weiß steht dort Jamiroquai und der leicht schräg stehende Buffalo-Man, das Symbol der Band. Es zeigt den Space Cowboy himself mit einem Buffalo-Hut. Laut Kay basiert das Aushängeschild auf Theseus, einem der vielen Helden aus der griechischen Mythologie, weil er sich der Figur aus den Fabeln verbunden fühle. In der Folge prägt der Buffalo-Man beinahe jedes Cover in verschiedenen Varianten, egal ob Single oder Album. Erst bei ihrem fünften Longplayer "A Funk Odyssey" legen sie diese Strategie beiseite, fortan sieht man lediglich Jay Kay. Selbst auf der Best-Of "High Times – Singles 1992-2006" platziert man den berühmten Kopfschmuck des Sängers. Der Buffalo-Man kehrt erst mit "Rock Dust Light Star" als I in 'Light' zurück aufs Cover (die Live-DVD "Live At Montreux 2003" mal ausgenommen).
"Emergency On Planet Earth" ist geprägt von gesellschafts- und umweltkritischen Texten, wie der Titel es schon erahnen lässt. "Too Young To Die" fungiert als Warnhinweis an uns selbst, die führenden politischen Mechanismen zu hinterfragen und den Wahnsinn des Krieges zu stoppen. Streicher, Trompeten und eine verdammt sexy Bassline eröffnen "Too Young To Die", flankiert von mäandernden Synthies. Während des Stückes ertönen funk-jazzige Trompeten-, Saxophon-, Bass- sowie Flügelhorn-Soli und verleihen dem Track einen ungemein frischen Touch. Jay Kays verspielter Gesang gipfelt in einer simplen und lässigen Hook.
Der Titeltrack wirkt mit seinen aufwühlenden Streichern noch eindringlicher. Funky Rhythmen und "Wah-Wah"-Sounds kreieren eine Stimmung des Aufbruchs und der Beunruhigung. Der aufopferungsvolle Vortrag Kays tut sein Übriges: "The kids need education / And the streets are never clean / I've seen a certain disposition / Prevailing in the wind / Sweet change, if anybody's listening? / Emergency on planet earth / Is that life that I am witnessing / Or just another wasted birth?" Auf dem Cover der Single sieht man die Erde vom Weltall aus, und anhand dieser Zeilen scheint es nicht gerade zufällig, dass man Afrika erkennt: "Now I know my head is cleared / And a little boy in hungry land / Is just a picture in the news."
In "Revolution 1993" rufen Jamiroquai dazu auf, aktiv etwas gegen die Missstände auf der Welt zu unternehmen. Das Schlagzeug spielt einen typischen Marschrhythmus, nervöse Streicher, fiese Synthies und Lyrics so schnell wie Geschosse heizen gewaltig ein: "The music is the only hope we have for revolution / Still we don't seem to understand we need a revolution / Everybody needs a revolution." Eine musikalische Revolution muss nicht immer brutal vonstatten gehen, wie das verträumte Intermezzo samt Querflöten-Solo mehrfach im Song andeutet.
Doch nicht nur um das große Ganze geht es Jamiroquai, sondern auch um individuelle Selbstbestimmung. "If I Like It, I Do It" ermutigt den Hörer mit funky E-Gitarren à la Nile Rogers gepaart mit cheesy Trompeten und einer Bridge mit Scratches und Bongos ganz leger, sich gegen Obrigkeiten durchzusetzen und einfach sein Ding zu machen.
Neben all diesen bewegenden Themen reichen die Briten vorzügliche musikalische Petits Fours. "Hooked Up" zeigt eindrucksvoll, warum 'Jam' im Bandnamen steckt. Im tiefsten 70s-Funk improvisieren sich Bass, E-Gitarre und Bariton-Saxophon in Ekstase, pulsierende Trompeten und die Lyrics ohne Refrain pushen nach vorne: "Come on now dance to the music / I need it, need it, need it, yeah / Come on now dance to the music". Dazu gesellen sich ein verspieltes Piano und dezente Scratches. "Hooked Up" ist schlicht und ergreifend eine sensationelle Jam-Session!
Mit "Blow Your Mind" kredenzt die Band die coolste und ungezwungenste Liebeserklärung überhaupt: "Love ya, I need ya / I think I wanna squeeze ya / Nightly, so tightly / girl you know you really blow my mind / Say it again, just one more time, I've got to know / How you came to blow my mind." Die luftig-lockere Inszenierung nimmt sich in der Mitte kurz zurück, nur um danach mit spacigen Synthies und einem Piano-Solo weiter zu grooven. Liebe in ihrer unbeschwerten Form.
Einen kleinen Einblick in persönliche Laster gewährt Jay in "Whatever It Is, I Just Can't Stop", wenn er über das Leben auf der Überholspur und den Alkohol croont. Stilecht vergoldet die Band seine Darbietung mit rockig-funkiger Instrumentalisierung.
Der alles überragende Leckerbissen ist jedoch "Music Of The Mind": eine Traumreise mit einem Wasserfall-artigem Einstieg. Sanfte Violinen und Synthies erschaffen eine besondere Atmosphäre der Entspannung, ein dezenter Basslauf mit zurückhaltendem Schlagzeugspiel hält alles zusammen. Nach knapp zwei Minuten nimmt der Track an Fahrt auf, die Instrumente erhöhen das Tempo, daneben schrammelt eine kratzige E-Gitarre. Ein Trompeten-Solo spielt komplett konträr zum treibenden Groove, und den Rest besorgt ein Keyboard-Free Jazz-Solo vom Feinsten. Das Didgeridoo eröffnet den farbenfrohen musikalischen Reigen, und mit "Didgin' Out" sorgt es auch für den mystischen Abschluss des Albums.
Das Instrument der australischen Ureinwohner begleitet die Band noch im experimentellen und rauen "Return Of The Space Cowboy" und im international extrem erfolgreichen "Travelling Without Moving". Auf "Synkronized" bekommt es mit "Supersonic" noch einen harten Disco-Track spendiert, verschwindet danach jedoch komplett aus dem Soundkosmos der Briten.
Neben den beiden Schlagzeugern trägt insbesondere Stuart Zender am Bass zum Trademark-Sound der Briten bei. Sein Vibe und seine Rhythmen sorgen für den unverwechselbaren Funk in der Band. Für viele Fans ist er der wichtigste Bestandteil und nachdem er bei "Synkronized" die Band verlässt, verändern sich auch Jamiroquai grundlegend. Bei den Aufnahmen zu "Synkronized" kommt es zu Streitigkeiten, anscheinend wird Zenders Mitarbeit an Produktion und Songwriting nicht genügend gewürdigt und er möchte sowieso mehr Zeit mit seiner Familie verbringen. Der Disput ist so heftig, dass Kay das komplette Album ohne Zenders Bassläufe neu einspielt und ihm sogar mit "King For A Day" einen zynischen Song widmet plus dekadentem Video.
Jamiroquais "Emergency On Planet Earth" ist ein leuchtender Monolith des Acid-Jazz. Selten war ein Debütalbum so ausgereift, komplex, abwechslungsreich und zusätzlich mit einer wichtigen Botschaft versehen. Völlig zurecht steht es im Referenzbuch "1001 Albums You Must Hear Before You Die" von Robert Dimery, und auch das Q Magazine adelt es in höchsten Tönen: "Ein funky und wunderschönes Album, ein Anwärter auf das beste britische Soul-Album der 90er und offen gesagt besser als alles, was Stevie Wonder seit 'Hotter Than July' veröffentlicht hat."
Das Album atmet die Vergangenheit durch den Funk und Soul der 70er und 80er und klingt doch seiner Zeit voraus. Die unfassbar talentierte Band spielt galant und samtig, dazu die unzähligen Soli, das perfide Zusammenspiel mit Frontmann Jay Kay: all das sorgt dafür, dass man sich der Anziehungskraft nicht widersetzen kann, weil alles frisch und lebendig klingt – heute noch genau so wie damals.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
11 Kommentare mit 8 Antworten
Eines der Alben, die ihre wahre Pracht erst auf LP entfalten, da das Doppel-Vinyl die Songs dort wahlweise nicht gekürzt oder als ausufernden Mix enthält. Die CD-Version klingt im direkten Vergleich kastriert. Mit Bassist Stuart Zander hatte die Band auf ihren ersten beiden Longplayern den Zusatz "Jam" im Bandnamen noch verdient.
Zender heisst der Mann. Ändert natürlich nix an dessen Klasse am Instrument oder der Tatsache, dass Jamiroquai nach seinem Abgang nie wieder auf Albenlänge überzeugen konnten.
Vertippelt. Du hast natürlich recht. Wahrscheinlich hing ich beim Schreiben unterbewusst noch beim Zander/Bär-Zwist fest.
ja, das war ein grosses ding damals.
habe ich neulich mal meinem wahnsinnigen arbeitskollegen vorgespielt, der zum zeitpunkt der cd-veröffentlichung noch in den kindergarten ging, es demnach nicht kannte.
leider muss ich sagen, dass das ziemlich schlecht gealtert ist, imho. funktionierte irgendwie nur in den neunzigern. da aber ziemlich gut.
Geniales Album. Immer noch. Herausragende Symbiose von Funk und Jazz.
Das Album funktioniert auf mehreren Ebenen perft: zum Nebenbeihören, zum Tanzen und zum aufmerksam genießen (Bassläufe, Bläserarrangements etc)
Und Blow your mind gehört zu meinen Lieblingssongs überhaupt.
Verdient, lief damals viel! Direkt nochmal anschmeißen..
Eine Album Kritik, die dem Werk würdig ist. "EOPE" ist zeitlos, cool und lässig und groovt ohne Ende. Vom ersten bis zum letzten Song dieses Meisterwerks ist wirklich jeder Titel hörenswert. Ich danke noch heute meinem Kollegen, der mir die CD damals verkauft hat, weil er nichts damit anfangen konnte, ich schon... bis heute
Eine Album Kritik, die dem Werk würdig ist. "EOPE" ist zeitlos, cool und lässig und groovt ohne Ende. Vom ersten bis zum letzten Song dieses Meisterwerks ist wirklich jeder Titel hörenswert. Ich danke noch heute meinem Kollegen, der mir die CD damals verkauft hat, weil er nichts damit anfangen konnte, ich schon... bis heute