laut.de-Kritik
Die Vollendung einer göttlichen Vision.
Review von Toni HennigAn nur einem Tag nimmt John Coltrane seine im Februar 1965 veröffentlichte Suite auf. Heute gilt "A Love Supreme" als ein wegweisendes Meisterwerk des Jazz'. Trane, so sein Rufname, befindet sich nicht nur auf dem Höhepunkt seines leidenschaftlich virtuosen Spiels am Tenorsaxophon. Das Album markiert zudem das Ende einer langen spirituellen Sinnsuche des damals 38-Jährigen. Es steht noch heute im Jazz in seiner Durchdacht- und Geschlossenheit ganz für sich alleine.
Das Loblied an die Liebe und an Gott fällt nicht vom Himmel, aber einer Vision aus seiner Navy-Zeit 1946 verdankt Coltrane die Idee für "A Love Supreme". Dass der in North Carolina geborene Musiker mit evangelisch-methodistischem Familienhintergrund aufwuchs, bildet die Grundlage für seine tiefgreifende Spiritualität. Selbige besteht nach seinem Verständnis aus einer Selbstliebe, die auf viel Erfahrung, Schmerz, aber auch Dankbarkeit gegenüber Gott beruht.
Der psalmartige Gesang und Text der vierteiligen Suite basieren auf der Lektüre von Henry Drummonds "The Greatest Thing In The World". Der Schriftsteller war aufgrund seiner sozialdarwinistischen Thesen aber nicht unumstritten.
Nach einer kreativen fünftägigen Pause hält er im Spätsommer 1964 das Manuskript für die Suite endlich in den Händen. Zufriedenheit spiegelte sein Gesicht, als John sich bereit fühlte, seine Vision in die Tat umzusetzen, erzählt seine damalige Ehefrau Alice Coltrane. In einer einzigen Session spielt er am 9. Dezember 1964 in den Rudi Van Gelder Studios in New Jersey sein Werk ein. Produzent Bob Thiele steht ihm zur Seite. Sein Label Impulse erlegt ihm keinerlei künstlerische Beschränkung auf.
"Part I - Acknowledgement", zu Deutsch: Anerkennung, beginnt mit einem Solo Coltranes am Tenorsaxophon und dem zurückhaltenden Bass Jimmy Garrisons. Dem schließen sich das akzentuierte Klavierspiel McCoy Tyners und die kubanisch-lateinamerikanische Rhythmik von Elvin Jones am Schlagzeug an. Trotz der so unterschiedlichen Fähigkeiten der einzelnen Musiker des Quartetts hält Coltranes virtuoses, befreites Spiel die Komposition zusammen. Die Zeile "A Love Supreme" wird gegen Ende mehrmals rezitiert. Bis dahin befindet man sich in einem leidenschaftlichen, von Spiritualität geprägten Malstrom erotischer, tanzbarer Klänge.
Coltrane hat, auch infolge seiner Heroin- und Alkoholsucht, in der lokalen Jazzszene Mississippis ab Mitte der 40er viel Leid zu ertragen. Er fliegt aus mehreren Ensembles. Seine erste Ehe mit Juanita Naima Grubb geht 1963 in die Brüche. Miles Davis gibt ihn nach einem Drogenentzug 1957 für sein Quintett eine zweite Chance. Coltrane arbeitet anschließend über die Jahre diszipliniert und zielstrebig an der Umsetzung seiner musikalischen Vision.
Der modale Jazz bietet ihm Raum, um sein Spiel unter der Hinzunahme einer komplexeren Rhythmik besser zu entfalten. Mit den "sheets of sound" entwickelt er Ende der 50er eine Technik, bei der sich einzelne Klänge überlagern. Mit dem nach seinem Ausstieg beim Miles Davis Quintet gegründeten John Coltrane Quartet, das Garrison 1962 komplettiert, perfektioniert er seine Fähigkeiten. "A Love Supreme" zeigt ein Höchstmaß an Intensität.
"Part II - Resolution", Entschluss, braucht sechs Versuche, bis das Stück im Kasten ist. Es beginnt mit einem prägnanten Basslauf und zeigt das Quartett von seiner swingenden Seite. Coltrane veredelt die Nummer mit seinem ausdrucksstarken Monolog am Saxophon. Formvollendet, klassich und elegant umwebt die Komposition den Hörer. Tyner brilliert am Klavier mit souveräner Coolness. Jones poltert mit versierter Polyrhythmik nach vorne. Dem Song fehlt es nicht am nötigen Drive, was ihn so mitreißend macht.
Schon auf "Crescent" (1964), dem spirituellen, melancholischen Prolog von "A Love Supreme", swingen die Kompositionen federleicht und lässig vor sich hin. Sie bieten somit das passende Fundament für Coltranes vor Ideenreichtum berstende Improvisationen am Tenorsaxophon.
Der Entschluss, Gott zu folgen, und seine zweite Ehefrau Alice geben Trane den nötigen Halt, um sich ganz und ausschließlich seiner Aufgabe auf der Erde, der Musik, widmen zu können.
"Part III - Pursuance", das Gehen des Weges, beginnt mit einer Drumeinleitung von Elvin Jones. Sein polyrhythmisches Spiel trägt die Komposition weiter. Tyners ausgeprägte Improvisation am Klavier nimmt anschließend sehr viel Raum ein. Mit schnellem, akzentuiertem Saxophon bringt Coltrane Lebendigkeit ein. Garrison wartet außerdem mit einem abgebrühten Basssolo in der Mitte auf, das legendär sein dürfte.
Von der Rhythmik und den improvisatorischen Momenten ungewöhnlicher als die beiden Tracks davor, nimmt es Coltranes Ausflüge in den Free Jazz ab "Ascension" (1966) in einigen Momenten vorweg. Der Song lässt aber trotzdem nicht die geschlossene Struktur vermissen. Coltrane glänzt auch in den befreiten Momenten noch mit Routine und Disziplin. Auch ohne ausgeprägtes Studium von Rhythmen und Skalen gestaltet sich das Stück stets nachvollziehbar.
Der universelle, zeitlose Charakter der Komposition steht auf "A Love Supreme" stets im Vordergrund. Gleichzeitig verlangt die Platte aber die Aufmerksamkeit des Hörers. Easy Listening braucht man hier nicht zu erwarten.
Nahtlos geht der dritte in "Part IV - Psalm", die Lobpreisung Gottes, über. Die Prosa des Begleittexts, den der kommunikationsscheue Coltrane wohldurchdacht formuliert hat, mündet in ein Gebet. Die musikalische Umsetzung seiner Zeilen lebt vom emotionalen Spiel Tranes und der atmosphärischen Unterstützung seiner Mitmusiker. Coltrane folgt den Lyrics mit seinem Instrument dabei Wort für Wort.
Einen klaren, durchgehenden Rhythmus erkennt man in dem Stück schwer. Nach dem abschließenden "Amen" glaubt man sogar, leichte indische Motive, die von Ravi Shankar inspiriert sein könnten, zu vernehmen. Ebenso anmutig wie originell, könnte der Track den Abschluss kaum perfekter in Szene setzen. Coltrane nimmt bei aller spielerischen Klasse den Hörer mit und berührt ihn unmittelbar.
Die Suche nach neuen Ausdrucksformen, etwa in afrikanischer und fernöstlicher Musik, soll in seinen letzten Jahren die Triebfeder seines künstlerischen Schaffens bilden. Neue Musiker, darunter seine Ehefrau Alice und Pharoah Sanders, bringen ein deutlich weltmusikalisch geprägtes Spiel in seine Musik. 1967 stirbt Coltrane mit gerade einmal 40 Jahren an Leberkrebs. Sein Quartett zerbröckelt, bis nur noch Bassist Garrison übrig bleibt.
"A Love Supreme" stellt sich als das perfekte Bindeglied zwischen den Ausdrucksmöglichkeiten der Vergangenheit und der musikalischen Zukunft des Jazz' dar. Carlos Santana und John McLaughlin erkennen dies und überführen "Part I - Acknowledgement" 1973 in eine tanzbare Latin-Jazz-Version.
Trotz der eher zurückhaltenden Kritiken avanciert das Album über die Jahrzehnte zum Klassiker. Es verkauft sich, wenn auch zurückhaltend, zu allen Zeiten konstant und stellt zugleich ein rundes, zeitloses Monument dar, geprägt von einer tiefen Religiösität.
Was die improvisatorischen Fähigkeiten anbelangt, die auf "A Love Supreme" in voller Blüte stehen, können Trane bis heute nur Wenige das Wasser reichen. Auch ohne religiösen Hintergrund liefert das Anlass genug, um "A Love Supreme" lieben zu lernen. Das Werk gibt einen auch noch nach rund 50 Jahren so viel Liebe zurück.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
13 Kommentare mit 38 Antworten
Endlich! Seh interessantes Review.
Das virtuose Zusammenspiel der vier sucht auch heute noch seinesgleichen.
Sehr verdient; eins meiner liebsten Jazz-Alben. In welche Abgründe muss jemand geblickt haben, um ein Stück wie "Psalm" komponieren zu können? Ganz große Kunst.
Absolut verdient, großartiges Album, ziemlich weit oben unter meinen liebsten Jazz-Alben, hat mich in den Jazz erst richtig eingeführt. Selten so nen lang verdienten Meilenstein gesehen.
Dazu noch die Village Vanguard und Coltrane, dann kann man sich austoben. Coltrane war ganz groß.
Zurecht ein Meilenstein! Wunderbar.
Toller, zeitloser Meilenstein!