laut.de-Kritik

Raps konservativer Opa hat es eigentlich schon noch drauf.

Review von

In der Vergangenheit habe ich auf dieser Seite immer mal wieder Kritik an Kool Savas geäußert; man könnte den Eindruck bekommen, ich würde den Mann nicht mögen. Ich würde dagegenhalten, dass ich Savas historisch öfter mochte, als ich ihn nicht mochte – aber es in meinen Augen keinen deutschen Rapper mit so viel Potential nach oben und nach unten gibt. Er hat legendäres Material auf dem Kerbholz, aber auch historisch beschissene Momente wie "AMG bedeutet an mich glauben" oder "Airplanes" mit Badmomzjay. Auf einer neuen EP scheint er diesen Kampf selbst zu fühlen. In einer Viertelstunde oszilliert er geradezu bipolar zwischen dem besten Spitter des Landes und einem anstrengenden Rap-Boomer ohne Beatgeschmack.

Allein dieser Opening-Track: Heilige Scheiße, genau so etwas habe ich mir von Savas auch auf den letzten Alben gewünscht. Es fängt mit dem rumpeligen, geilen Oldschool-Beat an, der immer wieder auftauchende Worship an alte Helden wie Nas, Big L oder Em strahlt hier rabiat durch – und dann rappt er einfach auf die Zwölf. Kein komisches Konzept, kein Bootstrap-Blödsinn, einfach nur Rap als Athletik. Und siehe da: Auch knapp unter fünfzig rasiert der Mann.

Wie sehr er rasiert, spürt man auch indirekt, weil ich schon seit vielen Jahren Samra oder Sido nicht so gut gehört habe. Es gibt so etwas wie eine indirekte Rap-Feature-Physik: In der Regel zeigt sich die Qualität einer Vorlage oder eines Gastgebers daran, wie viel Mühe sich seine Gäste geben. Dass Sido zur Abwechslung mal klingt, als gäbe er einen Fick und rappe nicht nur zehn Minuten Freestyle runter, den er kurz vorher beim Rauchen geschrieben hat: Erfrischend. Und Samra? Gott im Himmel! Man möchte sich ja fast daran erinnern, wie er rüberkam, als er seinen ersten Impact in der Szene hatte! Der klingt so hungrig und so hart, man möchte regelrecht zwei Alben uninspiriertes Pianobeat-Selbstmitleid vergessen.

Nein, ganz ohne Rückhand-Komplimente: Das Intro und Titeltrack "Rap Genius" geht superhart. Das ist genau, wie ich mir Savas wünsche. Wenn man nicht zwischen den Zeilen liest. Muss man Samra wirklich hofieren, sich wehleidig darüber auszulassen, wie sie ihn "kleingehalten" haben? Klar, Unschuldsvermutung, dies, das, aber sein Gerichtsverfahren hat immer noch keinen Abschluss gefunden. Ich sag ja nur.

Man könnte darüber hinwegsehen, dass das dubios ist, würde es sich nicht so konsequent in ein größeres Bild einordnen. Savas und Olli Banjo machen sich auf ihrem Feature über Amber Heard lustig, Cr7z findet wacke Rapper "nervig wie ein psychotisches Ex-Girl" (ja, die mentale Agonie einer ehemals geliebten Person fände ich auch vorrangig ... "nervig". Du Kotzbrocken.). Cancel Culture, moniert Savas, das ist auch ein echtes Problem. Und natürlich: Moderne Rapper tragen Handtaschen. Alles, nur nicht Handtaschen.

Sorry für den ausschweifenden Paragraphen, aber irgendwie kommt es mir so spanisch vor. Ich will Savas gerne in diesem kompetitiven Modus hören, ich will, dass er verbissen und Oldschool rappt, von mir aus darf er auch gerne alle neuen Rapper kacke finden. Aber muss er wirklich auf fünfzehn Minuten Spielzeit die ganze Zeit in diesen konservativen Opa-Modus zurückfallen? Geht Rap von damals und Boomer-Mindset wirklich so schlimm Hand in Hand? Es müsste doch nicht so sein, oder?

Immerhin scheitert es nicht allein daran. Zwischendurch kommt Savas Hang zur Tackiness immer mal wieder zum Vorschein. "Watching You" hat so einen komischen Plastikbeat, der klingt, als hätte er den Harry Potter-Soundtrack gesamplet. "Zweites Gesicht" subtweetet irgendeinen alten Weggefährten darüber, wie falsch und illoyal er sei. Das soll erwachsen klingen und als würde er über den Dingen stehen, kommt aber eher rüber wie Melodrama unter Teenagern. Der kitschige Beat und die gottlos schwülstige Hook von NKSN helfen auch nicht unbedingt.

Aber trotz alledem: "Rap Genius", "Sandkastenfreunde", "Yessir" und vor allem "Monolith (Remix)" mit der sehr süßen Nas-Verbeugung, das ist musikalisch eigentlich on point. Mal ein paar Anscheiß-Bars ausgeklammert ist das Savas, so nah an seiner Topform, wie er es das letzte Mal auf "Essahdamus" war. Wären da nicht die zwei musikalischen Fehltritte, würden ihn vom Prädikat "fresh mit fast fünzig" wirklich nur seine Stammtisch-Boomer-Attitüden fernhalten. Muss ein Rap-Opa wirklich automatisch so anstrengend konservativ werden?

Trackliste

  1. 1. Rap Genius (feat. Sido & Samra)
  2. 2. Watching You
  3. 3. Sandkastenfreunde (feat. Olli Banjo)
  4. 4. Yessir (feat. Cr7z)
  5. 5. Zweites Gesicht (feat. NKSN)
  6. 6. Monolith (Remix)

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