laut.de-Kritik
Ralf Dörper und Michael Mertens ziehen den Kürzeren. Vorerst.
Review von Toni HennigRalf Dörper und Michael Mertens feierten Mitte der 80er-Jahre mit "A Secret Wish" internationale Charterfolge. Die damals noch mit ihren kraftvollen Vocals beteiligten Sängerinnen Claudia Brücken und Susanne Freytag veröffentlichten vor zwei Jahren als xPropaganda mit "The Heart Is Strange" auch ein eigenes Album.
Nach der Remixplatte "Wishful Thinking" und einem Labelwechsel gewannen Dörper und Mertens für den zweiten Longplayer "1234", der Anfang der 90er-Jahre auf den Markt kam, Betsi Miller als Vokalistin. Danach herrschte lange Funkstille. Dörper belebte seine Band Die Krupps neu, Mertens versuchte sich als Fernseh- und Filmkomponist. Es erschienen zwar noch Remixe, Archivaufnahmen und mit "Outside World" eine Scheibe mit verschiedenen Versionen und Remixen bekannter Hits sowie B-Seiten und gesuchten Promotracks, doch auf ein neues Propaganda-Album warteten Fans vergeblich. Nun hat das Warten mit der selbstbetitelten Platte ein Ende. Für das dritte Album taten sich die Düsseldorfer mit Filmkomponist Hauschka und der aufstrebenden Sängerin Thunder Bae zusammen.
Das mit experimentellen Vocoderklängen startende "They Call Me Nocebo" zeigt sich als schwebende Pop-Nummer, die von den säuselnden Vocals Baes lebt und gegen Ende mit Trance-Sounds und einem Gitarrensolo etwas ausladend wirkt. Leider fehlt es der Stimme an Wiedererkennungswert, um der sinnlichen Liebe/Lust-Thematik gerecht zu werden. Brücken und Freytag hätten aus dem Track gesanglich sicher mehr rausholen können. Von Sex und Sünde kündet "Purveyor Of Pleasure", das mit seinem eleganten Synth-Pop-Fundament noch am ehesten an die Propaganda der 80er-Jahre erinnert.
Die von kreisenden Bass- und hellen Klaviersounds sowie leichten Funk-Untertönen durchzogene Neueinspielung des "1234"-Songs "Vicious Circle" hätte man sich aufgrund der schwachbrüstigen Hook dann sparen können. Die tanzbare, von Trance-Rhythmen geprägte Elektro-Pop-Nummer "Tipping Point", die die ökologischen Verfehlungen der Gegenwart thematisiert, zählt hingegen zu den Highlights. Das von düsteren, trippigen Tönen getragene "Distant" verdeutlicht, dass Balladen Sängerin Thunder Bae am besten stehen.
Ebenso düster fällt die H.P. Lovecraft-Hommage "Love:Craft" aus, die von überwiegend akustischen Sounds und erzählerischen Vocals lebt und in ein dramatisches Streicherfinale mündet. Im instrumentalen "Dystopian Waltz", das eine bedrohliche Atmosphäre aufbaut und die Spannung über sieben Minuten lang oben hält, macht sich die filmmusikalische Arbeit Mertens' deutlich bemerkbar.
Zum Schluss gibt es noch eine Neuinterpretation des von Friedrich Hollaender geschriebenen und durch Marlene Dietrich bekannt gewordenen 30er-Jahre-Songs "Wenn Ich Mir Was Wünschen Dürfte", die mit verspielter Akustik, flächiger Elektronik, präparierten Klavierklängen Hauschkas und traurigem Gesang aufwartet.
Letzten Endes legen die Düsseldorfer eine Platte hin, die vor allem durch den organischen Touch in der zweiten Hälfte den Sound um interessante Facetten erweitert. Man merkt ihr jedoch an, dass sich Propaganda noch auf der Suche nach einem neuen, eigenständigen Profil befinden. Gegenüber der sehr guten xPropaganda-Scheibe zieht das Album den Kürzeren. Trotzdem bleibt abzuwarten, wie es in dieser Konstellation weitergeht, sofern es überhaupt zu einem zweiten, gemeinsamen Longplayer kommt.
3 Kommentare mit 6 Antworten
Sie hatte einen süßen Körper,
So wie der eine von den Krupps
– Wie hieß er noch?
Dörper!
Worum geht es hier tatsächlich?
Für mich hat das nichts mehr mit Propaganda zu tun.
Unter dem Namen hätten sie kein Album rausbringen sollen, finde ich.
Die früheren Alben sind erstaunlich gut gealtert und ich hör sie immer noch gerne.
Dann hör mal die xPropaganda. Das hat immer noch diesen Vibe der frühen Propaganda.
Früher war mehr Propaganda.
@toni
Danke für den Tipp! Bin ja mal gespannt.
Schönes Album, näher an 1234 als an Secret Wish.
Was mir nicht gefällt ist die kontrastarme Produktion. Es klingt alles harmonisch, aber alles ist mit Samt zugedeckt. Das könnte viel "Schmissiger" sein. So bleibt es bei schön und nett.
Und das Intro des ersten Songs passt so gar nicht zum Rest. Wer hatte denn diese Idee?
Trotz allem zu entdecken. Höre es gerne.
Eine remastered Deluxe Version mit zwei, drei Songs mehr und insgesamt mehr "Schmackes", hätte das Album verdient.
Nun ist das Album doch wirklich bei meinen aktuell meist gehörten. XPropaganda blieb nicht so hängen.
"Proopaganda" hat vor allem ein heute selten gewordene Qualität: es wächst mit dem Hören.
Kann also vorbehaltlos empfehlen, etwas Zeit zu investieren.