laut.de-Kritik

Cicero 2.0: locker und vielseitig wie noch nie.

Review von

Der Swing-Club ist ihm zu eng geworden. Auf "In Diesem Moment" betritt Roger Cicero bislang ungewohnte Pfade - und liefert ein herausragendes Pop-Album ab.

Hinter den Kulissen tauchen neue Namen auf, die das Spektrum des gebürtigen Berliners erweitern. Die Gästeliste, auf der sich u. a. Jamiroquai- und Juli-Musiker sowie Rea Garvey finden, sorgt für die richtige Durchblutung bei der Operation Cicero 2.0.

"Alles Kommt Zurück" erfüllt seinen Auftrag als Opener mit Drive und amüsantem Text. Doch erst mit der Sixties-Adaption "Für Nichts Auf Dieser Welt" legt er so richtig los. Dominant gibt das Piano die Richtung vor, der Song-Aufbau mündet in einem hymnischen und mitreißenden Refrain. "Keine Halben Sachen" macht Roger gleich hinterher im Umfeld von funkigen Beats - sowieso zündet nahezu jeder Track auf Anhieb. Die vormalige Fixierung auf Retro-Swing hinterlässt kein Vakuum - im Gegenteil.

Nur zu Besuch dabei: der ehedem für die Texte zuständige Frank Ramond. Nur für die eindringliche Ballade "Was Weißt Du Schon Von Mir" gibt er seine Visitenkarte ab, überlässt die restlichen Songs aber Cicero selbst und einem neuen Team von Co-Autoren. Das in sie gesetzte Vertrauen zahlen die Wortschmiede mit durchweg blitzsauberer Arbeit zurück.

Das in der Vergangenheit gern kritisierte konservative Rollenbild von Mann und Frau findet 2011 nicht statt. Auch wenn die Dinge zwischen den Geschlechtern erneut ihren Platz finden: Ciceros Herangehensweise ist eine komplett andere. Anstelle überholter Klischees treten lebensnahe Empfindungen und Beobachtungen.

Dazu gehört auch "Einfach Mal", in entspanntem Akustik-Umfeld die Seele baumeln zu lassen. Die Arrangements der Songs gestalten sich gleichermaßen bunt wie unangestrengt inszeniert, gespickt mit stimmig eingestreuten Sound-Details.

Nahezu jede Nummer hält neue Wendungen, bestechende Instrumental-Parts und sauber ausgespielte Breaks bereit. Ausfallquote: null! Dafür hält er jede Menge Abwechslung und Hörspaß parat: Das famos groovende "Der Typ Im Spiegel" beackert unwiderstehlich mitreißend den Seventies-Disco-Dancefloor.

Den stärksten Eindruck hinterlässt Roger, wenn er emotional mittendrin ist, seine Zurückhaltung aufgibt und sein breites gesangliches Spektrum voll ausspielt. In "Adieu & Kuss" besucht Cicero pointenreich skizziert die Scheinwelt der Schönen und Reichen, die hinter ihrer eleganten Fassade gerne Dreck am Stecken haben. Spannungsvoll und atmosphärisch gestaltet, bewegt sich die musikalische Koloratur hier zwischen Film Noir-Partituren und der Jazz-Welt eines Tim Isfort Orchester.

Einen besonderen Höhepunkt hält gegen Ende das originell umgesetzte "Zu Zweit" bereit. In der als entspannte Fifties-Fingerübung konzipierten Nummer erregen lässige Piano-Licks Aufmerksamkeit. Die gehen aufs Konto von Multitalent Jools Holland, der nach Ciceros Beitrag für seine eigene Platte auf einen willkommenen Dankes-Gastauftritt vorbeischaut.

Roger geht seinen Einsatz mit voller Energie an, und gesteht sich eine ungewohnte Lockerheit zu. "In Diesem Moment" läutet die Abkehr vom bisher gepflegten Image ein, ohne altgediente Fans zu verschrecken und birgt zugleich reichlich Potential, neue hinzuzugewinnen.

Trackliste

  1. 1. Alles Kommt Zurück
  2. 2. Für Nichts Auf Dieser Welt
  3. 3. Keine Halben Sachen
  4. 4. In Diesem Moment
  5. 5. Erste Liebe
  6. 6. Einfach Mal
  7. 7. Der Typ Im Spiegel
  8. 8. Adieu & Kuss
  9. 9. Eine Reise
  10. 10. Was Weißt Du Schon Von Mir
  11. 11. Nicht Für Mich
  12. 12. Zu Zweit
  13. 13. Dunkelheit Zu Licht

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5 Kommentare

  • Vor 13 Jahren

    Ich bin ja bekennender Cicero Fan und musste deswegen auch schon manchen Seitenhieb einstecken. Deshalb danke ich dem lieben Arthur das er mit immer so helfend zur Seite springt mit seinen guten Rezensionen. Er behandelt diesen Künstler und seine Musik eben mit der nötigen Objektivität statt auf der Kritik Schiene einfach mitzugleiten.

    Lieber Arthur du triffst hier den Nagel definitiv auf den Kopf. Das neue Album geht neue Wege ohne die alten zu verdammen und das ist auch gut so. Gut ist auch dass der liebe Roger sich textlich deutlich von der Sportschau und den Frau/Mann Klichees wegbewegt hat und sich tiefgründigeren Themen widmet. Trotzdem macht das ganze immer noch sehr viel Spass. Auch cool das er sich traut popiger daherzukommen und die Big Band deutlich runterzufahren.
    Das Album ist wirklich top. Die vorab Single hat definitiv nicht zu viel versprochen und macht absolut Lust auf mehr. Die anderen Stücke hab ich mir vorab schon mal angehört und auch hier geht der Daumen klar nach oben.
    Ich muss zugeben das ich ein bisschen Skeptisch war weil man nach den 3 ersten Alben sich doch schon fragen konnte wie man nach dem selben Muster noch mehr Titel produzieren sollte und ob es nicht doch langsam langweilig werden würden. Hier hat Roger gezeigt das er sich sehr wohl bewusst war das er auf der 4.Scheibe was ändern musste und das ist ihm sehr gut gelungen. So kann man sich dann auch in Zukunft auf das 5. Album freuen.

  • Vor 13 Jahren

    Lieber Swingmaster, ich habe oft den Eindruck, dass nicht ich, sondern Du in Sachen Kommentaren zu von mir besprochenen Sachen mir gern und gut mal zur Seite stehst ... wenn es denn Platte und Künstler verdienen. Merci! ;)
    Das alles Entscheidende ist natürlich immer das jeweils vorgelegte Material. Klar bot/bietet jemand wie Cicero immer Gründe für kritische Anmerkungen. Doch schon seit dem ersten Album setzt er sich profilmäßig - und künstlerisch - unverwechselbar in der hiesigen Musiklandschaft fest. Ob mans nun mag oder nicht: seinen eigenen Dreh hat er. Ich persönlich denke, dass da in ihm - und Band und anderen Mitwirkenden - für die Zukunft sogar noch eine ganze Menge mehr drin ist. "In Diesem Moment" ist eine hervorragende Bestandsaufnahme des Stands der Dinge in Sachen Entwicklungen für später. Kenne ihn live nur von DVD, aber wie untadelig und super meistert er diese Aufgaben, und vor allem: mit noch viel mehr Schmiß und Schmackes als 'nur' bei den Studio-Alben. Die Live-Umsetzungen von "Nur In Diesem Moment" versprechen, sehr spannend zu werden. Zum Album noch eine persönliche Sache: krieg ich eine neue CD, spring' ich eigentlich immer erstmal neugierig von Song zu Song zum Reinhören. Bei Roger habe ich bei Track 1 recht schnell weitergeskippt, und wunderte mich dann so bei Track sechs oder sieben, dass ich ab dem ersten Skippen mit viel Spaß komplett dabeigeblieben bin von Anfang bis Ende ... selten passiert das. Doch so soll Musik sein: Spaß machen, von vorn bis hinten fesseln, und dabei Ideologisches draußen vor lassen. Die CD ist 'nur' Pop plus Extras plus Mehr, aber wie UND wie ... da können sich viele andere Bemühte hierzulande mal ein Beispiel dran nehmen. Roger ole! :smoke:

  • Vor 13 Jahren

    Kleine Frage lieber Artur. Wie kommt es eigentlich das du alle Cicero Alben bisher rezensiert hast? Ist das Zuteilung, freiwillig oder einfach Zufall?

    Martin

  • Vor 13 Jahren

    Freiwillig - und immer rechtzeitig für die Zuteilung gemeldet, wenn es soweit war. "Erbhöfe" gibt es - erfreulicherweise - nicht bei laut.de. Grundsätzlich ist jeder/r Rezensent möglich für eine Platte. Aber es ist sicher o.k., wenn nicht z. B. Eddy für den guten Roger vorab angedacht wird - oder ich fürs nächste Lordi-Album. ;-)

    Und deutscher Hip Hop etwa ist allein rein fachlich fraglos auch bei Frl. Fromm viel besser aufgehoben als bei mir. Alles untadelig demokratisch bei laut.de, grundsätzlich kann/darf/soll jeder/r alles rezensieren (können/dürfen).

    Aber ich glaube, z. B. die von mir heiß geliebten Pet Shop Boys wird mir Michel niemals freiwillig überlassen. :D

  • Vor 13 Jahren

    Ich finde das er die Pet Shop Boys Alben immer sehr punktgenau rezensiert ist also kein Qualitätsverlust. Nächstes Jahr kommt ja wieder ein neues. Freu mich auch schon.