laut.de-Kritik

Mit Thomas Gottschalk-Klonen im Erzgebirge.

Review von

Manchmal steht man da und weiß nicht weiter. Dann kommt Rolf Blumig vorbei, küsst dich auf den Mund, tritt dir in die Kniescheibe und moonwalkt davon. So klingt zumindest "Rolfie Lebt", sein zweites Album, das zwei Millionen Fragen aufwirft und alle Antworten vergessen hat. Warum gab es "Lass Mich Dein Martin Sein, Nochmal" schon auf dem Debütalbum, in exakt gleicher Form? Wer ist überhaupt Martin? Skt. Martin? Martin Schulz (an der Stelle, erhebet mit mir ein Glas auf den Gottkanzler a.D.)? Oder Martin Walser? Wer will Martin Walser sein? Ich hab mal 90 Seiten "Tod Eines Kritikers" gelesen und die Zeit bekomm ich nicht wieder.

Anyway, "Rolfie Lebt" und das nicht nur einmal. Andauernd erfindet sich Rolf Blumig, der auch nur ein Künstlername ist, neu. Sein Staatsakt-Debüt ist bei weitem nicht sein erstes Werk. Nach eigener Aussage im Dispositions-Podcast mit Maurice Summen lungern noch unzählige Alben irgendwo auf Festplatten rum. Wenn "Rolfie Lebt" die "öffentlichkeitsreife Version" ist, wie klingt dann der Rest? Wie viele Stimmspuren werden dort aufeinander gestapelt? Wie häufig enden dort catchy Popsongs in atonaler Zwölftonmusik? Ich will die Antwort gar nicht kennen.

Schon "Rolfie Lebt" quillt über vor lauter Ideen, Stilbrüchen und Neuausrichtungen. Kaum glaube ich, etwas durchdrungen zu haben, tritt mir das Album in die Magengrube und fliegt davon, wie einst Karlsson vom Dach. Hier treffen Death Metal-Riffs auf 50s-Schlager auf Funk und Pop und ganz viel Abseitiges.

Während der Tropicalismo einen sanften Hüftschwung auflegt, fantasiert Rolfie in "1000 Thomas" von Thomas Gottschalk als blondem Übermenschen, mit dessen Klonen er das Erzgebirge voller Hinterwäldlern erobern will. Dazu kann es im Refrain nur die ganze große "Wetten, dass..?"-Showbühne geben, mit Crooning, Mehrstimmigkeit und Saxofon. Es ist so abstoßend wie faszinierend, so überfordernd wie anschmiegsam. Rolfie zerfleddert in seinen Rollen und verwandelt sich am Ende in einen Schlangenmensch, es ist kaum auszuhalten und doch wunderschön.

Als würde man durch eine Zwanzigerjahre-Freakshow streifen, springt zweimal pro Minute eine neue Version von Rolfie aus dem Schatten hervor, Irrsinn in den Augen und ausgestattet mit dem absoluten Willen, das Merkwürdigste zu tun. "Walter", der Nazisprössling, verliert den Verstand, weil die eigene Frau Mutter Kommunistin ist und er sie nicht denunziert hat. Wie so was klingt? Dumme Frage. Natürlich nach einer Version von Swing, aber gespielt von Leuten auf dem Worst-Speed-Trip imaginable, die dann im Mittelteil kurz zu dämonischen Boten der Metal-Hölle werden, weil der kleine Walter an die Ostfront muss, wo er sein Ende findet.

Dann doch lieber rüber zu "Bienes", was vielleicht nicht auf den Sex-Playlists der Republik landen wird, aber fürs Flirten auf der Underground-Vernissage vielleicht perfekt ist: "Du weißt ich bleib immer hier, im Halbschatten deiner Seite / und ich weiß du träumst von mir in freudiger Paranoia". So klingt das also, wenn Rolfie mit mir ins Bett will. Als hätten sich Bilderbuch nicht als Neoromantiker neu erfunden, sondern ihre weirdesten Funk-Tendenzen übernehmen lassen. Die Gitarre nörgelt wunderbar anzüglich, wie eine Verheißung, während Rolfie in doppelter Manier auftaucht. Einmal in seiner gewohnten Rolle als Kopfstimmen-Quälgeist und als Special Guest, ausgestattet mit einem überraschend vollen, dunklen Timbre.

Das rumpelige "Lass Mich Dein Martin Sein, Nochmal" voller Leierkastencharme erinnert entfernt an "The Taste And The Money" der Labelkollegen Ja, Panik. Hier scheinen Schlagzeug und Bass mit dem Rest des Songs darum zu kämpfen, eine Art durchgehenden Rhythmus zu erzeugen. Rolfie ist das egal, er will eben Martin sein. "Kaff Um Berlin" flirtet hingegen mit R'n'B, nur um in einer gigantischen Kakophonie zu explodieren. "Blumen" wirft sich lieber als Heimatschlager in Schale, Rolfie wird zum Volkscharmeur. "Traumjob Strandbar" ist ein nervous breakdown im Traveler Hostel voller Eifersucht und Unzulänglichkeit. Da bleibt leider keine schwermütige "Zeit Zum Verlieben".

"Das einzige, was am Ende bleibt? 2 Tonnen Nikotin, gepumpt in meine Heimat."

Trackliste

  1. 1. Brndnbrg
  2. 2. Traumjob Strandbar
  3. 3. 1000 Thomas
  4. 4. Bienes
  5. 5. Walter
  6. 6. Blumen
  7. 7. Lass Mich Dein Martin Sein, Nochmal
  8. 8. Kaff Um Berlin
  9. 9. Maare
  10. 10. Zeit Zum Verlieben

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1 Kommentar mit 2 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    1000 Thomas klingt wie ne Mischung aus Die Sterne, Udo Jürgens und nem Kilo Wahnsinn.

    Ich kann nicht skippen... ist eigentlich recht cool!

    • Vor 2 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 2 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 2 Jahren

      Lief neulich schon in der "Geek-Preview", einem Zweig meines RL-Sozialkreises, der sich aus unterschiedlichen Gründen aus einem übergeordneten Kreis politisch ähnlich positionierter Individuen heraus bildete und deren Gastgeber auf eine charmant-anachronistische Weise dem Loadusertum sowie der Promoexemplarkultur der 00er-Jahre durch mehrere Veranstaltungen pro Monat mit begrenztem Zugang huldigen.

      Viel abgefahrener als in diesen Kreisen geht es dann auf Rolfies neuestem Meisterwerk auch nicht zu. Aus Sicht der Erfinder und Betreiber des Forster/Giesinger-Geschäftsmodells und dessen finanzieller Förderer latürnich Parallelgesellschaften alternativer Universen, deren bloße Existenz bis heute angeblich wissenschaftlich gar nicht eindeutig nachweisbar ist. :D