laut.de-Kritik
Sterbende Träume treffen "Aladdin Sane".
Review von Sven Kabelitz"'Adore' glich einem alterndem Hollywood-Star", erzählt Corgan im Jahr 2000 dem Magazin Q. "Sie ist 55 Jahre alt und hat sich dreimal das Gesicht liften lassen. Eines Tages schaut sie in den Spiegel und ihr wird plötzlich klar, dass sie es einfach nicht mehr bringt. Die Platte dreht sich einzig und allein um sterbende Träume."
Nicht nur Träume verenden nach dem überlebensgroßen Epos "Mellon Collie And The Infinite Sadness" im Umfeld der Smashing Pumpkins. Die seit "Gish" niemals enden wollende Party im Grunge-Zirkus findet ein jähes Ende und hinterlässt einen entsetzlichen Kater. Corgans Ehe scheitert, seine Mutter stirbt an Krebs und Tour-Keyboarder Jonathan Melvoin an einer Überdosis Heroin. Letzteres führt zum Rausschmiss des Schlagzeugers Jimmy Chamberlin, den Corgan als Freund und Seelenverwandten bezeichnet.
Die dunklen Wolken hinterlassen deutliche Spuren. Als die drei übrig gebliebenen Pumpkins am 29. Mai 1998 mit "Adore" wieder an die Öffentlichkeit treten, scheint kaum noch etwas von ihnen übrig zu sein. Nackt und verletzlich stehen sie vor einem gespaltenen Publikum, von dem nur wenige den Weg des so deutlich aus dem Gesamtwerk herausstechenden Longplayers folgen wollen. Treffend schreibt David Wild in den Liner Notes der Deluxe Edition vom "überraschend schönen Sound einer auseinanderfallenden Band".
"Adore" verzichtet ergreifende 73 Minuten lang auf größtenteils alles, das die Pumpkins bisher ausmachte. Die verzerrten Gitarren und die Wut treten komplett in den Hintergrund. Stattdessen erschaffen Dream Pop-Balladen, Folk, Electronica, Gothic und der Puls von "1979" eine schummrige Atmosphäre. Akustische Gitarren, Drumcomputer und ausgedehnte Keyboardflächen legen bis dato unbekannte Facetten frei. Die subtilen Wiegenlieder von "Adore" existieren ausschließlich in einer anderen Zeitzone. Diese Geschichte erzählt Corgan nur ein einziges Mal und kommt nie wieder an den Ort des Geschehens zurück.
Chamberlins verwaister Stuhl bleibt nach unzähligen Castings vorerst leer. Stattdessen reichen Matt Walker (Filter), Joey Waronker (R.E.M., Beck, Atoms For Peace) und Matt Cameron (Soundgarden, Pearl Jam) wie beim Staffellauf die Sticks von Hand zu Hand. All dies durchziehen dröhnende Beats, für deren Programmierung Bon Jarris von Nitzer Ebb verantwortlich zeichnet.
"It's you that I adore / You'll always be my whore." "Ava Adore" stampft wie das Ding aus dem Sumpf durch knietiefen Schlamm. Die Smashing Pumpkins befinden sich, ganz Rüschenhemd, im bleichgeschminkten Goth-Modus. Ein verdrehtes, bedrohliches Liebeslied, dessen elektronische Kälte nur Ihas Gitarre und Corgans zersetzender Gesang durchbrechen. "And I'll pull your crooked teeth / You'll be perfect, just like me."
Doch das lärmende "Ava Adore" weckt falsche Erwartungen an das Album, die der Opener "To Sheila" mit seinem versunkenem Arrangement zugleich zurechtrückt. Akustische Gitarre, ein Banjo, ein weit entferntes Wummern und mehrfach übereinander gelegte Gesangsspuren bewegen sich kaum voran. Zeit und Raum stehen still, die Uhren verformen sich und werden unbrauchbar. "Twilight fades on blistered Avalon."
"Perfect" bildet das Bindeglied zwischen "Mellon Collie And The Infinite Sadness" und "Adore" und reicht den Fans des Vorgängers freundlich die Hand. Dabei handelt es sich jedoch nur um einen lauwarmen "1979"-Aufguss, der sich mutlos, aber nicht ohne Reiz, an seinen Vorgänger klammert. In der sehnsüchtigen Klavier-Ballade "Crestfallen", die mit glucksenden Beats in Skizzenhaftigkeit und Intimität verweilt, leckt ein gebrochener Corgan seine Wunden.
Für David Lynchs "Lost Highway" geschrieben, dort aber von "Eye" verdrängt, schaukelt die schwelgerische Electro-Wave-Oper "Tear" durch rauen Seegang. "Daphne Descends" galoppiert durch verflochtene Gitarren-Feedbacks in Richtung eines eindringlichen Refrains. Das epische "For Martha" mit seiner ebenso simplen wie verträumten Piano-Melodie stellt eine zarte Hommage an Corgans verstorbene Mutter dar. Traurig und benommen taumelt der Sänger durch dieses emotionale Bravurstück. Trotz der großen Fallhöhe verfällt er niemals dem Kitsch. Ihas Gitarre nimmt sich fürsorglich zurück, bis sie in einem intergalaktischen Sturm ausbricht. "If you have to go I will get by / I will follow you and see you on the other side."
Für die "Adore"-Deluxe Edition plustert sich das Album auf sechs CDs und eine Live-DVD auf. Den eindeutigen Höhepunkt bildet dabei das sechste Kapitel "Kissed Alive Too". "Ava Adore", "Daphne Descends", "The Tale Of Dusty And Pistol Pete" und "Tear", die vier Songs der "Sao Paulo Session", erreichen mit Mike Garson und dessen ebenso schwärmerischem wie unterkühltem Klavier-Sound eine höhere Ebene. "Adore" trifft auf "Aladdin Sane". Die Zusammenarbeit mit dem Jazz-Pianisten, den meisten wegen seiner jahrelangen Zusammenarbeit mit David Bowie bekannt, fordert die Smashing Pumpkins deutlich heraus. Geschickt hält Corgan seine Mannen und sein eigenes monumentales Ego zurück und lässt dem Künstler in einem reduzierten Umfeld Platz zum Entfalten. Der Pfad führt direkt zum kohlrabenschwarzen "Stigmata"-Soundtrack und dem eher enttäuschenden "With Every Light" auf "Machina/The Machines Of God". Eine unwirsche, knapp dreizehn Minuten lange, Live-Version von Joy Divisions "Transmission", die leider ohne Garson auskommen muss, rundet CD Nummer sechs ab.
Zu den weiteren Highlights im Dickicht aus Demo-Versionen, Snippets, Remixen und Outtakes zählt das von Rick Rubin produzierte "Let Me Give The World To You". Melodische Gitarren-Parts und opulente Streicher erinnern an "Mellon Collie And The Infinite Sadness". In der geschlossene "Adore"-Psychiatrie hat der Track freilich keinen Platz und findet erst später in einer von Flood produzierten Neuaufnahme auf "Machina II/The Friends & Enemies Of Modern Music" ein Zuhause.
Sean John Combs aka Puff Daddy aka P. Diddy nimmt in einem bereits 1998 entstandenen, aber bisher unveröffentlichten, "Ava Adore"-Remix dem Lied seine Bedrohlichkeit. Er lüftet einmal gründlich durch, ersetzt die Industrial-Einflüsse mit feudalen Synthesizer-Geigen, einer lieblichen Gitarre und leichtfüßigem Beat. Das Ergebnis eröffnet eine komplett neue Perspektive auf den Track. Melodisch, leidenschaftlich, kitschig und definitiv hörenswert. Mit einer deutlich elektronischen Ausrichtung hievt Matt Walker mit "Crestfallen", "Cash Car Star", "Pug", "Daphne Descends" und "Saturnine" gleich fünf Songs ins Jahr 2014.
Die freudig-melancholische Keyboard im Instrumental "Heaven" erinnert, nicht nur aufgrund des Titels, unter seinem Aufruhr aus verzerrten Gitarren und krachendem Schlagzeug deutlich an einen der schönsten Pop-Songs von The Cure. "Indidecision" könnte einer gemeinsamen Lo-Fi-Spielstunde von Radiohead und Damon Albarn entsprungen sein.
Wer genau die Zielgruppe für die zweite CD sein soll, auf dem sich "Adore" noch einmal komplett in Mono befindet, bleibt ein Rätsel. Aber vielleicht warten auch irgendwo auf unserem Planeten Menschen darauf, "Guardians Of The Galaxy" endlich auf VHS und in schwarz/weiß zu sehen.
10 Kommentare mit einer Antwort
Hat er es doch noch rezensiert.
Ich muss bei der Platte immer an die genialen, unübertroffenen Live Performances denken, auch wenn ich damals noch sehr jung war. Vor allem "Tear" zur damaligen Zeit war hammer geil; ebendso Ava Adore und Daphne Descent.
https://www.youtube.com/watch?v=5Ds-fPZUdb0
Der Soundtrack meiner Jugend. Ich habe dieses Album sowas von vergöttert. Besonders die letzten Songs von Annie-Dog bis Blank Page. Bisher eindeutig das beste Bonus-Material welches die Deluxe Versionen der SP Alben hervorgebracht haben.
Ich kannte bis dato Smashing Pumpkins nicht. In London sah ich die Werbung in den Showfenstern bei Tower Record , auf Bussen etc. Mir das Album angehört weil ich neugierig war und von da an wurde ich Fan und hab alles mir von denen besorgt. Dieses Album vergöttere ich ! Grandios
CD 2 = die exakte Kopie in Mono XD
Hatte neulich unnormales relistening betrieben, vom Debut bis einschliesslich 'Adore', das mir in Retrospektive inzwischen wohl am besten gefaellt - was nicht heisst, dass ich mir das heutzutage noch gut geben kann. Bestes SP-Stueck sowieso auf der 2. CD des Best Of, 'Blissed And Gone' naemlich.