laut.de-Kritik
Zwei Fäuste für ein "Dödöp'n'Dödö".
Review von Ulf KubankeDie Berglinde wird 70. Da muss ein gebührend frisches Lebenszeichen her. Viel Zeit hat Udo Lindenberg sich seit dem letzten Comebackalbum und der herausragenden Unplugged-Scheibe gelassen. "Stärker Als Die Zeit" bringt 15 neue Lieder des Deutschrock-Paten, und die Platte klingt durch und durch udofiziert: Zwei Fäuste für ein "Dödöp'n'Dödö".
Der Rahmen ist im wesentlichen derselbe wie auf "Stark Wie Zwei". Auch die Zusammenarbeit mit den Produzenten Herbig/Menzel/Seifert feiert ihre Neuauflage. Neben dem Trio nutzt Lindenberg - wie bereits vor acht Jahren - eine ganzes Heer von Songwritern; u.A. den alten Bekannten Martin Tingvall vom Tingvall Trio.
Die Methode des Komponisten-Outsourcings wirkte bereits auf "Stark Wie Zwei" etwas irritierend. Ein Lindenberg braucht bzw. brauchte in den frühen Glanzzeiten keine Steigbügelhalter in Truppenstärke, weil niemand seinen eigenen Songideen das Wasser reichen konnte. Auf der neuen Platte ist es ähnlich. Manchmal glückt das Konzept der vielen Köche. Mitunter jedoch zündet das Gebräu nicht recht. Heraus kommt ein durchweg sympathisches, in Teilen gutes, aber nicht durchgehend meisterhaftes Werk.
Sympathiepunkte gibt es für die Authentizität seiner Sprache, seiner Intonation und seiner Texte. Das ist keine Übertreibung. Die Art des ebenso bildhaften wie schnoddrigen Unikums hat er schließlich erfunden. Er lebt es jenseits der Bühne ebenso wie auf Platte. Dass der Mann mutmaßlich ein gutes Herz hat, verleiht besonders den Mutmach-Texten wie "Durch Die Schweren Zeiten" eine zusätzliche Glaubwürdigkeit jenseits der üblichen marktstrategischen Krokotränenkönige aus Deutschland. Chappeau!
Noch besser wird es, wenn das Urtier of Teutonenrock über sich und die eigenen Macken singt. "Plan B" und "Mein Body Und Ich" etwa punkten mit Charme zwischen verdientem "My Way"-Bekenntnis, einem Hauch Selbstironie und der knuffigen Dödöp-Attitüde, die tatsächlich schon in nahezu unser aller gesamtem Leben präsent ist. "Willst'n Kaffee, 'nen kleinen Whiskey oder 'nen Joint?" In so guter Gesellschaft gern alle drei. Erst recht in Ansehung des herrlich dezenten, sehr effektiven Pianoarrangements.
Ohnehin ist die Platte immer dann besonders gut, wenn sie auf sanfte, zurückhaltende Instrumentierung setzt. Pianoman Tingvall zeigt dies in "Wenn Du Gehst", einer Art "Ain't No Sunshine" auf Lindenbergisch. Hier spielt er sein Charisma aus und beweist die nationale Ausnahmestellung. Denn sind wir ehrlich: "Wenn du gehst, kracht der Himmel ein und die Sonne hört auf, zu schein'" ist auf dem Papier ähnlich grenzwertig, wie Massivs Mond, der ins berüchtigte Ghetto kracht.
Leider sind nicht alle Momente musikalisch so stark wie etwa auch die intensiven "Eldorado" (mit Intimus Stuckrad-Barre als Mitautor) oder "Der Einsamste Moment". Das liegt nicht am Vortrag des hanseatischsten aller Westfalen, sondern an der oft langweilenden Belanglosigkeit der Produktion bei den schnelleren Stücken.
Diese Achillesferse ist regelrecht ernüchternd, fast ärgerlich und definitiv widersprüchlich. Vergleicht man etwa das hervorragend arrangierte Titelstück samt seines augenzwinkernden "Godfather"-Zitats mit den Klamotten der Uptempo-Nummern "Durch Die Schweren Zeiten", "Blaues Auge" oder "Coole Socke", stinken die letztgenannten komplett ab. Das Produzentengespann liefert hier nur Reißbrettkram fürs Formatradio. Am Ende steht Udo in derselben Supermaktschlange of Sound wie Stürmer, Silbermond und co.
Dabei schreit doch gerade dieser wettergegerbte Veteran mit seinen Rock-Meriten nach ein wenig Reibung, Rauheit und jener maßgeschneiderten Soundpalette, die dem Individualismus Lindenbergs angemessen wäre. Denn im Gegensatz zu den Erwähnten ist Udo eigentlich ein Unikat und keine Gattung. Hätte man diese Selbstverständlichkeit berücksichtigt, wäre Album Nr. 35 nicht nur streckenweise, sondern insgesamt "'ne ganz geile Matrix".
22 Kommentare mit 29 Antworten
Och, etwas enttäuschend. Da war die letzte doch wesentlich präganter mit "Interview mit Gott", "Woody Woody Wodka" oder "Chubby Checker". Irgendwie fehlen die Highlights abseits der Schwurbelballade. Der Ironie-Hahn ist irgendwie zugedreht. Das hat Udo immer auch ausgezeichnet.
1/5, Lindenberg repräsentiert nicht die Straße, er soll aufhören einen falschen Film zu schieben.
wie ne Videothekenaushilfskraft
Props für den Vergleich
Eine Sache verstehe ich nicht: Wenn sich Schweiger durch den Tatort nuschelt, beschwert sich Deutschland. Wenn Udo Lindenberg nuschelt, ist es der ganz eigene, coole und über Jahrzehnte perfektionierte Gesangsstil.
naja, weil das ja auch genau der unterschied zwischen den beiden ist, eh? der eine ist ne marke, der ande4re eher ne panne...
Das beide nuscheln ist der Unterschied zwischen beiden? Okay, notiere ich mir so. Danke.
nein, das bezog sich auf "coole gesangsstil". nuscheln und nuscheln ist nicht dasselbe
schonmal zu fortgeschrittener stunde inner ranzigen eckkneipe bei bier und korn zu till schwaigers genuschel abgefeiert? nein? genau das ist unterschied.
Danach gut drauf irgendwann nach Hause und auf der Couch ausnüchternd TV an und Tatort läuft. Genau das ist der Unterschied
...dabei so voll und kaum erkennend, wie scheiße der Schweiger eigentlich ist. Genau das ist der Unterscheid
Udo Lindenberg !!!
Ich war mal bei einer tollen Band auf Probe dabei.
Die hatten so einen Song: Denn darmals war noch alles klar.
Und ich meine, das ist heute auch noch so.
Da hat Udo Lindenberg das Werk eines Altmeisters abgeliefert, der sehr genau weiß wovon er spricht und singt und das ist ihm PERFEKT gelungen. Wem das nicht gefällt... nicht negativ bewerten sondern BESSERMACHEN! (Gilt vor allem auch für den überheblich-pseudoeloquenten Autor dieser Rezension)
Faire Kritik, Ulf. Jezt weiß ich auch, warum mit einiges so anders und trotzdem so vertraut vorkam: Martin Tingvall.