laut.de-Kritik

Hits ja, "Bravo" nur vereinzelt.

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Leute, es gibt sie noch: die Bravo Hits! Als ich das gelesen habe, hätte ich mich beim "TV Total" schauen vor Schreck beinahe an meinem Hubba Bubba verschluckt und mein Nokia-Tastenhandy fallen gelassen. Seit 1992 erscheint die Kult-Compilation, in den letzten Jahren ist sie von der ganz großen Bildfläche verschwunden, aber eben auch nie komplett in der Bedeutungslosigkeit versunken – ein bisschen wie der HSV.

Mittlerweile sind wir bei der 117. Ausgabe angelangt, und es hat sich nicht viel geändert: die Bravo Hits sind immer noch eine Hassliebe-Ansammlung der großartigsten und schlimmsten Chart-Songs. Werfen wir deshalb mal einen Blick auf alles, das aus der Mainstream-Mischung heraussticht.

Angefangen bei der ultimativen Deutschland-Power-Kombi "In Your Arms (For An Angel)" von den DJs Paul Van Dyk, Topic und Robin Schulz sowie Sänger Nico Santos. Ersterer ist zweifelsohne einer der legendärsten deutschen EDM-Acts, Topic und Robin Schulz gehört die Gegenwart und wohl auch die nahe Zukunft. Und Nico Santos ist halt auch dabei, kann ja ganz nett singen. Ganz nett beschreibt auch den Track passend. Klingt modern, nicht verkehrt, von dem Aufgebot hätte man aber etwas mehr erwarten können.

Auch der Mega-Trend-Hit des Sommers "Do It To It" von Acraze darf nicht fehlen. Fun-Fact hierzu: die Inspiration kam dem US-DJ, als er den Originaltrack von der Girlgoup Cherish in einer Instagram-Story hörte und sein Handy anfing zu glitchen und im Song hin und her sprang. Ungewöhnliche Entstehung, den Zeitgeist hat er mit dem Tech-House-Mix aber allemal getroffen.

Was für Musik-Trends sind sonst noch so aufgekommen in letzter Zeit? Ach ja, Drill. "Night Away (Dance)" von A1 x J1 und Tion Wayne ist dabei ein echtes Phänomen. Der Song samplet die Melodie aus JLos "On The Floor", das sich wiederum an Kaomas "Lambada" orientierte, das wiederum "Llorando Se Fué" von Los Kjarkas zum Vorbild hatte. Ideen-Recycling war eben schon immer ein Erfolgsgarant.

Deswegen muss man in den Bravo Hits 117 schon genau suchen, um überhaupt einen Track zu finden, dessen Melodie man nicht schon mal irgendwo gehört hat. "Hallucination" von Regard bedient sich bei Imanys "Don't Be So Shy", "Hopeless Heart" von Keanu Silva bei Robert Miles' legendärem "Children" und so weiter. Gut, dass es noch ehrliche, hochkarätige Songs wie unseren ESC-Shit ... äh ... Hit "Rockstars" von Malik Harris gibt. Kleiner Scherz am Rande.

Tatsächlich will ich die Wiederverarbeitung vergangener Erfolgs-Songs aber überhaupt nicht verteufeln. Dass man das auch gekonnt lösen kann, beweist etwa Kungs mit der Disco-Hymne "Clap Your Hands".

Ansonsten gibt es auf der ersten Disc zwischen viel 0815-Pop eher wenige Highlights. Charlie Puths "Light Switch" gehört sicher zu diesen – allein schon, weil er es mit einem Lichtschalter-Sound in die Charts geschafft hat. "Lonely" von Zoe Wees überzeugt mit einem sehr persönlichen, bewegenden Text, Lukas Graham setzt seine hervorragende Stimme in "All Of It All" in Szene. Und für alle, die es etwas härter mögen schiebt "Move Your Body" von Öwnboss ordentlich.

War Disc 1 noch recht stark auf EDM konzentriert, rückt der Fokus auf der zweiten Disc zunehmend in Richtung Hip Hop. Teilweise mit Ami-Stuff, etwa von Internet Money und 24kGoldn ("Options"), aber auch häufig mit Deutschrap von SDP und Montez ("Wie Viele Lieder Muss Ich Noch Schreiben?"), Fourty und Mathea ("Wenn Du Mich Vermisst") oder T-Low und Miksu/Macloud ("Sehnsucht"). Alles ok, aber auch ohne die ganz krassen Höhepunkte.

Diese liefern dafür zwei junge Kanadierinnen: Lauren Spencer-Smith mit ihrer emotionalen Ballade "Fingers Crossed" und Tate McRae mit dem Teenie-Pop-Stück "She's All I Wanna Be". Mit 18 Jahren war mein größter Erfolg eine 2-3 in Mathe, die beiden haben es jetzt schon weltweit in die Charts und nun auch auf unsere Bravo Hits schaffen. Kann man mal so machen.

Besonders Tate McRae sollte man wegen ihres zeitgemäßen Songwritings und ihrer einzigartigen Stimme auf dem Schirm haben. Bereits seit zwei Jahren prophezeie ich ihr eine kometenhafte Karriere, Ende Mai kommt endlich das Debüt-Album. "She's All I Wanna Be" ist sicher einer ihrer schwächeren Songs. Trotzdem: merkt euch unbedingt den Namen.

Auch die Doppelsingle "Scheiß Wessis"/"Scheiß Ossis" von Marteria und den Toten Hosen hat vielen Chart-Songs zumindest die gute Message voraus. Ebenfalls symbolische Wirkung hätte ein Sieg der Ukrainer beim diesjährigen ESC. Ich muss allerdings sagen: musikalisch wäre es nicht unverdient, "Stefania" von Kalush sticht nämlich auch aus den Bravo Hits positiv heraus.

Und sonst? Mit Milky Chance ("Synchronize") macht man wie gewohnt nichts falsch. George Ezra sorgt mit "Anyone For You (Tiger Lily)" für Feel-Good-Vibes, Dove Camerons "Boyfriend" transportiert eine gelungene Mischung aus Eleganz und Power. Auf "Sigue" von J Balvin und Ed Sheeran und die üblichen Charts-Kandidaten Justin Bieber ("Attention") oder Coldplay mit Selena Gomez ("Let Somebody Go") hätte ich gut verzichten können, weil langweilig.

Prinzipiell gilt nach wie vor: wer das Radio beim zehnten Pop-Hit in Folge gerne voll aufdreht, ist hier genau richtig. Wer mit Mainstream-Mucke nichts anfangen kann, lässt davon lieber die Finger. Zwischen erwartbaren Artists wie Shawn Mendes, One Republic, Clean Bandit oder Tones And I verstecken sich ein paar Schätze. Hits sind ohne Zweifel alle Songs, "Bravo" kann man aber nicht zu jedem davon sagen.

Trackliste

  1. 1. When You're Gone
  2. 2. West Coast
  3. 3. Good Luck
  4. 4. In Your Arms (For An Angel)
  5. 5. I Believe
  6. 6. Do It To It
  7. 7. Night Away (Dance)
  8. 8. Rain In Ibiza
  9. 9. What Would You Do?
  10. 10. Where Did You Go?
  11. 11. Move Your Body
  12. 12. When I'm Gone
  13. 13. Clap Your Hands
  14. 14. Hallucination
  15. 15. Hopeless Heart
  16. 16. Same Team
  17. 17. Everything But You
  18. 18. Don't Forget My Love
  19. 19. Light Switch
  20. 20. 20s
  21. 21. Numb Little Bug
  22. 22. All Of It All
  23. 23. Rockstars
  24. 24. Lonely
  25. 25. Sorry
  26. 26. Bones
  27. 27. Fingers Crossed
  28. 28. Say That
  29. 29. Sigue
  30. 30. She's All I Wanna Be
  31. 31. Synchronize
  32. 32. Lass Die Musik An
  33. 33. Anyone For You (Tiger Lily)
  34. 34. Eyes Don't Lie
  35. 35. Remind Me
  36. 36. My Love (Edit)
  37. 37. Boyfriend
  38. 38. Let Somebody Go
  39. 39. Luv Starved
  40. 40. IDGAF
  41. 41. Options
  42. 42. Weg Von Mir
  43. 43. Wie Viele Lieder Muss Ich Noch Schreiben?
  44. 44. Kopf Aus
  45. 45. Wenn Du Mich Vermisst
  46. 46. Attention
  47. 47. Sehnsucht
  48. 48. Stefania
  49. 49. Scheiß Ossis
  50. 50. Scheiß Wessis

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