laut.de-Kritik
Wie Japans Kraftwerk den Synthie-Pop erfanden.
Review von Yannik GölzDas Album "Solid State Survivor" von Yellow Magic Orchestra gilt vielerorts als das erste Synthie-Pop-Album der Welt. Dahinter steckt ein Trio, das so etwas wie das Kraftwerk Japans genannt werden könnte. Zumindest werden sie heute noch von so ziemlich jedem lebenden Videospiel- oder Film-Score-Komponisten als Inspiration bezeichnet.
Doch auch im Westen finden sich prominente Figuren als Fürsprecher: Von Brian Eno über Giorgio Moroder bis zu Duran Duran und sogar Afrika Bambaataa, der ihren ersten Hit "Videogame" als DJ so sehr in die damalige Hip Hop-Kultur imprägnierte, dass die Gruppe für eine Show im "Soul Train" eingeladen wurde. Da stellt sich die Frage: Wie ist es passiert, dass sich ein semi-obskures Album von drei japanischen Nerds so unübersehbar in Sound und Popkultur der Achtziger eingebrannt hat?
Im Grunde ist die Antwort leicht: Sie sind tatsächlich Japans Kraftwerk. Doch im Gegensatz zu einem Album wie "Die Mensch-Maschine" aus Düsseldorf, das gerade in einem Track wie "Insomnia" durchaus Spuren am Orchestra hinterlassen hat, klingt "Solid State Survivor" nicht kalt und paranoid. Das gerade einmal 37 Minuten lange Projekt versprüht Spielfreude und technologischen Optimismus, den Keyboarder Ryuichi Sakamoto in einem The Guardian-Interview mit der Shinto-typischen Objektophilie der japanischen Kultur begründet.
Tatsächlich besticht dieses Album vor allem mit immenser melodischer Komplexität, dem meisterhaften Umgang mit der aus Amerika stammenden Synthesizer-Technik und einem kruden, experimentellen Humor. Die Opener "Technopolis" und "Absolute Ego Dance" verbinden die neu gefundene Robot-Pop-Affinität mit den überraschend warmen und organischen Disco-Grooves des Bassisten Haruomi Hosono.
Die Detailverliebtheit der Drumgrooves, die von der stetigen Dialektik organischer und künstlicher Elemente lebt, sollte später in Musikstilen von Shibuya-Kei über Acid House, New Wave und Synthie-Pop Staple bleiben. Das Orchestra spielt sie aber hier schon mit einer Raffinesse und einer Durchschlagskraft, dass sie auch ohne die gigantischen Synthesizer-Layers tanzbar wären. Eine Pop-Affinität, die sich im Titeltrack am Schluss spiegelt. Der ist nicht nur relativ kongruent zu "Technopolis", sondern könnte haarscharf als verfrühter New Wave-Song durchgehen.
Abgesehen davon verwendet "Solid State Survivor" mit beeindruckender Präzision geruhsamere Momente, um der Dramaturgie des Albums einen einladenden Puls zu verleihen. Schließt mit dem exzentrischen "Rydeen" der erste Schlag der energetischen Tracks ab, verändert sich die Bühne mit unterkühlten, melancholischen Ambient-Synths auf "Castalia". Eine Ballade, die vielleicht der größte Anhaltspunkt für YMOs Einfluss auf kommende Spiel-Soundtrack-Generationen darstellt, denn vermutlich gibt es bis heute keinen Platformer und kein J-RPG, das der Atmosphäre dieser Nummer nicht ein wenig Inspiration entlehnte.
"Behind The Mask" ist in seinem kristallklaren Mastering und brilliantem Synthesizer-Layering nicht nur fundamental für die Entstehung der Chiptune-Musik, sondern könnte mit dem futuristischen Disco-Groove und den Vocoder-Vocals auch als Pionier für die Musik von Daft Punk oder den Miami Vice-Soundtracks herhalten. Die Atmosphäre ist dicht und die Melodien zünden der Reihe nach auf Anhieb.
"Behind The Mask" ist vermutlich auch deswegen der bekannteste Cut der Platte, weil es gleich drei hochkarätige Coverversionen gibt: Eine von Eric Clapton, eine von der Human League und eine von Michael Jackson. Blöd nur, dass keine an das Original herankommt. Ironischerweise folgt selbst hier ein Cover: "Day Tripper" macht den Proto-Hard Rock-Klassiker der Beatles zu einem überdrehten, tanzbaren Stück Techno-Groteske.
Auch wenn man sich an das Yellow Magic Orchestra lange nicht so ikonisch wie an ihre Düsseldorfer Geistesgenossen erinnert, spricht ihr Katalog doch mehr als deutlich dafür, dass sie weit mehr waren als nur deren japanisches Knock-Off. "Solid State Survivor" schrammt immer wieder an der melodischen und ästhetischen Perfektion – und sind ihrer Zeit dabei so meilenweit voraus, dass es kaum überrascht, dass jedes einzelne Mitglied später auf Solopfaden weiterhin integrale Arbeit für die japanische Musikindustrie leistete.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
5 Kommentare mit 2 Antworten
♥
wundervoller ymo-stein, kompliment zum text.
da sakamotos bekantheitsgrad im westen dominant ist, erlaube ich mir, ergänzend auf den beachtlichen solokatalog des nicht minder grandiosen yukihiro takahashi hin zu weisen. man hört dessen sachen an, wie wichtig er für ymo war.
dessen 1981er album "neuromantic" muss sich keine sekunde hinter westlichen popalben jener ära verstecken. besonders der wundervolle singlehit "drip dry eyes" ist eine zierde seiner zunft und wird sicherlich auch was für don zapato sein (falls er es nicht längst im schrank hat).
https://www.youtube.com/watch?v=zbdw9ujyAdY
Und was ist mit den ebenfalls großartigen Alben von HARUOMI HOSONO ? Er ist/war der Bassist des Yellow Magic Orchestra
Hier die Alben die er gemacht hat:
1975: Haruomi Hosono – Tropical Dandy (Panam, Nippon Crown)
1976: Haruomi Hosono – Bon Voyage Co. (Panam)
1978: Haruomi Hosono, Shigeru Suzuki & Tatsuro Yamashita – Pacific (CBS/Sony)
1978: Haruomi Hosono / Tadanori Yokoo – Cochin Moon (King Records)
1978: Harry Hosono and The Yellow Magic Band – Paraiso (Alfa Records)
1979: Haruomi Hosono – Hosono House (Bellwood Records, King Record)
1979: Haruomi Hosono, Takahiko Ishikawa, Masataka Matsutoya – The Aegean Sea (CBS/Sony)
1982: Haruomi Hosono – Philharmony (Yen Records)
1984: Haruomi Hosono – Video Game Music (Yen Records)
1984: Haruomi Hosono / Friends Of Earth – S-F-X (Non-Standard, Teichiku Records)
1985: Haruomi Hosono – Coincidental Music (Monad Records, Teichiku Records)
1985: Haruomi Hosono – Mercuric Dance (Monad Records)
1985: Haruomi Hosono – Nokto De La Galaksia Fervojo (Non-Standard)
1985: Haruomi Hosono – Paradise View (Nonad Records)
1986: Haruomi Hosono – The Endless Talking (Monad Records)
1987: Haruomi Hosono – The Tale Of Genji (Epic/Sony)
1989: Haruomi Hosono – Omni Sight Seeing (Epic/Sony)
1993: Haruomi Hosono – Mental Sports Mixes (TriStar Music)
1993: Haruomi Hosono – Medicine Compilation - From The Quiet Lodge (Epic, TriStar Music)
1995: Haruomi Hosono – N. D. E. (Mercury)
1995: Haruomi Hosono – Naga (Music For Monsoon) (FOA Records)
1995: Haruomi Hosono – Good Sport (Haruomi Hosono)
1996: Haruomi Hosono & Bill Laswell – Interpieces Organization (Teichiku Entertainment)
2005: Haruomi Hosono – La Maison De Himiko (Warner Music Japan)
2007: Haruomi Hosono – Flying Saucer 1947 (Victor Entertainment Japan)
Ja, was ist damit???
Giorgio Moroder glaube ich gerne,
das ganze klingt nämlich wie Kraftwerk plays Giorgio Moroder
Das sind einfach nur coole Socken...und machen extrem geile Musik !
Hatte ja gerade melodisch meine Probleme, aber seit ich mir die Michael Rother-Platten aus den 80ern gegeben habe, allen voran "Lust", finde ich das richtig gut. Im Grunde Videospielmusik, bevor es Videospielmusik gab. Gut, dass da auch immer so ein Proto-Electro-Bass mitschwingt. Macht das Ganze noch cooler. Und das melodische Motiv in "Technopolis": "Final Fantasy VII" pur!