laut.de-Kritik

Einmal das Woodstock-Line-Up von 1969, bitte!

Review von

Die Allah-Las hätten in einer gerechten Welt dank dieses Albums eine gute Figur bei Woodstock 50 abgegeben. Dass die Veranstalter diese Band nicht buchten, zeugt vom fehlenden Feeling bei der Planung des Revivals. Keine heutige Band spielt und vereint die Sounds mehrerer Acts des Original-Line-Ups von 1969 so wie die Kalifornier. Nach ihrem bisherigen Surf-Rock mit Anklängen an The Kinks und andere Londoner 60s-Bands traktiert das Quartett jetzt astrein die Klangpalette von Country Joe And The Fish, The Lovin' Spoonful, CSNY mit einer hauchfeinen Note Jimi Hendrix. "Lahs" steckt voller Charakteristika jenes alten Sounds, aber ohne Zitate oder Hipster-Wichtigtuerei.

Es geht um ein Reisealbum, das zugleich eine Zeitreise darstellt. So legen die Herren aus Los Angeles in "Holding Pattern" die Orgeltöne der bis an die Wahrnehmungsschwellen ausgereizten Keyboards und das fette Widerhallen des Verstärkers auf Mono-Klangkanäle. Sie lassen also viele Signale nur aus dem linken Tonkanal kommen, was sehr an die Zeit bis Mitte der 60er erinnert. Das heißt beim Hören mit bügellosen Kopfhörern: Nimmt man einen Stöpsel aus dem Ohr, hört man einen anderen Song als mit beiden zusammen im Gehörgang.

Wie beim legendären Woodstock Festival geht es den Allah-Las um die Szene der frühen Garage-Punk-Bands und psychedelisch geschwängerten Folk-Sounds. Dabei fokussieren sie sich auf die entspannten Vibes der damaligen Psychedelic-Welle. Die Musik der Westcoast-Nostalgiker profitiert von solchen Einflüssen immer noch glaubhaft, auch nach den starken Vorgängern "Worship The Sun" und "Calico Review".

Wie ein Spitzenkoch den Eigengeschmack von Zutaten so herausarbeitet, dass man jede Faser herausschmeckt, statt alles in Soßen zu ertränken und mit Gewürzen zu ersticken, so handhaben es die Kalifornier mit ihren akustischen Zutaten zu vorliegendem Gesamtkunstwerk. Ungestört genießt man den Sound von Snare-Drum, Hi-Hats, Bass, Akustikgitarre, Keyboards und Hawaiigitarre, einzelne Soundeffekte oder das Wimmern einer Gitarrensaite. Die Allah-Las lassen Spielräume - und Passagen wirken nach. Musik, die sehr aus dem Bauch heraus kommt. Die Konventionsbrüche fangen mit dem Bandnamen an, der ihnen schon ziemliche Probleme bescherte.

Frei von Konventionen wählt die Band auch ein bisschen Japanisch für den Text in "Royal Blues". Spoken Word-Fetzen von einem Tonband künden von etwas, das wie "Oh kikayaya / a wo kikayaya" klingt und offiziell aus dem Japanischen transskribiert "Kono yo no yami wa / yomo harete" lautet. Darin geht es um den Affensee, der im Laufe der Reisen vorkommt. Wobei er (hier) einen düsteren Hintergrund hat. Der Song beginnt mit dem Szenario, über den Boden zu taumeln, "mehr" zu brauchen, im Regen zu beten und sich entlang von Todespfaden in besagten See stürzen. Nimmt man alle Puzzleteile des Textes, geht es wohl um Suizidtendenzen, wenn man unheilbar krank ist. Starker Tobak.

Außer Englisch und Japanisch kommt auch wieder ein bisschen Spanisch vor (in "Pleasure") und dieses Mal sogar Portugiesisch (in "Prazer Em Tem Conhecer"), hat doch der Schlagzeuger brasilianische Wurzeln. Instrumentals sind "Houston" und "Roco Ono", der beste Track der Platte. Jener liebliche Vierminüter blendet mit einer einzelnen, versonnen klingenden E-Gitarre auf, zu der sich schnell Bass und Schlagzeug gesellen, die dabei eine recht harte Ausstrahlung haben. Zusammen formen sie ein tragendes Riff, das sofort ins Ohr schießt. Ein Wendepunkt ergibt sich ab der dritten Minute, wenn die Lead-Gitarre ein feines Tremolo in Hochgeschwindigkeit liefert und ein dichtes Gewusel aus Keyboard- und Percussion-Sounds hinzu kommt. Bass und Snare Drums kämpfen gegen die wachsende Lautstärke an.

Klitzekleiner Schönheitsfehler ist, dass die Songs auf der MP3-Version noch im Verhallen des letzten Tons abreißen. Dafür entschädigt dann aber immer sofort der nächste Titel, wie hier das süße "Star" mit Blick in den Sternenhimmel.

Das Thema ist Reisen: Von "endless holidays" ist in "Holding Pattern" die Rede. Der Song "Keeping Dry" spielt mit dem Bild, in einem Wasserfall trocken zu bleiben, und nennt Situationen kurz vor der Abreise, "gotta catch this train", "don't want to miss this flight". Die Gitarren geben exakt dieses Gefühl wieder, wenn man gerne noch länger bliebe, sich im Moment wohlfühlt, sich aber trennen muss, wenn es am schönsten ist. Der Text von "Polar Onion" fließt durch Reiseeindrücke, Wunschvorstellungen und, im psychedelischen Stil, durch Traum- und Zerrbilder. Zum Beispiel ist von "einem Raum voller starrender Blicke" die Rede.

Ein Kennzeichen von "Polar Onion" ist ein Instrument, das wie eine dezente Harmonika klingt und wohl doch ein wandlungsfähiges Keyboard ist. Der Track stellt die virtuosen Fertigkeiten von Pedrum Siadatian an der Akustikgitarre unter Beweis und besticht durch Mega-Harmonien. Der Song dürfte gerne eine halbe Stunde dauern, endet aber nach drei Minuten. Für Abwechslung sorgt der ungewohnte Sprung zwischen vier verschiedenen Leadsängern, die mal hell und hoch, mal um einiges tiefer im Keller der Oktaven klingen.

Dabei bauen die US-Westküstler nebenbei eine Brücke zum brasilianischen Psychedelic-Kosmos, einer spannenden Szene, die rund um Caetano Veloso und Gilberto Gil vor 50 Jahren in Protest gegen die dortige Militärdiktatur aufblühte und heute von Bands wie Graveola fortgeführt wird. Die schlafwandlerisch bizarre und dahin gleitende Darbietung macht diese Platte vorzeitig zu meinem Lieblingsalbum 2019.

Trackliste

  1. 1. Holding Pattern
  2. 2. Keeping Dry
  3. 3. In The Air
  4. 4. Prazer Em Te Conhecer
  5. 5. Roco Ono
  6. 6. Star
  7. 7. Royal Blues
  8. 8. Electricity
  9. 9. Light Yearly
  10. 10. Polar Onion
  11. 11. On Our Way
  12. 12. Houston
  13. 13. Pleasure

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