laut.de-Kritik
Synthiepop-Hits treffen auf das Filmorchester Babelsberg.
Review von Philipp KauseMit einem Orchesteralbum ist es ein bisschen so wie mit dem Kind, dem man zu Weihnachten eine Packung Lego schenkt und es in 50 Zentimeter dicker Wellpappe, extra viel Styropor, zig Glanzfolien, ein bisschen Filz, Flausch und Federn einrahmt. Dabei möchte das Kind einfach nur die Bausteinchen zusammen bauen. Und so möchten vielleicht auch Pop-Fans einfach ran an die vertrauten Melodien der Originale und sie im Kopf wieder zusammen setzen.
Auf Alphavilles "Eternally Yours" ranken sich Trillertöne, Pizzicato-Intros, Cello-Stimmen und die Würde des Orchestergrabens um die Lieder, und man fühlt sich ein bisschen wie dieses Kind, das erst die Weihnachtsmesse im Radio zu Ende hören soll ohne zu rascheln. Es ist ein handwerklich ordentliches Album, auf dem die alten Synthpop-Hits auf das Filmorchester Babelsberg treffen. Die Liebe zum Detail merkt man jedem Intro, jeder Entscheidung für die Platzierung verschiedener Versionen und der sehr schönen Abmischung an.
Anspieltipps für gelungene Symphonic-Arrangements: "Elegy (Springtime Version MCMXC)", "Forever Young" in der Album-Fassung und das mit Wumms ausgestattete "A Victory Of Love". "Summer Rain" fesselt mit Sinatra-Flair im Vortrag, auch da passt Marian Gold zum Instrumente-Aufgebot, was nicht konstant der Fall ist. "Sounds Like A Melody" wirkt zum Beispiel eher wie eine ESC-Bewerbung.
Das siebenminütige Opus "Eternally Yours" ist das einzige komplett neue Stück. Es collagiert Shakespeare-Zeilen aus diversen Quellen ohne erkennbaren Sinn und ist auch musikalisch eher verzichtbar. Geht in der Fülle aber sowieso unter. Die neuen Arrangements mit Dirigent sind sehr filigran, ausgefeilt, aufwändig, sensitiv und verschossen ins Detail. Leider verschmilzt das Liedmaterial mit den Klassik-Outfits zu selten organisch miteinander. Oft wirkt die Instrumentierung wie oben drauf geschnürt. Hier noch ein Schleifchen, dort noch ein Blümchen.
25 Tracks in voller Montur sind auf Dauer ganz schön üppig. Man sollte schon extrem auf Geigen stehen. "Lassie Come Home" stammt zum Beispiel von "Afternoons In Utopia", das erst vor einem Jahr remastered und rereleased wurde. Es sticht auf "Eternally Yours" als engagiert erzählte dramatische Story hervor. Das Original hatte synthetisierte Violinen-Loops (ähnlich bei "Flame"). Die neue Version bietet ein echtes Orchester mit Strings-Section. Und sonst? Nichts. Immerhin spielt ein Dienstleistungs-Orchester mit erwiesener Flexibilität fürs Pop-Umfeld. Interessanter wäre ein Alphaville-Album mit Schattierungen zwischen den Formaten Remix, Unplugged, Live und Orchester.
Was "Eternally Yours" aber essenziell macht: Die Raritäten "Dream Machine", "Elegy", "Diamonds Are Forever" und "Moon Girl", die man physisch sonst kaum erwerben kann. Ursprünglich kursierten sie über das vergriffene "Dreamscapes"-Box-Set, speziell "Moon Girl" über eine Compilation namens "CrazyShow Dreamscapes 9 10 11 12". Rekonstruieren lässt sich der Verbleib dieser Tracks und Boxen nur mit Mühe. Und ihr wisst ja: Fragt man Marian und Bernhard persönlich, sollte man sehr viel Zeit mitbringen und jeden Takt diskutieren.
Wenige Tage vor dem Tag der Deutschen Einheit melden sich Alphaville passend als einer der wichtigsten Pop-Exporte made in Germany zurück. Das statuenhafte Cover-Bild wirkt entsprechend staatstragend. Apropos: Der sehr geschliffen getextete Song "Beethoven" über Rechtsextremismus im frisch wiedervereinigten Deutschland 1994 fehlt leider, eine ihrer düsteren Nummern mit Depeche Mode-Vibe. Dennoch: Zu diesem früh einsetzenden Schmuddel-Herbst passen diese Bombast-Versionen sehr gut und vermitteln wohlige Vorweihnachtlichkeit.
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