laut.de-Kritik
Barry Gibb goes Nashville.
Review von Giuliano BenassiAuf die Frage, welches das prägendste Lied der Bee Gees sei, würden die meisten wohl "Stayin' Alive" antworten. Der Haupttrack des
Streifens "Saturday Night Fever" mit John Travolta war für die Gebrüder Gibb jedoch Fluch und Segen zugleich: Einerseits katapultierte er sie in die erlauchte Sphäre der erfolgreichsten Künstler aller Zeiten, andererseits steht er so gar nicht für ihre Musik, die eher im Rhythm And Blues zu verorten ist.
Nach dem Tod vom Maurice (2003) und Robin (2012) musste sich der älteste der drei, Barry, um das musikalische Familienerbe kümmern. Das tut er mit einer erfrischenden Demut. Als er 2019 als "Legend" beim Glastonbury-Festival auftrat, schien er überwältigt von all dem Zuspruch. Klar, er und seine Brüder hätten viele Hits gehabt, doch das sei schon ewig her, erklärte er.
Sie seien in Gedanken stets bei ihm, betont er. Mit 74 braucht er sich auch nicht mehr neu zu erfinden. Doch ist er erstaunlich jung geblieben - auch dank seiner Frau, mit der er seit 1970 verheiratet ist und die verhindert hat, dass er wie seine Brüder wüste Drogen- und Alkoholabstürze erlebte. Seit den 1970er Jahren lebt die Familie in Miami, samt der fünf Kinder, die sich unweit des elterlichen Hauses niedergelassen haben.
Eines von ihnen, Stephen, ehemaliger Gitarrist der Hardrock-Combo Black Label Society, spielte Gibb einen Song des Country-Sängers Chris Stapleton vor. Papa war beeindruckt, insbesondere vom Klang der Aufnahmen. Dass er das Genre bis dahin nur am Rande berührt hatte, störte ihn nicht. Er habe schon immer Country und Bluegrass geliebt, so Barry.
Er kontaktierte den Produzenten, Dave Cobb, und fragte, ob er an einer Zusammenarbeit interessiert sei. Gibbs ursprüngliche Idee war, einige seiner bekannten und weniger bekannten Lieder von Country-Stars einspielen zu lassen, ohne selbst beteiligt zu sein. Cobb, der gleich nach Florida geflogen war, überredete ihn jedoch, das Projekt auszuweiten: Warum nicht ein Album mit Bee Gees-Stücken in Duett-Form aufnehmen?
Cobb machte dafür sogar das legendäre RCA Studio B in Nashville klar, das seit vielen Jahren der Country Music Hall of Fame gehört und eigentlich ein Museum ist. Unter vielen anderen nahm dort Elvis Presley auf, dessen Sessions von 1970 erst vor kurzem neu aufgelegt wurden.
Die Liste der Künstler, die zusagten, ist wahrlich beeindruckend. Bis auf Brandi Carlile (aus Zeitgründen) und Miranda Lambert (weil sie lieber alleine aufnimmt) handelt es sich zudem um echte Duette. Genau das war der Gedanke Gibbs: Ein Album aufzunehmen, das wie zu den guten alten Zeiten nicht per Mail, sondern mit Herz und Blut entsteht. Einerseits unzeitgemäß, doch auch romantisch herzerwärmend. Dass Dolly Parton gerührt war, wieder in jenem Studio zu stehen, in dem sie in den 1970er Jahren an einem Nachmittag "Jolene" und "I Will Always Love You" aufgenommen hatte, ist ihr durchaus anzuhören.
Überhaupt ist bei allen Beteiligten großes Engagement zu spüren. Keith Urban brachte zu seiner Session Ehefrau Nicole Kidman mit, was Gibb nach eigenen Angaben in einen halben Schockzustand versetzte. Jason Isbell singt das 1986 entstandene, aber nie aufgenommene "Words Of A Fool" mit so viel Leidenschaft, als würde es sich um einen bekannten Hit handeln.
Andere Gäste durften genau das: Einen Bee Gees-Song aussuchen, der ihnen etwas bedeutete. Alison Krauss nimmt sich die Ballade "Too Much Heaven" vor und singt Gibb geradezu an die Wand. Das ist kein Affront: Krauss wäre das 2007 selbst mit Robert Plant gelungen. Gibbs Falsetto klingt zudem wie eh und je. Nach all den Jahren ist das wirklich außergewöhnlich.
Parton wählte nicht "Islands In The Stream", jenen Gibb-Song, den sie 1983 mit Kenny Rogers aufgenommen hatte, sondern einen viel früheren Hit, "Words", von 1968. Es sei die erste Session für das Album gewesen, erzählt Produzent Cobb dem Rolling Stone. "Ich weiß noch, wie ich zu der Stelle ging, an der ich Gitarre spielen sollte, und meine Beine zu zittern begannen. Ich fühlte, wie einflussreich die beiden sind. Sie sind mehr als Legenden, sie sind Ikonen. Und sie waren direkt neben mir.."
Die nicht minder bekannte Sheryl Crow wählte das drei Jahre jüngere "How Can You Mend A Broken Heart", Little Big Town als einzige Band der Sessions das wohl einzige Stück, das man wahrlich schon zu oft gehört hat: "How Deep Is Your Love".
Es ist der einzige Auszug aus "Saturday Night Fever". So bleibt auch Platz für Überraschungen. Jay Buchanan von Rival Sons, sonst eher in hardrockigen Gefilden unterwegs, bietet mit dem soulig interpretierten "To Love Somebody" einen der Höhepunkte des Albums. Olivia Newton John singt voller Inbrunst "Rest Your Love On Me" als wolle sie all jene Lügen strafen, die sie aufgrund ihrer Krebserkrankungen schon halb im Grab sehen.
Den rührenden Abschluss machen dann Gillian Welch und ihr Partner David Rawlings mit einem Stück, das Gibb besonders am Herzen liegt: "Butterfly" entstand, als er mit seinen Brüdern noch in Australien lebte, also bevor sie 1967 auf der Suche nach dem Erfolg zurück nach Großbritannien zogen.
Das erste Wort im Lied ist auch der Titel dieses Albums, mit dem Gibb beweist, dass er immer noch eine Stimme wie vor 40 Jahren besitzt. Ob er mit den alternden Stars und dem Genre tatsächlich ein neuen Publikum erreicht? Wohl eher nicht. Dazu sind die Arrangements auch zu überladen. Was der einzige Kritikpunkt an diesen Aufnahmen ist: War es wirklich nötig, so viele Spuren, so viel Hall und sogar Streicher einzusetzen? Weniger wäre, wie so oft, auch diesmal mehr gewesen.
Dennoch strahlt dieses Album eine wunderbare Spiel- und Lebensfreude aus. Für Besserungen ist vermutlich noch Zeit, schließlich deutet der Titelzusatz "Vol. 1" darauf hin, dass mehr folgen könnte. Vielleicht lässt sich beim nächsten Mal Billie Eilish einspannen?
2 Kommentare mit 5 Antworten
Ein wunderbares Album
Ich stimme dem Rezensenten zu: Barry Gibb ist (im Gegensatz übrigens zu Paul McCartney) stimmlich immer noch erstaunlich unverbraucht am Start; das Album ist ein wundervolles Stück Pop-Musik; die Arrangements, die Produktion fällt leider oft zu üppig aus.
Das wunderbare Stück "Morning of my Life" hat Gibb leider nicht im Duett aufgenommen. Ein Traum wäre wahr geworden, hätte er noch einmal Esther Ofarim mit ihrer glockenklaren Stimme für dieses Stück gewinnen können.
Bonn ist optisch ne geile Stadt. Nur halt schwarzbraun wie die Haselnuß.
Bei der Platte stimme ich zu. Sehr erstaunlich, wie der Alte sich gehalten hat!
Du suchst doch nur wieder aktiv Gelegenheiten, dein "ẞ" unterzubringen, du Quatschvogel mit Soße.
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
Klar. Im Gegensatz zu breakfordingens und RapDuo steh ich halt nicht so auf SS.