laut.de-Kritik
Aus der G-Funk-Hommage erwächst etwas Neues, Großes.
Review von Simon LangemannRückblickend fällt es wirklich schwer zu erklären, was mir am Betty Ford Boys-Debüt "Leaders Of The Brew School" eigentlich gefehlt hat. Handwerklich lässt sich Brenk, Dexter und Suff Daddy wenig ankreiden. Auch das konsequente Ignorieren sämtlicher Erwartungshaltungen nötigte durchaus Respekt ab. Dennoch: Eine derart schlagkräftige Combo hätte – der Dropbox-dominierten Arbeitsweise zum Trotz – mehr reißen können. Nein, müssen.
Aber: geschenkt. Nun liegt bereits der Zweitling "Retox" vor und erfüllt alle Wünsche, die "Leaders Of The Brew School" vielleicht doch offen ließ. Es verstört, es reißt mit, es drückt. Es zwingt zum Kopfnicken, anstatt nur dazu anzuregen. Und es erzeugt beim Hören jene Wirkung, die man sich von einer Beatproducer-Boygroup wünscht: Vor dem geistigen Auge sieht man die drei ihre Maschinen bedienen, in einer Reihe stehend, bouncend, edlen Stoff aus Doublecups sippend.
Ich bitte inständig um Verzeihung, aber um den Westcoast-Impact an dieser Stelle zur Abwechslung zu verschweigen, spielen Synthie-Bässe, Pitch-Wheels und Gangster-Flöten einfach eine zu übergeordnete Rolle. Ausgiebig und leidenschaftlich zitieren die Boys den G-Funk, jedoch ohne das Ganze zu einer retrospektiven Hommage verkommen zu lassen, sondern stets mit dem üppig vorhandenen Potenzial im Blick, etwas Neues und Großes zu kreieren.
Sie tun das mit einer basslastigen Düsternis, die man in dem Ausmaß nicht unbedingt erwartet hätte und die sich hier in weirden Knochenbrechern wie "Raymond Laments" und dort in R'n'B-Tupfern wie "Higher Than You" niederschlägt. Geht etwa in "All Up On My Nutz" mit jazzigen Harmonien oder im Sequel "Everyday Pt. 2" dann doch einmal die Sonne auf, so empfindet man das als willkommene Ausreißer.
Auch wenn die Synthies Pause haben und die Crew stattdessen mit Chorsamples hantiert, erwächst daraus eine kaum greifbare Dopeness. So etwa im "Friend (Interlude)" oder beim alles überflügelnden "Shut Up": Zum Albumhöhepunkt darf es neben Flöten, Congas und Bongos dann doch eine 808 sein.
Wer sich je darüber gewundert hat, dass sich die Betty Ford Boys in Interviews nie (großmäulig) über die hiesige Szene zu erheben versuchten, um den internationalen Vergleich für sich zu entscheiden, kennt spätestens jetzt den Grund: Das auf "Retox" Dargebotene sollte genügen, um diesen Anspruch zu untermauern.
1 Kommentar
"bouncend", "sippend", "weirden" usw., ist für die Lesbarkeit nicht unbedingt zuträglich. Hoffentlich verstehen die Redaktionskollegen den Hilferuf und schenken dem Herrn Langeman zu Weihnachten einen Duden.
Retox gefällt mir aber auch besser als die letzte Scheibe.