laut.de-Kritik

Mehr Fokus auf Stories und Stimmen als aufs Stadion.

Review von

Einstmals waren Bon Jovi die Meister der übermächtigen Hooklines. Von "Forever", erschienen im Frühling 2024, sind mir ein gutes Jahr später, keine erinnerlich. Im Laufe der Dekaden verflüchtigte sich dieses Talent, wie es sich in "Wanted Dead Or Alive", "You Give Love A Bad Name" oder "Living On A Prayer" heraus kristallisiert hatte.

Zwischen Hardrock und Softrock verlor sich die Band in einem standardisierten Arena-AOR, manchmal Pop-Rock, der weder stört noch herausfordert, aber ausreicht, um den Boss, Robbie und Avril Lavigne zum Mitmachen anzuspornen - für fertige Songs in neuen Duett-Versionen, genannt "Forever (Legendary Edition)". Wie Lena bei Apple Music letztes Jahr zutreffend erklärte: Feature-Namen brauche jeder, um algorithmisch relevant zu bleiben. Dachte sich auch Pitbull, und dessen Rap-Remix-Kollabo "Now Or Never" bleibt uns auf der Platte zum Glück erspart.

Immer noch kann man den Act aus New Jersey an Jon Bongiovis Stimme gut erkennen, auch wenn der 63-Jährige sich stets so un-rockig und kontrolliert anhört, als verrichte er gerade beim Aufnehmen Mundpflege mit Zahnputz-Kaugummis, vollziehe Spülungen zum Gurgeln und singe dabei vorm Spiegel. Immer noch gibt es Bassläufe, die Unverwechselbarkeit bedeuten. Bon Jovi haben ihre Handschrift auf der Habenseite. Ob einem diese jetzt gefällt oder eher nicht - es ist etwas, das andere nicht haben und worauf Johnossi oder The Killers neidisch sein können.

Rund um diese typischen Konturen machen die Gaststimmen einen bereichernden Eindruck. Und siehe da, aus lahmen Liedern werden nun andere. Schwache Hooks verwandeln sich in erfrischende Re-Works. Zum einen kehren sie die Melodien viel deutlicher heraus und beherbergen stärkere Spannungsbögen, wie "Seeds + Ryan Tedder". Zum anderen beherrscht Jon alleine eben vor allem diese genau eine einzige Tonlage des ewigen smarten perfekten Schwiegersohns mit dem mustergültigen Charme eines gerissenen Gebrauchtwagenhändlers. Für Modulation sorgen jetzt seine Gäste, und er lässt ihnen so wenig Raum, dass die Nummern in ihrer Struktur grundsätzlich erhalten bleiben, aber auch so viel Raum, dass sie ihm die Schau stehlen - macht aber nichts, dafür wird eine gute Platte draus.

Sogar Hymnen mit einprägsamen Hooks kommen dadurch zum Vorschein. "The People's House + The War And Treaty" ist so ein herausragender Track. Hier erscheinen Tanya und Mike Trotter als die Richtigen. Das stimmgewaltige Duo kitzelt ordentlich Intensität heraus und kocht das Lied zu einer Premium-Nummer auf. Für die prodemokratische Aussage des Stücks ist das gut so.

So handelsüblich manche Tunes trotzdem bleiben, füllen sie sich mit mehr Atmosphäre: Ob nun Frauen zu Hilfe eilen wie in "Living In Paradise + Avril Lavigne", wo der staubige und dissonante Fernstraßen-Modern Rock dank ihr an Kraft tankt, oder ob nun Männer unterstützen wie der South Carolina-Blueser in "My First Guitar + Marcus King", dessen Background-Vocals bereits bereichern. Zugegeben, es macht teils nur feine Unterschiede und keine weltbewegenden, wenn Duett-Partner:innen in vorgegebene Arrangements eintreten und an der Struktur der Tracks nichts drehen. Komischer Weise schiebt Avril alleine durch ihre Stimmfarbe "Living In Paradise" einige Meter Richtung Americana. Die Melancholie des Refrains kollidiert trotzdem mit dem schnöden Schlagzeug-Stakkato der Strophen, und die Emotionen des Songs wirken abgewürgt.

Manche Paarungen führen hingegen sogar zu Gänsehaut-Momenten. "Hollow Man + Bruce Springsteen" changiert geschickt zwischen Kris Kristoffersons besten Harmonien und Springsteens Stimmungen auf seiner "Nebraska"-LP oder dem "Somewhere North Of Nashville"-Block auf "Lost Tracks II".

Weniger spektakulär als Springsteen, der einen schwächeren Song stark zu machen hilft, ist der Auftritt von Billy Falcon. Doch man sollte ihn mal erwähnen, zumal er fast ein Bandmitglied bei Bon Jovi ist. Der Countrysänger, dem selbst der Durchbruch verwehrt war, ist ein alter Buddy aus Nashville. Seit "Crush" steuert er als Ko-Autor einiges zu Jovi-CDs bei. Die Alben "What About Now" (2013) und "This House Is Not For Sale" (2016) enthalten mehrheitlich Material von ihm.

Billy und Jon hatten "Kiss The Bride + Billy Falcon" zusammen für Stephanie verfasst, Jons ältestes Kind. Die Kamerafrau, die beim ersten Erscheinen des Songs ihre Hochzeit gerade vor sich hatte, hat sie mittlerweile hinter sich: Im August 2024 war es so weit. Das durchaus traurig gestimmte Lied handele davon, die Tochter in den Hafen der Ehe ziehen zu lassen, obwohl der Papa sie immer als Fünfjährige in Erinnerung behalte. Fünf Jahre alt, das war sie anno 1998. (Damals schon duettierte sich Jon gern, etwa mit Luciano Pavarotti.) Auf Hulu, einem Disney Plus-Kanal, kann man sich als Abonnent:in auf Englisch "Thank You, Goodnight: The Bon Jovi Story" in vier Teilen anschauen und erfährt in der Doku auch manch Privates.

Um das öffentliche Leben dreht es sich derweil in "Walls Of Jericho + Joe Elliott", hier zeigt sich Bon Jovi auf Springsteens Spuren, was die politische Haltung angeht. Das Schlagzeug und auch der gemeinsame Gesang mit Joe Elliott von Def Leppard wirken präsenter als in der ersten Albumfassung. Die gesamte Neueinspielung streift das Heruntergenöle von 2024 ab. Gleichwohl zu viel "na-na-na" verbleibt und in der Schlussminute keine Idee mehr aufscheint, kommt die Bridge gut und frisch zur Geltung, und der ganze Song erfährt mehr Schärfe und Nachdruck.

Umgekehrt geraten andere Tracks weicher: "Living Proof + Jelly Roll" wirkt mit Jelly mitsingtauglicher. Die neue Version zeigt sich besser abgemischt und gemastert, geschmeidiger, einen entscheidenden Ticken weniger dumpf und hallüberlagert. "Waves + Jason Isbell" bleibt ein starker Storyteller-Tune und eine gelungene Semi-Ballade. Jason trällert die zweite Strophe herzerweichernd. Um so anziehender und hymnischer wirkt auch der Chorus. Jon selbst zeigt sich etwas weniger von seiner trockenen Schmirgelpapier-Seite, dadurch flüssiger, weniger schleppend bereits im Intro.

Nicht bei jedem Song gelingt die Aufwertung, aber bei den meisten Beiträgen. Dass bei "Seeds + Ryan Tedder" ausgerechnet der Frontmann von One Republic, nebenbei Ko-Autor für Selena Gomez, J Lo, Beyoncé, Demi Lovato, Kelly Clarkson, Adele, Taylor Swift, Hailee Steinfeld etc mitsingt, könnte unpassend sein, erweist sich aber als glückliche Fügung fürs Lied, für Jon sein "wahrscheinliches Lieblingslied auf der Platte", verfasst beim Blick aus dem Fenster auf einen New Yorker Park.

"I Wrote You A Song + Lainey Wilson" macht uns mit der 33-jährigen Grammy-Preisträgerin fürs Country-Album 2024 bekannt. Falls man sie noch nicht auf dem Schirm hatte: Sie kann was, als Gitarristin, in Lead- und Background-Gesang. Ein ganz neues Bon Jovi-Stück als Opener, "Red, White And Jersey", bringt keine neuen Aspekte und schreckt als 08/15-Einstieg eher ab.

Bei neun von zwölf Songs gelang eine Steigerung, so dass diese jetzt alle zusammen eine schöne Strecke bilden. Das Potenzial scheint, ungeachtet dessen, höher: In Form von Live-Aufnahmen, den Instrumente-Fertigkeiten der Gäste, entsprechenden Soli, persönlichen Strophen von deren Seite, Unpluggeds und weiterem Mehrwert wäre aber wohl noch mehr möglich gewesen, um für diese "Legendary Edition" das große Feuerwerk zu zünden.

Trackliste

  1. 1. Red, White And Jersey
  2. 2. Legendary + James Bay
  3. 3. We Made It Look Easy + Robbie Williams
  4. 4. Living Proof + Jelly Roll
  5. 5. Waves + Jason Isbell
  6. 6. Seeds + Ryan Tedder
  7. 7. Kiss The Bride + Billy Falcon
  8. 8. The People's House + The War And Treaty
  9. 9. Walls Of Jericho + Joe Elliott
  10. 10. I Wrote You A Song + Lainey Wilson
  11. 11. Living In Paradise + Avril Lavigne
  12. 12. My First Guitar + Marcus King
  13. 13. Hollow Man + Bruce Springsteen
  14. 14. We Made It Look Easy - Hicimos Que Pareciera Fácil + Carín León

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