laut.de-Kritik
Lieber Weed & Sangria.
Review von Franz MauererEin wenig Orientierung zu Beginn: Coheed And Cambria agieren immer noch im "Amory Wars"-Universum von Frontmann Sanchez, das neben den Alben der Band auch auf eine beachtliche Zahl von Printveröffentlichungen blickt und im Genre "Wirrer, guter Fantasykosmos" neben "Ceaseless Fables Of Beyonding" des verrückt-genialen Matty Boy Anderson ganz vorne steht. Das bedeutet nach wie vor nicht so viel, da sich die meisten Lyrics auch losgelöst davon lesen lassen und Sanchez nach wie vor kein bemerkenswert guter (oder schlechter) Texter ist. Dass "Vaxis III: The Father Of Make Believe" dritter Teil einer Reihe ist, merkt man sowieso nicht.
Für den Sound gilt ebenfalls "alles wie gehabt": Eine stets eine Spur zu kontrollierte Mischung aus Pop-Rock, Pop-Metal, Pop-Folk und Pop-Prog ergibt zusammen mit Sanchez markanter Stimme den unverwechselbaren und allein von Sanchez bestimmten wie komponierten Bandsound. Experimente und Willen zum Pop sind die Pole dieser Musik, und das ist kein Widerspruch zur oben gemachten Aussage: Auch die Experimente sind bei C&C durchaus bewusst gewollt. "Vaxis III" fällt schnell erkennbar auf die Popseite des Bandspektrums.
Der Opener "Yesterday's Lost" geht (anders als das rührselige "Corner My Confidence") noch als angenehme Fingerübung im Geiste Obersts durch, die weniger Mainstream- als Artpop ist, in ihrem zweiten Drittel gar einige wunderschöne Figuren reklamiert und die bandübliche Suche nach Tiefe dabei inhaltlich bedeutungsschwanger verfehlt, aber mit Lines wie "Please share with me something before I lose control" auch den angenehmen Teil der Sehnsucht nach Pathos bedient. "Goodbye, Sunshine" erinnert in seiner Poppunkigkeit und Anbiederung dann aber an Bands, deren Namen einem seit Jahren entfielen, mit Männern mit dünnen Armen und langen Haaren. Die Haare hat auch Sanchez schon immer schön, aber die Arme dick und so dünne Songs schenkte er sich doch meist, insbesondere so einen miesen Refrain. Dabei merkt man auch hier um seine Stärken, wenn er in den Strophen ein, zwei Mal den Sound von unten aufrollt mit seiner dröhnenden Stimme, wie es kaum ein anderer kann. Die Fallhöhe, die er in der Vergangenheit damit so oft errichtete, geht allerspätestens mit dem dritten, gehauchten Refrain flöten.
Das rockige "Searching For Tomorrow" macht vieles besser, aber wenig richtig gut. Drummer Eppard kommt schön raus im Mix, es fehlt aber die Schwere, um seine Attacken zu begleiten oder der Mut, die Synthiefigur, die den Beginn prägt, weiterzuentwickeln, so bleibt sie Gimmick. Nach zehn Alben besteht die Gefahr, sich vor allem wie man selbst anzuhören – und das tun C&C auf diesem Song mit Verve. Der Titeltrack fällt in dieselbe Falle, in seinen ruhigen Passagen gar, als hätte man KI gesagt: "Mach mal so Zwischensounds wie Coheed And Cambria". Richtig verstanden: Das ist eine starke Band mit einem starken Trademark-Sound. Nur wirkt der hier wie eine Belastung, nicht wie ein Pfund. Sanchez bräuchte einen externen Produzenten, der ihm die Songtitel kürzt und die Hammelbeine langzieht, wenn er, wie im Titeltrack, in die siebente, nirgends hinführende Phase einsteigt. Keine 20 Sekunden dieses Tracks hören sich für sich genommen schwach an; gemeinsam vermengen sie sich zu einem Brei.
Wenn sich das mit dem Kitsch eines "Meri Of Mercy", gemeint ist Protagonistin Meri Amory, die auf Sanchez Großmutter basiert, dann ergibt das Musik, die man bei aller Sympathie und Nostalgie nicht gut finden kann. Sirius, basierend auf dem Opa, stößt Zeilen wie "I'm not gonna quit until I can sit/ At the end of this life/ With you there beside me" aus, dazu kommt ein verträumtes Piano und eine besonders unangenehme Klimperakustikgitarre. Was C&C auf diesem Album fehlt, das sind Kontrast, Reibung und Kontrapunkte. Nichts fordert heraus, alles strömt verträglich in eine Richtung; das ist Astronautennahrung. Es liegt eben nicht an der Pop-Orientierung, denn auch ein zweifelsfrei hart geschrienes "Blind Side Sonny" wird in seinem ewigen Gleich-Gleich Schlager, nur eben mit auffällig anderen Mitteln.
"Play The Poet" legt die songinterne Uniformität endlich ab und ermöglicht der Band durch einen differenzierteren Sound endlich die Emotionalität. Es gibt Druckschemata und man erkennt die Qualität der Band der eigenen Jugend deutlich wieder. Man bekommt gleich alles, von himmelhoch jauchzend über Screamo-Passagen, ein Fest. Ob es daran liegt, dass der Sound eine aggressive Gefühlslage wiedergibt? "Someone Who Can" und "One Last Miracle" sind vernünftige, ordentliche Songs- der eine poppig, der andere metallisch. Bestimmt auf der besseren Hälfte des Gesamtwerks der Band, aber keinesfalls in den Top 30.
Die vier "Continuum"-Songs, die immerhin um die 20 Minuten füllen, sind weniger gleich, als ihr Name es vermuten ließe. "The Continuum I: Welcome To Forever, Mr. Nobody" pendelt ungefähr bei "One Last Miracle" ein, "The Continuum II: The Flood" kann noch mehr überzeugen: Sanchez scheinbar alterslose, endlos bruchlose Stimme bekommt sehr viel Raum und dominiert nicht nur, sondern steht wirklich im Vordergrund und gerät zum einzigen Mal (!) auf diesem Album in ein Zwiegespräch mit Stevers handwerklich perfektem Gitarrenspiel; toll und voller Sehnsucht. "The Continuum III: Tethered Together" watet allerdings durch dieselbe Wüste an Eintönigkeit wie der große Rest des Albums, "The Continuum IV: So It Goes" ist kaum mehr also ein kitschbeladene, streicherbesoffenes Demo. Bonussong Nummer 15 ist Vinyl-exklusiv; aus grundsätzlichen Erwägungen, nämlich dem fehlenden Respekt vorm eigenen Werk und dessen Kohärenz, wird der hier nicht berücksichtigt.
2 Kommentare mit 2 Antworten
ich war überrascht eingedenk der wertung und habe nochmal nachgelesen, wie die alben der letzten 22 jahre bewertet wurden. c&c war gefühlt eine der top 5 bands der early 00...
ich muss gestehen, ich vermisse die völlig arbiträren liedtitel der emo/screamo/xxx bands
(edt: hier sind die alben der 00er zt auch eher durchwachsen angenommen worden, das hätte ich anders gedacht)
Ob neben dem Sänger wohl noch jemand existiert, der diese wirre Geschichte komplett versteht?
denke schon, aber glaube auch dass diese geschichte eher schrott ist. wie dem auch sei searching for tomorrow hit für mich. erinnert mich an alte banger wie the suffering