laut.de-Kritik
Kultartiger und ästhetisch inszenierter Trash-Pop.
Review von Philipp KauseTV-Programmhefte unterscheiden traditionell zwischen den Begriffen "Spielfilm" und "Fernsehfilm", wobei Fernsehfilme ebenfalls Spielfilme sind. Wer den Unterschied nie verstanden hat, wird ihn beim Hören der neuen Dagobert-Platte "Bonn Park" fühlen. Die Lyrik des Schweizers entspricht dem Register von Fernsehfilmen, die dazugehörige Musik folgt der Soundtrack-Rezeptur aus überspitzter Power und selbstverständlicher Trauer. Während Spielfilme so effektvoll produziert sind, dass man über die imaginäre Wand zwischen Fiktion und Realität nicht nachdenkt, sich in die Story ziehen lässt, ist es in sogenannten TV-Filmen völlig okay, dauernd zu merken, dass man "nur" fernsieht, das Sofa die Realität ist und die Filmhandlung Fiktion. In diesem Sinne zelebriert Dagobert unbekümmerte Berieselungs-Alltäglichkeit. Dafür reichen einfachste Synth-Layer-Programmings nach Vorbild der NDW.
Die 80er stets im Blick erinnern Dagoberts Abzählreime im Schlager-Electropop-Gewand an Stephan Remmler oder Trio. Die Songs appellieren an unseren inneren Wunsch nach einer Komfortzone. Sie zünden, wenn man sie zum Entspannen und Abschalten auflegt. "Die Liebe lullt uns ein", lautet die Kernaussage in "Unteilbar". Mehr Gewicht messen die Texte der Zweisamkeit bei ("Ich Will Ne Frau Die Mich Will", "Warum Wieso Weshalb", "Meine Verheiratete Frau") und der (verblassenden) Erinnerung daran ("Ich Verlasse Dich", "Alle Träume Müssen Sterben"). Diese Songs taugen nicht für Partys, denn sie genießen das Verharren in der Einsamkeit mit diebischer Lust am Selbstmitleid.
Aller Chancen auf Metaphern beschneidet sich der Alpen-Lyriker selbst, indem er seine Wortwahl auf kristallklare Eindeutigkeit herunterbricht. Sie entspricht der Direktheit von Theater-Dialogen oder eher noch Fernsehfilmen: "In meinem Leben wird es niemanden geben / der besser für mich ist / als du es bist" - das versteht jeder. Sozusagen das Gegenteil der gezwungenen Metaphern, die uns von Tawil bis Oerding in der Kategorie Beziehungs- und Betroffenheits-Pop, der kein Schlager sein will, um die Ohren flattern. Synthesizer sind hier Pflicht. Im Gegensatz zu solchen Acts ist der Schweizer Songwriter dafür der Autor seiner Nummern, im Ergebnis aber unkommerzieller. Das letztjährige Album "Jäger" wandte sich von der Plattenindustrie ab, "Bonn Park" erscheint auf Record Jet, einer Service-Infrastruktur für Artists, die keinen Plattenvertrag haben.
Im schwächsten Moment führt das eindimensionale Story-Gefilde zu Ideen, die noch flacher als die Musik sind. In "Meine Verheiratete Frau" herrscht folgende Konstellation vor: Mann (Ich-Erzähler) liebt Frau, "sie will ein Kind von mir" und "das gibt ein Problem / irgendwann". Auf dem Weg zur Lösung ersinnt der Anti-Held des Stücks: "Aber ich bin nicht dumm / ich bring den Kerl einfach um." Verblüffend mag man an dieser Stelle finden, wie platt man heute an Pop-Schlager ran gehen kann, dass dabei die diesem Genre heilige Harmoniesucht subversiv brutal aufbricht: "Ich mach sie zur Witwe / dann bin ich ihr Mann (...) hey, Leute sperrt mich ein / denn ich werd bald ein Mörder sein / dann schieß ich ihn tot (...) Nein das kann ich nicht tun." Ein innerer Monolog im Stile von Theaterbühnen.
"Das Universum ist gottlos" heißt es im orchestral aufgemotzten, kantig getrommelten und mit Chor angereicherten "Der Tag Der Nie Verging", musikalisch sehr nah an Spandau Ballet-Hits wie "True" oder "Gold". Derweil schwingt ABBAs "Mamma Mia" in "Ich Will Ne Frau Die Mich Will" mit, wobei dem "Da-la-la-da-la-la-la-la"-Chorus leider die zündende Hook fehlt. Man könnte sich den Song sehr gut in einer Touri-Kneipe auf Sylt vorstellen, wo sonst "Mit Pfefferminz bin ich Dein Prinz" oder "Zehn kleine Jägermeister" gejohlt wird. "Bleib Diesmal Hier" gräbt längst überkommen geglaubten Plätscher-Synthpop im Michael Cretu-Stil aus.
"Ich Verlasse Dich" bietet sehr nette Saxophon-Klänge, "Uli Jon Roth" ist ein Loblied der eigenen Profession ("Ich brauch nur die Musik") und liefert fröhlich-unverfänglichen Pop at its best (mit Scorpions-Referenz). So unterhält "Bonn Park" (benannt nach einem Kumpel Dagoberts) zwar super, entgleist aber hier und da in den Feinheiten. Etwa wenn man Füllsel-Zeilen begegnet, die einen unvollständigen Gedankengang ins Versmaß pressen oder vermeidbare Wortwiederholungen eine geringe Vokabular-Flexibilität offenbaren.
Das Album-Highlight schlägt ganz am Ende ein und hebt die Platte deutlich über den Durchschnitt - das "Kometenlied". "Ich komme näher mit 200 Kilometern pro Stunde", meint der Wahl-Berliner. Rar wirkt es, dass sich jemand aus der Ich-Perspektive als Komet darstellt und das eigene Empfinden beschreibt ("alles an mir ist so warm"). Ebenso selten, dass sich jemand an eine Kirchenorgel frei nach Emerson, Lake & Palmer wagt. Anspruchsvoller als das, was Alan Parsons heute so treibt, lehnt sich die Nummer an die Wohltaten des AP Projects an. "Vielleicht vernichte ich Planeten / Ich bin allein / niemand versteht mich / Ich bin ein galaktischer Stein", singt Dagobert. Das ist so schräg, unerwartet, so konsistent nostalgisch und verkalkt im Sound, und so charismatisch selbstsicher, dass es wirklich überzeugt. Letztlich vereinnahmt "Bonn Park" als kultartiger und ästhetisch inszenierter Trash.
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