laut.de-Kritik

Comeback mit guten Texten und Uptempo-Hymnen.

Review von

Einige Fakten, die man vielleicht nicht mehr über Ella Eyre auf dem Schirm hatte, wollen wir erst einmal in Erinnerung rufen. Das letzte Album "Feline" ist zehn Jahre her, und es war ihr einziges. An ihren Songs schreibt die Pianistin immer gerne mit, gleichwohl sie keinen alleine verfasst. In den UK-Charts platzierte sie insgesamt elf Top 40-Hits in verschiedenen Konstellationen, zum Beispiel als Stimme von Rudimental. Für deren Drum'n'Bass steht sie auch ein; in ihrem privaten Musikgeschmack hat sie sich maßgeblich von Underground-Acts des englischen D'n'B beeinflussen lassen. Diese Begeisterung hat gewiss auch einen familiären Grund, zumal sie ihre jamaikanischen Wurzeln in dieser elektronischen Spielart wiederfindet.

In den Pandemie-Jahren hatte sie eine Operation an ihren Stimmbändern - dadurch hat man wenig(er) von ihr gehört. Mit ihrem neuen Werk unternimmt sie die reizvolle Rolle rückwärts vom Hype-Star bei Universal zur freieren Künstlerin bei einem mittelgroßen Indie-Label. An "Everything, In Time" hat sie satte sieben Jahre lang getüftelt, sie brachte es im Vorlauf-Jahr auf acht Vorab-Auskopplungen, sieben weitere unveröffentlichte Stücke finden sich auf dieser LP.

Da hätten wir unter den bisherigen Singles "Loverman", das klingt ungefähr wie damals, als Ella mit den Elektronik-Acts unterwegs war. Man stößt auf den zugespitzten und überdrehten Nothern Soul "Space" mit Rave-Unterton und Pop-Hookline. Das hymnische "Kintsugi" spielt auf die japanische Technik an, Scherben bewusst sichtbar zu kitten und Brüche als Neuanfang hervorzuheben, was im übertragenen Sinne viel über Ellas Karriere aussagt. "Hell Yeah" stößt in ein ähnliches Horn und thematisiert eine Art Quarterlife-Crisis in ihrer Altersgruppe, mit 31 (die Songs entstanden, als sie zwischen 24 und 29 Jahre jung war).

Zum Mitsingen eignet sich schon beim ersten Hören "Red Flags And Love Hearts". Es ist der gesangstechnisch wohl forderndste Song der LP. Er steht den Soul-Wurzeln dieser Musik am nächsten (ohne dass man sofort Amy Winehouse-Vergleiche zücken muss, aber, zugegeben, sie drängen sich auf). Es geht um Ghosting und Gaslighting - Phänomene, die paradoxer Weise präsenter scheinen, seit wir über mehr Möglichkeiten der digitalen Echtzeit-Kommunikation verfügen.

Der R'n'B-Bubble-Pop "High On The Internet" persifliert, passend dazu, dieses Leben im Kleben am Display, das FOMO-Phänomen, die fear of missing (something) out die postmoderne Variante von Carpe Diem. Zusammen mit Jay Prince als Feature-Gast untersucht Ella die Faszination des Swipens, und am Ende lacht sie so herzlich wie dreckig. Mehr Lachen gewünscht? Gibt es sogleich im weich flowenden "Domino Szn", Gelächter inklusive. Nun, so etwas hat man vor 20 oder 30 Jahren schon recht ähnlich aufgenommen und gerät immer rasch in den Verruf, als Untermalung diverse Klamottenläden zu beschallen.

Zu den unveröffentlichten Stücken gehört das flippige, in der Melodie schwermütige, im Rhythmus treibende "Diamonds". Der perkussive Track bounzt auf der funky Urban-Schiene solcher Kollegen wie Jungle. Während die meisten genannten Stücke sehr gut ins Ohr flutschen, aber noch nicht absolut süchtig machen, hat der Northern Souler "Little Things" dazu schon anfänglich das Potenzial, beispielsweise wenn man auf Simply Red oder Roachford steht. Allerdings kocht die Nummer im Verlauf noch recht feurig auf - da muss man nach einem sehr plötzlichen Umschwung mit der ungebändigten Energie umgehen und mit einem Fremdgehen Ellas in Adeles Revier (was mir schwer fällt).

In "This Shit Hurts" gelingt das besser, weil schwerfällige Knatter- und Schepper-Big-Beats das konterkarieren. Dasselbe Prinzip haben einst die Propellerheads mit der Stimme Shirley Basseys in die Wege geleitet. Manchmal braucht es genau solche Kontraste. Nach durchweg Uptempo verblüfft es, dass zumindest ein kleiner Ruhepol am Ende der Tracklist folgt, in Form von "Rain In Heaven".

"Everything, In Time" beweist grundsätzlich ein hohes Niveau. Ella trägt sinnfällige und lebensnahe, anschauliche Texte vor und findet die jeweils passende soundgestalterische Entsprechung. Allerdings klingen ihre Vocals manchmal geplärrt und auf Album-Länge ein bisschen eintönig: Es wiederholt sich vieles in ihrem Gesangsausdruck, mit der Ausnahme des differenzierteren "Little Things".

Die Beats pflegen an manchen Stellen einen plakativen Stil, und meines Erachtens wäre das pfiffiger, schwebender, tanzbarer möglich, wenn man an die frühe Lisa Stansfield oder an Heather Small und M People als ikonische Ausprägung von UK-Dance-Soul denkt. Obwohl oder weil mehrere Stücke auf einen Smash-Effekt zielen und die Hörer:innen anspringen wie ein schlecht erzogener Hund den Paketdienst, fehlen Magnet-Songs, die einen unstillbaren 'Dreh-mal-lauter!'-Hunger wecken würden. "Space" mit witzigem Video, "Diamonds" und "Kintsugi" sind meine Anspieltipps inmitten der ziemlich guten Cuts. Und bei allem Kritisieren auf hohem Niveau will ich betonen, dass es - Ehrenwort darauf! - kein einziges schwaches Stück gibt.

Trackliste

  1. 1. Everything, In Time
  2. 2. Head In The ground
  3. 3. High On The Internet
  4. 4. Domino Szn
  5. 5. Diamonds
  6. 6. Red Flags And Love Hearts
  7. 7. This Shit Hurts
  8. 8. Kintsugi
  9. 9. Ain't No Love That Blind
  10. 10. What About Me
  11. 11. Little Things
  12. 12. Hell Yeah
  13. 13. Loverman
  14. 14. Space
  15. 15. Rain In Heaven

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