laut.de-Kritik
Exquisiter Krach der Biffy-Truppe mit Dave Lombardo.
Review von Josef GasteigerPotzblitz, was bricht denn hier über uns herein? Ein Gift und Galle spuckender, keifender Simon Neil. Riffs von Ex-Oceansize-Fronter und Biffy Clyro-Liveshredder Mike Vennart zwischen Melvins, Stoner, Mathcore, Doom und Noise. Ein wie immer entfesselter Dave Lombardo wechselnd zwischen Thrash-Galopp und perkussiver Lautmalerei. Das Ganze in zehn Songs auf 35 Minuten. Von zwei Minuten Geschrei bis hin zu sechseinhalb Minuten Metalopus ist hier alles dabei. Werden Biffy Clyro nun doch die großmaschigen Stadionbrecher der letzten Jahre auf Dauer langweilig?
Dass Neil immer schon ein Faible für das extreme Spektrum der Musik hatte, bewiesen nicht nur seine frühe Fangesänge für Black Metal und Bands wie Liturgy. In dunklen Tourbus-Stunden fand er in Vennart einen Gleichgesinnten, mit dem er einen Gegenpol zu den immer mehr bombastischer werdenden Biffy Clyro-Output stellen. Um sich künstlerisch auch am Extreme Metal abzuarbeiten, und damit auch eine gehörige Portion Wut und Hass audiospektral an die geneigte Masse loszuwerden.
Neben dem tatsächlich grandiosen Bandnamen ließen sie zuerst schon aufhorchen mit einer namhaften Besetzung: Ex-Slayer Fellteufel und experimenteller Tausendsassa Dave Lombardo (u.a. rhythmischer Consigliere von John Zorn sowie Mike Patton bei Fantômas und Mr. Bungle) spielte die Drums ein und taucht auch live immer wieder am Kit auf. Der Legende nach sagte er nach dem ersten Anhören sofort zu und verschob alles, um die von Vennart programmierten Drums mit seinem eigenen krachenden Wumms auf der Platte zu ersetzen. Bassistin Naomi Macleod (Bitch Falcon) sorgt für wummernde und doch tighte low ends.
Lyrisch lässt sich Neil auf "Rivers Of Heresy" vollumfänglich in den Nihilismus treiben und screamt seine Botschaften über die Sinnlosigkeit in Angesicht der heutigen Zeit und Gesellschaft. Man möchte fast Mitleid mit den Stimmbändern des Schotten haben, so malträtierend und rücksichtslos und manisch brüllt er sich hier die Seele aus dem Leib. Nur manchmal brechen melodische Momente aus ihm heraus, als würde man die blutverschmierte Tür zur norwegischen Black Metal-Holzhütte mit der Axt einschlagen wollen und ein paar Sonnenstrahlen in die Dunkelheit fallen; jedoch in der Gewissheit, nie dagegen ankommen zu können.
Vennart übernimmt alle Gitarrenaufgaben mit viel Spielfreude in dem bunten Mix aus Tod und Verderben entlang der ganzen Metal-Klaviatur, von teerigen, doomigen Walzenriffs in "The Looming", "Sons and Daughters" und "Moi?" bis zu thrashig und punkig gerifft in "Palms Of Hands" und dem Metal-Brecher "Stutter". Oder ganz einfach wie in der ersten Geschmacksprobe "Harvest": fünf Stile in unter drei Minuten. Im der doch sehr rohen Produktion kracht und scheppern seine Gitarrenwände und rumpeln ordentlich im Schädel.
Die liebe Birne hat sowieso recht viel zu tun, wenn man den Songstrukturen auf den Grund gehen mag. Kreative Taktarten waren im Biffy-Frühwerk zwar auch an der Tagesordnung, eine so allergische Ablehnung konventioneller Metriken ist allerdings auch beeindruckend. Ein Paradebeispiel hierfür stellt "Sold!" dar, ein rhythmischer Irrgarten eines Songs, der in jeder falschen Abzweigung mit neuen Überraschungen auf die Hörer lauert. Mal sind es zwei Zeilen voller herausbrechender Melodie, mal erklingen zwei Sekunden lang Kirchenorgeln. Tornado-artig fegen Empire State Bastard über alle hinweg, die hier versuchen, ihnen in die Karten zu schauen.
Dave Lombardo bringt auch hier diese unvergleichliche Mischung aus ungemeinem Druck und organischer Lockerheit fernab von der technischen Roboterhaftigkeit moderner Metaldrummer. Kugelhagelnde Tom-Fills, Double-Bass Salven – Lombardo erkennt man tatsächlich aus hunderten Schlagzeugern an seinem Sound. Besonders im Fokus: "Tired, Aye?" – nur galoppierende Drums und animalisch kreischende Vocals. Wow.
Das alles ist sperrig, in keiner Art auf Gefälligkeit ausgerichtet. Hier arbeiten sich Musiker vor allem an sich selbst ab. Losgelöst davon, was andere damit machen. An kreativem Haudrauf kaum zu überbieten. Biffy-Fans der letzten Jahre werden achtlos die Schultern zucken und weitergehen, für Freunde von sperrigem Krach, der sich mit jedem Durchlauf jeweils nur um Haaresbreite entschlüsselt, eröffnet sich eine halbstündige Tour de Force durch extreme Spektren der Metalmusik.
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