laut.de-Kritik

Frostige Wiederauferstehung einer rätselhaften Künstlerin.

Review von

Eine ganze Zeit lang ging es für Cameron Mesirow in einem atemberaubenden Tempo nur vorwärts. Gerade noch auf einem Independent-Sampler mit den damals unbekannten Witchhouse-Größen Salem und den Indie-Pop-Artists von Girls, dazu positive Besprechungen in den großen Musikmagazinen. Und zur Krönung noch Support-Auftritte für The XX. Es waren die ausgehenden Nullerjahre und der Beginn eines neuen Jahrzehnts, in dem Folktronica und Electro mit Bands wie Yeasayer, Four Tet oder Passion Pit in den Mainstream drängten.

Doch dorthin wollte Mesirow mit ihrem Projekt Glasser nie und veröffentlichte nach dem eher optimistischen Debüt "Ring" ein nicht einfaches Konzeptalbum. "Interiors" klang 2013 plötzlich kühler und beschäftigte sich mit moderner Architektur und ihrem Einfluss auf Menschen. Auch sonst herrschte plötzlich ein ernsterer Ton vor. Weitere fünf Jahre später erschien das experimentelle Mixtape "Sextape", eher eine Art Spoken Word-Album über queeres Leben. Depressionen, der Tod eines Freundes und Selbstzweifel blockierten die sensible Künstlerin für eine längere Zeit. Zum Glück kam sie aus der düsteren Zeit heraus und sieht nun in "Crux" eine Art Kreuzung, in der sich Lebenslinien von Menschen überschneiden, treffen und dann wieder verlieren.

Einen Kundigen, der einem das Leben und seine verschiedenen Routen erklärt, wünscht sich Mesirow in "A Guide". Eine sakrale, leise Reflektion, in der die Stimme geisterhaft über ein unvollkommenes Leben singt. Sehr introvertiert und unaufdringlich, nahezu andächtig gelingt der Opener in das vierte Glasser-Album. Mal transportiert sie die Lyrics fast im Sprechgesang wie ein Gedichtvortrag oder ihre Stimme wird zu einem weiteren Instrument. Sie habe bulgarischen Gesang studiert und dahingehend ihre Technik erweitert, erklärt die Amerikanerin. Dies lässt sich in "Clipt" nachhören, wenn sie ihre Stimme weniger an westlich bekannte Muster anlehnt.

In der musikalischen Folklore des osteuropäischen Staates findet sie deutlich mehr Einflüsse aus dem Orient. Sehr bekannt wurde diese ganz eigene Technik vor Jahren durch "Touched" des Industrial-Projekts VAST und der 4AD-Veröffentlichung "The Mystery Of The Bulgarian Voices". Der für uns exotische und ungewohnte Kehlkopfgesang verstärkt den eh schon mystischen Effekt des Liedes. Eine Stimme wie eine Geige, bezeichnete ein Kollege sehr treffend Mesirows Gesang.

Die Musik ruft Vergleiche mit Künstler:innen hervor, die ähnlich experimentell vorgehen und ebenfalls ihre ganz eigene Identität besitzen. So findet man bei näherer Betrachtung natürlich auch in "Crux" die Eispartikel von "Vespertine", Björks Schockfrost-Moment aus den frühen Nullerjahren. Diesen Gipfel muss man aber erstmal erklimmen und gerade "All Lovers" gelingt mühelos auf dieses Level. So ein amerikanischer Zeitlupen-Drone-House wie "Undrunk" geht dagegen weit weg von europäischen Winterlandschaften.

Glasser flüstert in diesem leicht morbiden Song "My heart is a graveyard" und besiegelt damit die Grabstein-Inschrift für alle Dinge, die nun verarbeitet unter dem Herzen liegen. Cameron Mesirow bleibt eine nachdenkliche, introvertierte Person, an der gerade die letzten dunklen Jahre nicht spurlos vorüber gegangen sind. "Crux" ist nach der langen Pause vielleicht kein Paukenschlag, aber eine gelungene Wiederauferstehung einer immer noch rätselhaften wie spannenden Künstlerin.

Trackliste

  1. 1. A Guide
  2. 2. Vine
  3. 3. Easy
  4. 4. Knaeve
  5. 5. Mass Love
  6. 6. Thick Waltz
  7. 7. All Lovers
  8. 8. Clipt
  9. 9. Undrunk
  10. 10. Drift
  11. 11. Ophrys
  12. 12. Choir Prayer

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