laut.de-Kritik
Kürbisse aller Länder vereinigt euch.
Review von Yan VogelKürbisse aller Länder vereinigt euch: Nachdem die Friedenspfeife geraucht, der Streit bereinigt und die finanziellen Details geklärt waren, ging es 2017 mit Helloween nach zwei Jahrzehnten gepflegter Nachlassverwaltung und einiger kreativer Höhenflüge wieder durch die Decke.
Die sieben Musiker ergreifen seitdem die Flucht nach vorne. Die Venues wachsen, das Selbstbewusstsein steigt. Dabei zeichnet die Band im Vergleich zur turbulenten Frühphase neben dem allgegenwärtigen Humor eine große Portion Gelassenheit aus. So ergänzen sich Bass-Wirrkopf Markus Großkopf und Band-Vordenker Michael Weikath im beiliegenden Interview, als sie auf denglisch von den zahlreichen "beschissenen Decisions" kauderwelschen.
Neben den Heavy Metal-Urgesteinen Accept und dem Krawall-Kommando aus Essen (Kreator) verkörpern Helloween die Speerspitze des Speed Metal. Im Fahrwasser der Väteranen haben mittlerweile Blind Guardian oder Tobias Sammet mit Edguy und Avantasia die Szene-Originale überholt. Nicht auszuschließen, dass der hanseatische Metal-Express auch kreativ wieder Fahrt aufnimmt, die Spannungen der Vergangenheit kanalisiert und mit dem Respekt der Gegenwart ein neues Album aufnimmt.
Bevor die Zukunftsmusik erscheint, erobert nun erstmal die Live-Nachlese der Welttournee die heimischen Bildschirme. So viel vorweg: die Choose funktioniert. Die Sänger Michael "Eagle Fly Free" Kiske und Andi "Perfect Gentleman" Deris harmonieren perfekt miteinander, teilen sich die Klassiker ("Halloween"), übernehmen aber auch je eigene Spots aus ihrer jeweiligen Phase. In Wacken, Madrid und Sao Paolo mitgeschnitten, changiert der Konzertfilm in bester "Flight 666"-Manier zwischen den Locations hin und her. Der Kontrast zwischen Open Air und Hallenshow harmoniert sehr gut und trägt zum Abwechslungsreichtum bei.
Der Sound ist homogen und die Übergänge fließend. Zum Konzertfeeling trägt bei, dass die Band ihr Versprechen eingehalten hat und spieltechnisch nichts beschönigt. So merkt der Zuschauer Michi Kiskes Erkältung in Wacken und registriert den ein oder anderen verpassten Einsatz. Insgesamt ist das spielerische Niveau dennoch auf höchstem Level angesiedelt. Aus der an Highlights nicht armen Setlist stechen folgende Sektionen heraus:
1. Kai Hansen, Gitarren-Querdenker und Kreativ-Kompass, intoniert das speedige "Walls Of Jericho"-Medley. Der Gamma Ray und Unisonic-Chef rollt die Roots auf rostigem Stacheldraht auf und versieht diese mit unbändiger Energie.
2. Der Song-Neuling "Pumpkins United" zeigt, dass die Abstimmung sowohl kreativ als auch songdienlich funktioniert. Dem schließt sich der emotionale Höhepunkt mit "Drumkins United" an. Drummer Dani Löble spielt ein Drum-Duett mit dem früh verstorbenen Original-Schlagzeuger Ingo Schwichtenberg und greift dabei auf altes VHS-Material zurück. Eine tolle Geste, die Vergangenheit und Gegenwart zusammen führt.
3. Der Übersong "Keeper Of The Seven Keys" hat auch nach über drei Dekaden nichts an Strahlkraft und Relevanz verloren. Was hier an Querdenke und Ideenreichtum abgeht, steht auf einer Stufe mit Rainbows "Stargazer", Maidens "Rime Of The Ancient Mariner" oder Fates Warnings "Guardian". Gitarrist Sascha Gerstner beweist hier ein beeindruckendes Gespür dafür, als Teamplayer zu agieren und den Song zu achten und als dritter Saiten-Hexer im Verbund mit Weikath und Hansen die Komposition auf ein neues Level zu hieven.
Neben dem regulären Konzertfilm gibt es noch einige Bonussongs, ein Interview und die überdrehten Comic-Sequenzen des Chaos-Duos Seth & Doc zu bestaunen. Das macht Laune und steigert die Vorfreude auf das für 2020 angekündigte Album als Septett.
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