laut.de-Kritik

Kampf um Anerkennung in einer hämischen Hip Hop-Szene.

Review von

Es ist so wahnsinnig einfach, Ian nicht ernst zu nehmen. Wirklich wahnsinnig einfach. Da ist also dieser Otto Normalverbraucher, der aussieht, wie jeder nach 2000 geborene Prep Life Boy. Der macht extrem mühselige Halb-Parodien von Future und Gucci Mane, packt Memes auf die Cover und schlachtet den Kontrast maximal aus. 'Huh! Ein wohlständiger Weißer, der Trap macht? Das ist ja unglaublich!', sagte absolut niemand. Es reichte zwar mit den beiden Mixtapaes "Valedictorian" und "Goodbye Horses" zumindest für ein bisschen Viralität und einen Platz in der XXL Freshman Class, aber im Grunde war Ian von Anfang an ein Gespött.

Dieser Status als Gespött steigerte sich zu einer cineastischen Serie von Schlachtungen von quasi allen Kritikern, die es noch gibt, und gipfelte am Ende in einem Interviewclip von Tyler The Creator, der Ian als quasi das Übelste benannte, was Hip Hop gerade passierte. Ian wurde also in seiner kurzen Karriere zum absoluten Feindbild. Im Wörterbuch findet ihr sein Bild bei 'Culture Vulture'.

Aber: Ian ist kein Lil Mabu. Was, wenn ich euch erzähle, dass dieses neue Album von ihm nicht nur gar nicht komplett scheiße ist. Mehr noch: Was, wenn ich euch erzähle, dass dieses neue Ian-Album nach allen Regeln der Kunst richtig interessant ist? Würdet ihr mir glauben? Ich würde mir nicht glauben. Es klingt unwahrscheinlich. Tatsache ist: "2005" funktioniert nicht vollumfänglich. Aber irgendetwas hat es, diesem Jungen dabei zuzusehen, wie er alle Hebel in Bewegung setzt, um sich zu beweisen.

Ich fand "Magic Johnson" nicht einmal komplett kacke. Aber es war besonders das Lil Yachty-Feature "Hate Me", bei dem mir zum ersten Mal klar geworden ist, dass der Junge nicht nur ein Meme sein will. Das war wirklich ein souveräner, atmosphärischer Plugg-Track - und eine Sache, die man Ian zugute halten muss ist, dass er einen relativ soliden Rapgeschmack hat. Und man ihm auch gut und gerne abnimmt, dass er Rap wirklich liebt.

Auf eine gewisse Weise repräsentiert er einen kleinen Shift in der Hip Hop-Welt. Nach all den Macklemores, den G-Eazys, den Machine Gun Kellys und den NFs markiert er den ersten kommerziell erfolgreichen weißen Rapper, der nicht ganz klar nach dem Eminem-Modell kommt. Und Eminem-Modell hieß ja leider meistens nicht "Slim Shady LP", es hieß eher, sich mit diesen beschissenen Pop-Rap-Balladen mit dramatischer Sängerin in der Hook aufs Popradio zu schleichen. "2005" bewegt sich auch in kritischer Lage bewundernswert wenig von seinem grundsätzlichen Sound weg. Statt den billigen Copout in Richtung Pop oder gar Country zu gehen, kämpft es um die Anerkennung einer hämischen Hip Hop-Szene.

Und wie macht er das? Na, indem er all die Greats evoziert, die ein 2005 geborenes Vorstadtkid so idolisieren würde. Und das bedeutet konkret: Ganz viel Kanye. Das Intro "Go Ian" kommt mit opulentem Chipmunk-Sample und er eröffnet: "It's time to hang the hats up / I just came back from some shit I shouldn't have come back from". Er ist kein Überspitter, wirklich nicht, aber man spürt doch signifikante Fortschritte im Micskill. Vor allem: Während seine Vocals auf den ersten beiden Tapes einfach nur versucht haben, mittels Autotune-Camoflage denkbar wenig den Beats im Weg zu stehen, fühlt er sich hier als Kernstück des Songs wohl. Es ist leicht ihm zu folgen - es bockt sogar ziemlich, wenn Fake-Sexyy Red-Vocals mit einem "Go Ian"-Chant in einen überzeugenden Trap-Knock übersetzen. Der Track bringt eigentlich ziemlich viel mit, was man von einem Album haben will - eine überzeugende Spannungskurve, einen sich graduell entfaltenden Beat und einen Protagonisten, der etwas zu erzählen hat.

"Aw Shit" hätte ein richtiger Banger werden können, würde man hier nicht am ehesten noch die Limitationen von ihm am Mic merken. Es ist kein Reinfall, aber man merkt, dass das, wo er hin will, einfach nochmal eine Schippe mehr Energie und Selbstvertrauen gebraucht hätte. Genau das zeigt er dann aber interessanterweise auf dem Folgetrack "You Told Me". Hier geht der Kanye-Worship weiter - und wir schlagen schamlos in einen absoluten "Yeezus"-Rip. Für die anhaltende Popularität des Albums bekommen wir überraschend wenig Versuche, den Sound anzuzapfen, also verzeihe ich ihm die sehr klare Inspiration. Aber gerade, wenn der schroffe, elektronische Sound minimal wird, rappt er auf einem Level durch, das ich ihm so nicht zugetraut hätte. Und klar, vielleicht bin ich jetzt via der Erwartungshaltung etwas zu nett, aber: Es rührt mich doch zu sehen, dass all das Nicht-Ernstnehmen und der Hate ihn nicht bitter gemacht haben, sondern ihn motiviert haben, noch einmal richtig zu üben. So etwas muss ich doch auch ein wenig auszahlen!

Im Mittelteil wechseln die Inspirationen weg von Kanye und Drake hin zu Future und Young Thug. Das klingt mitunter ulkig, wenn er sich auf "Have My Back" wirklich volle Pulle in richtige "Jeffery"-Stlye-Vocal-Gymnastik stürzt. Er kommt offensichtlich nicht ganz dahin, aber der Versuch ehrt ihn - und es ist weniger beschissen, als man erwarten würde. "I Ain't Coming Back" und "Remember Me" kanalisieren den trippy Future-Balladensound. Inhaltlich zieht er dabei diesen klassischen Trick, dass er eine Beziehung besingt, aber offensichtlich eigentlich seine eigene Beziehung zur Öffentlichkeit meint. Ein bisschen wie Justin Bieber auf "Sorry". Es sind keine schlechten Tracks. Es ist eine brauchbare Passage.

"Soul Provider" ist ein weiterer großer Swing, der weiter kommt, als man annehmen würde, aber nicht ganz zusammenkommt. Ein etwas zu cleaner Gospelchor singt "What did I do wrong? Tell me, what did I do wrong?", er selbst fasst sein Mission Statement wiefolgt zusammen: "Truth of it is, I do it for the kids who wake up ready for the end of the day / Truth of it is, I do for the kids who can't find nowhere else to cry when it's late". Und wieder denkt man sich, ach, Jung, es ist schön, dass du so fühlst. Aber eine gewisse Dissonanz zu seinem bisherigen Material lässt sich trotzdem nicht leugnen. Wenn das seine Absicht war, dann muss er bisher wirklich beträchtlich daran vorbeigeschossen haben.

Na gut. Ich schätze, die Aussage 'es ist nicht so schlecht, wie ihr denkt' und 'immerhin probiert er etwas' ist nicht das überzeugendste Argument. "2005" ist ein Tape, das wie eine absolute, den Shit talkende Standortbestimmung funktionieren will. Vielleicht profitiert es bei mir auch einfach nur von der niedrigen Erwartung. Aber beim Hören dachte ich mir immer wieder, dass ich die Vision doch ein bisschen fühle.

Irgendwie will ich an diesen seltsamen Twist der Rapgeschichte glauben, an dem Ian auf einmal den 180-Grad-Turn hinlegt und ein richtig, unleugbar gutes Album raushaut. Und ich spüre die Ideen, ich spüre den Hunger, ich spüre die Silhouette des großen Albums, das er hier machen wollte. Aber am Ende des Tages, trotz allen Versuches, kann es nicht ganz kaschieren, dass Ian am Ende des Tages doch schlicht ein limitierter Performer ist, der immer wieder jenseits seiner Kragenweite performt und nicht die Sauce hat, seinen offensichtlichen Idolen gerecht zu werden. Und trotzdem: Irgendwie fasziniert und charmt mich dieser große Swing, auch wenn er genauso viel verfehlt, wie er trifft.

Trackliste

  1. 1. Go Ian
  2. 2. Aw Shit
  3. 3. You Told Me
  4. 4. I Ain't Coming Back
  5. 5. Talk About It
  6. 6. Remember Me
  7. 7. Have My Back
  8. 8. Soul Provider
  9. 9. Friends From Everywhere

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Compilation – Independance 2005 €43,46 Frei €46,46

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Ian

Die Geschichte der Gimmick-Rapper ist lang und belastend. Die Liste der Rapper, die ihr Rap-Gimmick über kurz oder lang überwinden konnte, ist dagegen …

Noch keine Kommentare