laut.de-Kritik

Mutig zu neuen Ufern, zu mutig vielleicht ...

Review von

Der Einstieg in sein viertes Album gelingt Jamie Cullum sensationell gut. "Get Your Way", Opener und erste Single von "Catching Tales", basiert auf einer Orchester-Version von Allen Toussaints "Hey Woman, Get Out Of My Life", und Cullum glänzt hier noch einmal mit seiner Gabe, Swing- und Popmusik-Elemente elegant zu verschmelzen.

Rasiermessergleich zerschneidet die jazzig angehauchte Bigband-Bläsergruppe gleich zu Beginn die Stille, ein perlendes Piano und die croonerhafte Stimme huldigen dem Swing, trotzdem wirkt der Midtempo-Track mit den Samples und den harten Schnitten von Produzent Dan The Automator von den Gorillaz absolut zeitgemäß.

Doch anders als bei seinem letzten Album "Twentysomething" gibt Cullum sich nicht mehr damit zufrieden, die Songs anderer Leute neu einzuspielen. An vielen Titeln von "Catching Tales" hat er selbst mitgeschrieben, meist mit Unterstützung renommierter und erfahrener Songwriter. So hört man etwa dem folkig angehauchten "London Skies" deutlich das Händchen von Guy Chambers an; diese teilweise hymnenhafte Ballade hätte auch Robbie gut singen können.

"Photograph" dagegen verantwortet Cullum ganz allein. Und wenn er in einem kleinen Kunstgriff der ersten Strophe einen Refrain voranstellt, dann hat das vielleicht damit zu tun, dass die Strophe leider sehr nichtssagend daher kommt, woran auch das sehr jazzige Interlude nichts mehr ändert.

Das folgende Cover von Harry Warrens "I Only Have Eyes For You" krankt wie die Eigenkomposition "Nothing I Do" an übertriebener Modulation. Mit Vibrato, Schlenkern, Tremolo, Kicksern und anderen stimmlichen Kunstgriffen begebe Cullum sich in die Nähe einer Mariah Carey, die auch keinen schlichten Ton mehr singen könne, urteilte denn auch ein enttäuschter "Twentysomething"-Fan.

Gut, der Mann hat natürlich eine phänomenale und wahnsinnig vielseitige Stimme, die aber tatsächlich verschwendet ist, wenn sie hauptsächlich dazu dient, schwache Songs aufzupeppen und zu verzieren. Organisch als Einheit von Inhalt und Form kommt Cullums Ausdruckskraft erst wieder im melancholischen "Oh God" zum Tragen, an dem wiederum Guy Chambers mitgeschrieben hat, sowie in dem folgenden Cover von "Catch The Sun" (Original von den Doves). So geht das weiter: wenn man bei einer Nummer aufhorcht und in die Tracklist blickt, ist sie meistens nicht von Cullum.

Zweifellos erweitert der 25-Jährige mit dem jungenhaften Aussehen sein stilistisches Repertoire mit "Catching Tales", indem er nun auch Britpop-, R'n'B- oder Funk-Elemente verwendet. Zweifellos ist es auch sehr mutig, seine ohnehin schon auseinander strebenden Eigenkompositionen mit teilweise bereits vielfach gecoverten Klassikern zu ergänzen. Vielleicht zu mutig?

Trackliste

  1. 1. Get Your Way
  2. 2. London Skies
  3. 3. Photograph
  4. 4. I Only Have Eyes For You
  5. 5. Nothing I Do
  6. 6. Mind Trick
  7. 7. 21st Century Kid
  8. 8. I'm Glad There Is You
  9. 9. Oh God
  10. 10. Catch The Sun
  11. 11. 7 Days To Change Your Life
  12. 12. Our Day Will Come
  13. 13. Back To The Ground
  14. 14. My Yard

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