laut.de-Kritik

Das eingelöste Versprechen der Soundcloud-Generation.

Review von

Die Soundcloud-Ära ist tot und amerikanischer Mainstream-Rap so langweilig wie lange nicht. Interessante Leute gibt es noch, klar, aber in der Lil Baby-Lil Durk-Straßenrap-Epoche geht das große gewagte Event-Album unter einer kompetenten Flur an Tapes unter. Sagt, was ihr wollt, aber ein 21 Savage wird kaum alsbald seinen "Yeezus" veröffentlichen.

Dass nun ausgerechnet Lil Uzi Vert und Playboi Carti die Auteur-Artists der Rap-Zwanziger sein werden, hätte diesen Quatschköpfen noch 2016 kaum einer zugetraut. Aber es ist nicht nur ihre Fähigkeit, ihre immer wieder verschobenen und angetäuschten Projekte mit Leaks und Finten zu hypen. Als Playboi Carti 2020 "Whole Lotta Red" auf die Welt losließ, stieß der komplett konfrontative Sound nicht nur die ganze Szene frontal vor den Kopf, langfristig ging ein ganzes Genre an Nachahmern daraus hervor.

Lil Uzi Verts "Pink Tape" wird nicht diese Blueprint-Kraft haben, denn diese 90-minütige Studie in nacktem Wahnsinn ist so nah an seinem Charakter, dass es ihm sowieso niemand gleichtun könnte. "Pink Tape" ist mit seiner manischen Hyperdrive-Fahrt durch Trap, Rage, Hyperpop, Psychedelia, Emo, Metal und J-Pop nicht nur eins der explosivsten, fantasievollsten und unterhaltsamsten Rap-Alben aller Zeiten, sondern auch so schräg, dass man mit völlig willkürlich gewählten dreißig Sekunden daraus einen Gang Starr-Fan von 1998 sofort zu Stein erstarren lassen könnte.

Die erste Hälfte wirkt wie eine Synthese, die den Sound seines bisherigen Meilensteins "Luv Is Rage 2" mit Cartis Rage-Vorstößen modernisiert. Heraus kommen absolute Hitter, angefangen mit dem monumentalen Intro "Flooded The Face", der dieses treibende, geladene Synth-Intro aufsetzt und dann klassische Uzi-Trap-Sprint-Flows mit melodischem Drive staffelt. Produktionstechnisch nimmt er diese atmosphärischen, fast ein bisschen psychedelischen Atlanta-Synthesizer, denkt aber beim Beat-Picken wie aus der Perspektive eines Tänzers.

Heraus kommen Songs und Flows, die offensichtlich auf den Groove geschrieben sind. Man vergisst ja irgendwie leicht, dass Trap absolute Tanzmusik sein sollte und Uzi findet oft den perfekten Kompromiss, dieses Potential auszuleben und gleichzeitig doch die klangliche Vielseitigkeit und Tiefe der Beat-Tradition seiner Heimat mitzunehmen. Will heißen: Keine zwei Songs gleichen einander hier, auch wenn die erste Album-Hälfte dasselbe Ziel verfolgt. Sie will dich auf deine Füße bringen. Das hysterische Metal-Gitarren-Sample von "Suicide Doors" klatscht gegen eine wüste Arca-Hyperpop-Synth-Line, während Uzi seine Rockstar-Growls und Carti-Adlibs etabliert. Das klingt vogelwild, dreckig, völlig drüber und komplett Hype.

"Aye" erinnert mit Produktion von Working On Dying und BNYX wie einer der richtig guten Yeat-Beats, die Streicher-Melodie brennt sich sofort ein. Uzis simple "Yeah, yeah, yeah"-Tirade stampft den Rhythmus brachial nach vorne, ebenso simpel wie direkt funktioniert der rhythmisch komplett druffe Vorstoß der Hook auf "Crush Em". Wenn es eine Stelle gibt, die sich bei mehrmaligem Hören vielleicht ziehen könnte, wäre es das zweite Viertel, aber selbst hier verbergen sich so viele musikalische Ideen und klassische Uzi-Goodness wie die hyperaktiv trillernde Synth-Line auf "X2", die triumphalen Emo-Rap-Vocals auf "Died And Came Back" und das schamlose Pop-Nicki Minaj-Feature "Endless Fashion", das die Melodie von "I'm Blue", eine Karl Lagerfeld-Hommage und die Nicki-Line "got a republican doctor / he made my ass great again – MAGA" beinhaltet.

Jedes einzelne dieser Elemente hätte das Potential, auf einem gewöhnlichen Album schon der Talk of Town-Moment der Platte zu sein. Auf "Pink Tape" haben wir gerade erst die "normale" Seite des Albums hinter uns gelassen. "Nakamura" läutet den kompletten Irrsinns-Run ein, wenn Uzi auf die Einlauf-Musik des japanischen Wrestlers Shinsuke Nakamura Tagträumer-Raps über seine eigene Wrestling-Karriere spittet. "Just Wanna Rock", die einzig bekannte Single, ist mit seinem hyper-viralen Jersey-Club-Moment eigentlich schon in die moderne Rapgeschichte eingeritzt, bleibt natürlich trotzdem ein unglaublicher Song mit einer völlig skurrilen Struktur.

Gegen den Nachfolger "Fire Alarm" wirkt das dann trotzdem wie Mainstream-Fluff, denn mit der selben irrsinnigen Methode schlagen Uzi und seine Produzentinnen und Produzenten hier einen Club-Banger aus dem Justice-Klassiker "Stress". Es folgen zwei Metal-Cuts, nicht Rap-Metal, sondern einfach nur straight-up Metal, schrill, grell, aggressiv, der die beiden größten Dance-Songs der Platte interessanterweise in ihrer rhythmischen wie tanzbaren Dimension schön ergänzt.

"CS" ist wahrscheinlich der große kontroverse Song von "Pink Tape". Ein Lil Uzi-Cover von "Chop Suey"? Kann das funktionieren? Zum einen: Natürlich nicht. Selbst Uzi weiß, dass er nicht die Vocals von System Of A Downs Serj Tankian hat. Zum anderen: Muss er das? Mehr als alles andere erinnert der Song an das fulminant großartige "Take On Me"-Cover der klassischen Emo-Band Cap'n Jazz auf "Analphabetology", das ebenfalls bewusst in die Vocals reinscheißt, aber eine so explosive, gelöste, lustvolle Karaoke-Stimmung aufbaut. Der Punkt daran ist die Oberflächlichkeit, das In-der-Dusche-Nachsingen, der maximale Disrespekt an die "0% Autotune, 0% naked woman, 0% curses, just 100% raw talent"-Crowd. Wenn danach noch Bring Me The Horizon für Wolfsgeheul und Double-Kicks auf "Werewolf" dazu geholt wird, ist klar: Uzi wollte nie den Respekt der Metal-Community. Auf den Respekt der Metal-Community sei zurecht geschissen. Er sieht es einfach nur als zwei weitere Episoden seiner manischen Sammlung an Stimmungen, die kurz darauf in ein paar Emo-Trap-Balladen einbricht.

Das Ende liefert ein gottverdammtes Babymetal-Feature. "The End" ist vielleicht der beste Song hier und ein mehr als würdiger Abschluss für dieses komplett gestörte Projekt, weil es diese großartige Spannung zwischen Hochs und Tiefs, zwischen Selbstzerstörung und Ekstase aufrecht erhält. "La la la, sing a song, sing along", brettert der J-Pop-Chorus zwischen 808s und massiven, kein bisschen Mainstream-gerechten Metal-Sperrfeuern. Es ist eine berstende Zelebration von allem, was in der neuen Musik-Generation möglich ist.

Und ist das nicht das Schönste an diesem Album? Natürlich ist nicht jede Performance perfekt, natürlich ist das Album objektiv zu lang und sehr komisch gestaffelt. Aber seit dem Anbruch der Soundcloud-Generation spielten Rapper mit den neuen Möglichkeiten, jetzt, wo alle Hip Hop-Dogmen wirklich erodiert waren. Vor ein paar Jahren war es noch ein Tabubruch, als Lil Peep mit Fall Out Boy recordet hat, XXXTentacion Folk-Balladen aufnahm und jeder Rapper und seine Tante dumme Anime-Lines gedroppt haben. Lil Uzi Vert ist diese Kultur nun bis zur letzten Konsequenz gegangen. "Pink Tape" ist ein überbordender, massiver, unzähmbarer Moloch von einem Album, das manisch und wild durch jeden Impuls und jeden blöden Gedankengang sprintet.

Trotz der massiven Dauer gibt es keine trübe Stelle. Kontinuierlich hält es die Spannung und wirft Uzi Irrsinn nach Irrsinn mit maximaler Passion, ungebrochenem Hunger und einer unnachahmlichen Energie auf die Hörer. Dieses Album ist alles, was die letzten Jahre Trap-Durchbrüche so aufregend gemacht hat. Und auch, wenn es kein Blueprint für eine neue Ära wie "Whole Lotta Red" sein kann, ist es doch die Spitze einer rapide mutierenden Rapkultur. Nichts hiervon wäre vor zehn Jahren nur in Ansätzen möglich gewesen, aber alles hieran ist absolut glorreich.

Trackliste

  1. 1. Flooded The Face
  2. 2. Suicide Doors
  3. 3. Aye (feat. Travis Scott)
  4. 4. Crush Em
  5. 5. Amped
  6. 6. X2
  7. 7. Died And Came Back
  8. 8. Spin Again
  9. 9. That Fiya
  10. 10. I Gotta
  11. 11. Endless Fashion (feat. Nicki Minaj)
  12. 12. Mama, I'm Sorry
  13. 13. All Alone
  14. 14. Nakamura
  15. 15. Just Wanna Rock
  16. 16. Fire Alarm
  17. 17. CS
  18. 18. Werewolf (feat. Bring Me The Horizon)
  19. 19. Pluto To Mars
  20. 20. Patience (feat. Don Toliver)
  21. 21. Days Come And Go
  22. 22. Rehab
  23. 23. The End (feat. Babymetal)
  24. 24. Zoom (Bonus)
  25. 25. Of Course (Bonus)
  26. 26. Shardai (Bonus)

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14 Kommentare mit 23 Antworten

  • Vor einem Jahr

    Kann nur mit der ersten Hälfte so richtig was anfangen. Obwohl die auch mehr typisch Uzi ist. Bin halt absolut kein Fan von Trap Metal und alles in die Richtung. Find den BMTH und Babymetal Song auch mit Abstand am schlechtesten. Ist aber vermutlich Geschmackssache. War immer froh dass Uzi nie so weirde Crossover Versuche gestartet hat und in so ne Richtung wie Trippie Redd oder Juice WRLD gegangen ist. Für mich war er auch nie Teil der Emo Szene sondern halt er Teil der Rage, Underground, Synth Beat Szene vom Sound her. Ähnlich wie Carti. Wenigstens klingt bei ihm der Genre Mix trotzdem allem homogen weil er dennoch nen eigenen Sound und eigene Ästhetik hat im Gegensatz zu Leuten wie Trippie die auf jeden Hype aufspringen. Finde Uzi und Carti aber auch seit mehreren Jahren und allgemein Top Tier was Trap angeht. Sind halt trotz neuen Standards noch richtige Album Künstler bloß nicht in klassischer Form. „Die Lit" ist in den letzten Jahren vermutlich mein fav Album all time geworden weil es sich einfach nicht abnutzt und ist halt trotz des speziellen Sounds ein Album was man 24/7 und in jedem mood hören kann.

  • Vor einem Jahr

    Unfassbarer, unhörbarer Schmutz... kein Hass nur des Hasses wegen, sondern Traurigkeit und Unverständnis bei dieser weltweiten Geschmacksverirrung der jetzigen Generation(en). Und jetzt los, ihr laut.de-mid40er, lasst euren - in doch ach so modernen Jugendlichkeit hängengebliebenen - "Lösch dich"-Hass niederregnen!! Liebe für euch alle, außer für diesen Vollmüll, ungehört 0/5..

  • Vor einem Jahr

    Ich will ja nicht aus reinem Beißreflex haten, dementsprechend habe ich mir jetzt mal ein paar Titel angehört. Yannik, ich verstehe ja den Punkt, dass das hier Musik ist, die die klassischen bzw. klischeetypischen Hörer des Rock/Metal-Genres massiv vor den Kopf stößt, aber das allein ist halt auch kein Qualitätsmerkmal. Beim ersten Mal Hören der Chop Suey-Version war ich nicht weit weg von körperlichen Schmerzen. Bei allem Respekt und gutem Willen gegenüber der musikalischen Innovation (wobei das hier auch sehr diskutabel ist, ob das eine ist), aber das kann doch wirklich niemand wirklich als angenehm für das Ohr empfinden? Hier wird versucht, musikalische Bruchstücke zu mischen, die wirklich maximal gar nicht zusammenpassen. Letztenendes ist das zwar vielleicht so noch nie dagewesen, aber dafür gibt es halt auch Gründe. Man kann da jetzt aus so einer prätentios-künstlerischen Perspektive rangehen und das feiern, von einem rein musikalisch-handwerklichen Standort ausgesehen ist das Album aber kompletter Schmutz und unhörbar. Wer sich das hier als Stück Musik geben kann, hasst Musik. 1/5.

  • Vor einem Jahr

    Dieser Kommentar wurde vor einem Monat durch den Autor entfernt.