laut.de-Kritik
Mit Grönemeyer und Lordi zurück in die Roaring Twenties.
Review von Yan VogelMax Raabe bedient behände das Unterhaltungsgenre der Roaring Twenties. Ihn begleitet das Palast-Orchester, im Rahmen der "MTV Unplugged"-Reihe diesmal ohne Strom. Raabe gibt dabei nicht nur eigenes Liedgut oder Material der Comedian Harmonists wie "Mein Kleiner Grüner Kaktus" zum Besten, sondern bittet eine illustre Gästeschar auf die Bühne.
Herbert Grönemeyer, Samy Deluxe, Namika und ein gewisser Mr. Lordi schmettern Raabe-Hits wie "Küssen Kann Man Nicht Alleine" oder Interpretationen wie Herberts "Mambo" ins pittoreske Ambiente. "Herr Popolski, das geht ja gar nicht. Wir befinden uns hier in einer Aufzeichnung von 'MTV Unplugged', empört sich der Gastgeber über Pawel Popolskis-Einwurf, "Kein Schwein Ruft Mich An" sei eine zünftige Polka-Nummer, "dass der Post geht ab durch der Decke". Popolski setzt sich darauf an seine Schießbude und poltert los.
Das Spiel mit Travestie und Subversivität unter dem Deckmantel biedermeierlicher Bürgerlichkeit, das sich auch die erfolgreiche Serie "Babylon Berlin" zu Eigen macht, scheint allgegenwärtig. Schauspieler und Berufs-Psychopath Lars Eidinger intoniert das kaltblütige, amoralische Kleinod "Moritat Von Mackie Messer" aus Brechts "Dreigroschenoper" und legt dabei mindestens soviel Charisma an den Tag wie Tote Hosen-Vorturner Campino. In "Du Bist Zu Schön Für Einen Mann Allein" sucht Raabe Abstand vom Anstand. In "Kleine Lügen" beschwört sein Bariton den Geist aus der hochprozentigen Flasche. "Der Doktor fragt mich: Trinken Sie? Ich sage: Nein, es ist zu früh."
Neben diesen Fremd- und Eigenkompositionen in deutscher Sprache greift Raabe auf einige Stücke aus dem American Songbook zurück, etwa das von Sinatra interpretierte "Cheek To Cheek", das von Cole Porter geschriebene "Just One Of Those Things" oder auf den Thelonious Monk-Beitrag "Sweet And Lovely".
Das "MTV Unplugged"-Format passt wie ein Kuss auf den Mund zu Raabe und seinem Palastorchester. Die vielseitigen Musiker brillieren auch unverstärkt und tragen so zu einer authentischen Aufführungspraxis bei. Das klanglich feine und spielerisch subtile Format kommt einer Soiree in einem Tanzcafé oder einem Ballsaal der Wilden Zwanziger wohl sehr nahe.
Rezitativ-Künstler Herbert Grönemeyer taucht einmal für "Du Weißt Nichts Von Liebe" auf, in der zweiten Hälfte zudem für eine flotte Version seines "Mambo". Das Spiel mit poppigen Elementen kann als Anbiederung an den Zeitgeist aufgefasst werden, aber auch als behutsame Erweiterung der eigenen musikalischen Sprache. So fügen sich Rapper und Beatboxer Samy Deluxe in der Rosenstolz-Kollabo "Der Perfekte Moment", Namika in "Küssen Kann Man Nicht Alleine" oder die auf symphatische Weise aufgeregte Singer/Songwriterin LEA in "Guten Tag, Liebes Glück" par excellence ins kammermusikalische Geschehen ein.
Der Mann, für den der liebe Gott den maßgeschneiderten Anzug geschaffen hat, sieht selbst neben Lordi gut aus. Der Schöne und der Biestige geben den Tango "Just A Gigolo" zum Besten, eine herrlich dramatische Nummer mit Crescendo-Beginn, Piano in der ersten Strophe und fortan Fahrt voraus bis zum Schluss. "Donna Maria" als mehrstimmiger Chor zu dezenter Percussion und Nylon-Gitarre bildet einen andächtigen Abschluss.
Das Gros der Stücke bewegt sich zwischen zwei und drei Minuten Spieldauer und verstärkt den Revue-Charakter der Aufführung. Es blinkt und blitzt an allen Ecken und Enden. Hier kennt keiner Langeweile, da auch der Wechsel zwischen Flott und Feierlich stimmt.
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