laut.de-Kritik
Powerrock und Schauerballaden.
Review von Ulf KubankeHamburg im frühen 18. Jahrhundert: "I saw blood beneath the pillows." Die Hanse brachte Handel und Wohlstand. Eine Verfassungsreform modernisiert das Verhältnis zwischen Bürgertum und Adel. Doch vor dem Schwarzen Tod stehen sie alle gleich. Er mäht die Nonne wie die Hure nieder, den Fürsten wie den Bettler. Als die Pest Deutschlands Norden zirka 1712 einmal mehr heimsucht, führt sie Ausrottung und Rattennester im fauligen Schlepptau. Als Spätfolge beschert die Seuche uns Jahrhunderte danach nun dieses Konzeptalbum der Gothrocker Mono Inc. "No way back out!"
Originell erscheint das Sujet nicht. Von Metal über Prog bis hin zu Gothic nahmen sich bereits zahllose Bands des Themas an. Sogar der aktuelle Mainstream steckte sich mit Ghosts "Prequelle" kürzlich an. Nun spielen auch die Monos als Pestdoktoren auf.
Mono Inc. liefern Akribie und authentische Emotion. Letztere entstammt ihrer Fähigkeit, der Unbill unserer Gegenwart nicht gleichgültig gegenüber zu stehen. Familie, internationale Patenschaften oder Umweltschutzaktivitäten sowie ein in Folge ausgiebigen Globetrottens weltoffenes Auge bilden die Wurzeln zur Inspiration dieser elf Lieder.
Die Gefühlslage des Heute füllt den historischen Rahmen. Dabei verkörpert jeder einzelne Song eine Sprosse auf der Leiter des Storytellings. Die Geschichten spielen mitunter allegorisch auf verschiedenen Zeitebenen. Sobald der entfesselte Mob im hymnischen "A Vagabond's Life" (mit Eric Fish von Subway To Sally) den Außenseiter grundlos meuchelt, flammt im Hörer reflexartig die Assoziation zu ähnlichen Morden unserer scheinbar zivilisierteren Gegenwart auf. "Rest in peace, vagabond, what have you seen?"
Als zentrales Symbol zieht sich der Rabe durch die Platte, gleichermaßen Wappen der Monos wie Todesbote und steinerner Wächter der Hamburger Michaeliskirche, die während der Epidemie als Lazarett diente. Stirbt mit dem Raben im Finale der letzte Rest menschlicher Anteilnahme, damals in den Massengräbern, heute analog im Mittelmeer? Zu guter letzt prangt der Vogel in Form einer Schnabelmaske auf dem Cover. Diese Vorrichtung sollte die Pestdoktoren vor Ansteckung bewahren. Wie man sich denken kann, fiel der Erfolg eher bescheiden aus.
Diese und weitere Geschichten transportieren Mono Inc. im wesentlichen per rifflastigem Heavy Rock. Jener erscheint meist als treibender Dark Rock, kokettiert, unter anderem im Titelsong, mit Power Metal und setzt auf sinfonisch angehauchte Streicher. Das melodisch rockende Gesamtbild wirkt durchaus stimmig. Manchmal übertreiben sie es ein wenig, etwa wenn die Geigen im "Funeral Song" arg in der Gruft Rondo Venezianos wildern. Auch wünscht man sich im Gitarrensound mitunter mehr Soli, weniger Rhythmusgeschrubbe und flächigen Gothicsound. Ein paar Tupfer Marke Robert Smith/Wayne Hussey hätten das Rezept perfektioniert.
Doch solch kleine Schwächen wetzt die Geheimwaffe aus: die Vocals. Was Katha Mia und Melanie Stahlkopf als tragende Nebenrolle in Songs wie "Long Live Death", "Reign Of Rats", "Flies" oder "When The Raven Dies Tonight" abliefern, erstaunt handwerklich wie atmosphärisch. Mitunter entsteht der plastische Eindruck, beide könnten ohne besonderen Aufwand die gesamte Wall of Sound samt Frontman Martin Engler an die Wand singen. Als Anspieltipp empfehle ich die Nagetier-Ode "Reign Of Rats". "Feed the beast that's hungry!"
Als Clou fügen die Hanseaten auf allen Formaten eine intime Akustikfassung des Albums bei. Heraus kommt traubenschwere Kammermusik für lauschige Nächte bei Kerzenlicht. Mit Cello, Piano, Violine sowie gelegentlich eingestreuter Akustikgitarre entsteht eine Mondscheinvariante, deren Charisma der stadionrockenden Version überlegen bleibt.
Das Mischen von Moder und Verfall mit Romantik und Wärme gerät noch anschaulicher. Es ist wie bei alten Moritaten: Wer nicht auf die Lyrics achtet, schwelgt im wohligen Klangmantel, wer die Zeilen verinnerlicht, erhält prickelnde Schauer als Dreingabe. "I'm losing faith, I'm losing faith here in my darkness."
2 Kommentare mit 4 Antworten
Sorry dem denglisch kann ich nicht viel abgewinnen. Ich mag es einfach nicht, wenn ihr Schulenglisch singender weise einbringen, dann sollen sie besser bei ihr Muttersprache bleiben. So wirkt das wie, ich mach mal einen auf international, eventuell kauft ja einer dann die Scheibe.
Angesichts des Aufwandes, den die für so eine Scheibe betreiben, blick ich das nicht. Das Soundgerüst ist auch da, nur noch auf deutsch umtexten und den teutonischen Habitus weglassen, alles gut. Es ist so einfach.
Englische Schauermär hört sich auf Deutsch, wenn gut gesungen (das kann er), sogar noch edler an. Man muss nur zuhören wollen, was mir bei denglisch nicht gelingt.
da sitzt rein grammatikalisch vielleicht nicht jeder satz perfekt. mag sein. finde ich allerdings im gesamtgefüge weit stimmiger als früher mit den rein deutschen sachen zwischendurch.
bei kraftwerks englischen versionen ist das streng genommen auch nicht besser. sie funktionnieren aber, weil das teil des charmes ist. bei shakira ist es oft auch nicht anders und dort erst recht teil des charmes.
und klar:franzosen, engländer und andere hören eben eher hin, wenn man nicht auf deutsch singt. darauf ambitioniert zu reagieren, halte ich für legitim.
Shakira, sind ihre lateinamerikanischen "Akzentpatzer" angeboren, das klingt wie aus einem Guss und die ganze Person lebt davon. Julio Iglesias, auch so ein Typ. Julio ohne spanischen Akzent, würde aufhören zu exestieren. Akzent ist was anderes als Denglisch, Denglisch ist peinlich oder nicht?
Glaub Schandmaul war hier mal ein Interview zu dem Thema und seitdem die auf Deutsch umgestellt haben, fühlen die sich wohler und haben ihre Nische erobert.
Diese „Nische“ ist eher komplett überlaufen
So überlaufen ist die Nische nun auch nicht. Zu keiner Zeit. Es gab sicherlich mal ein paar Jahre, in denen im Mittelalter-Genre ein paar Trittbrettfahrer versucht haben, etwas vom Hype abzugreifen, aber gelungen ist das allen nicht besonders gut. Im Gothic Rock/Metal haben es eigentlich auch nur Mono Inc., Unzucht und Lords of the Lost zu etwas gebracht.
Spitzenscheibe, gefällt mir richtig gut! zZt. meine lieblingsplatte!