laut.de-Kritik
Tausendmal lieber angepisst als tot.
Review von Dani Fromm"What you are hearing ... is a warning." Niemand wird behaupten können, er sei nicht angemessen vorbereitet worden. Unerhört eindringlich zieht die Stimme von Schauspieler Idris Elba im Verbund mit gruselig perfekter Produktion und rundum stimmiger Atmosphäre vom ersten Ton des Intros an in den Bann dieser Platte.
Ehe "Still Standing" verklungen ist, werden Pharoahe Monch und Mitstreiter ihren Würgegriff nicht mehr lockern, mehr noch: Die Herrschaften hinterlassen ihre Hörerschaft paralysiert im Nachhall ihres Schaffens. Die einzige jetzt noch mögliche Reaktion: nochmal von vorne. Und dann nochmal.
Mit "W.A.R." liefert Pharoahe Monch jedem Süchtling die so rar gewordenen Gründe, mit denen sich Hip Hop-Abhängigkeit eloquentestens rechtfertigen lässt, im Dutzend an die Hand. Beobachtungsgabe, scharfsinnig gezogene Schlüsse, dezidierte politische Ansichten, Storytelling, üppiges Vokabular, schiere Wortgewalt, Flow, Rhyme- und Rap-Skills, Gesang, derbe Bässe, Sampling, Cuts und Scratches, Oldschool, Moderne und futuristische Ausblicke - es ist einfach alles drin. Ich weiß überhaupt nicht, wo ich anfangen soll.
Vielleicht vorne? "The Warning" greift sich mit flirrender Elektronik über dumpfem Grollen die ungeteilte Aufmerksamkeit, nur, um sie im nächsten Moment ebenso übergangs- wie grußlos wieder auszurotzen. Und zwar mitten im blutigen Schlachtfeld-Getümmel des Eröffnungstracks: "Calculated Amalgamation" marschiert im Breitwand-Format mit Fanfaren, Drums und Streicher-Bombast auf. Die Spielereien mit dem Rhythmus finden ihre Entsprechung in Monchs Zeilen: Wenn der Track in filigranen Piano-Noten ausklimpert, hat man schweißgebadet gerade mal den ersten Höllenritt hinter sich. Es kommt noch viel derber.
Durchtriebenes Spiel mit Kontrasten, wohin das Auge reicht: Zarte, fast verhuschte Geräusche treffen in "Evolve" auf tödliche Wucht, über gesprochenen Meldungen schweben sphärischer Gesang und ein Saxophon. Dazwischen: Pharoahe Monchs Reime, allzeit passgenau auf den Punkt.
Ehrerbietige Huldigung der Ursprünge in Gospel, Spirituals, Soul und Jazz muss sich keineswegs mit astreinen Hip Hop-Produktionen beißen, für die das Prädikat up to date schon wieder zu gestrig erscheint. Im Gegenteil: Ersteres bietet fruchtbaren Nährboden, auf dem knackigste Beats gedeihen.
Neben gnadenloser Überflutung der Sinne haben die Herren Produzenten, darunter Exile, Diamond D und immer wieder M-Phazes, kunstvoll aufbereitete Schlichtheit gesetzt. Klingelnde Percussion trifft auf kratzigen Bass und rauen Soul-Gesang ("Shine"), perlende Harfen auf Funk-Gitarren. "Call me the hitman!" Ja, wie denn sonst? "Haile Selassie Karate" weckt verschüttet geglaubte Erinnerungen an Blowfly. "I just wanna spread the light and help us free our minds." "The Grand Illusion (Circa 1973)" entführt frech in King Crimsons "Court Of The Crimson King".
Überhaupt sollte sich getrost der eine oder andere Freund drastischer Gitarren an "W.A.R." wagen: Mit Living Colours Vernon Reid an der Stromklampfe wächst sich der Titeltrack zu einer Chimäre aus Rap, Rock und Jazz aus, die man in der Theorie für gar nicht erst lebensfähig gehalten hätte. Die Handkantenschläge, die dieses Monster auf die Trommelfelle regnen lässt, beweisen jedoch: Arrangement ist alles.
Ein filmreifes Szenario, wie es Pharoahe Monch in "Assassins" zusammen mit Royce Da 5'9" und Jean Grae entwirft, die ihr Talent beim Teufel persönlich erschachert haben müssen, habe ich in dieser Qualität und haarsträubenden Düsternis zuletzt bei El-Ps "Habeas Corpses" gehört. Fantasy-Autor Wolfgang Hohlbein (der sich hier mühelos die eine oder andere Scheibe Ideenreichtum absäbeln könnte) tat kürzlich im Interview mit Kollege Edele seine Überzeugung kund, Wagner würde heute Metal komponieren. Mag sein. Friedrich Schiller allerdings, der würde rappen - wenn er sich nicht flennend im Schatten eines Pharoahe Monch verkriechen müsste.
"Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!", verlangte Schiller einst in "Don Carlos". Pharoahe Monch liefert eine topaktuelle Interpretation dieser freiheitskämpferischen Grundforderung und bleibt dabei ganz bescheiden: "I tell you what I see through the black man's eye." Er grüßt aus dem Soul-Train - aber nicht ohne den geifernden Massenmedien noch schnell den Mittelfinger zu zeigen. "100 percent uncut raw" - und dabei noch immer tausendmal lieber angepisst als tot. Zu unser aller Glück.
15 Kommentare
tatata! das wird jetzt für mich wahrscheinlich das erste gekaufte hiphop-album (der begriff ist hier wohl zu einengend), welches ich mir seit fischmob anno'95 holen werde.
schade, dass es keine instrumentale variante gibt. der hat ja fast so viel drauf, wie sein namensvetter mr sanders
mach das. du holst dir die platte des jahres.
und überhasupt: wenn du mal nen 5er vergibst, dann ....
erguss!
gute platte, hatte nach der review hier aber noch mehr erwartet.
Zimlich genial neben Circus Maximus das bestes Hip Hop album des Jahres bisher! CLAP!!! 5/5