laut.de-Kritik
Ein Musikvideo in Spielfilmlänge.
Review von Sven KabelitzDer Musiker ist tot und der Rubel muss rollen. Während sich das Label Warner bei den posthumen Prince-Veröffentlichungen noch Mühe gab und mit den respektvoll aus dem Archiv zusammengestellten "Piano & A Microphone 1983" und "Originals" der Geschichte des Künstlers neue Perspektiven hinzufügte, wollen auch andere etwas vom Kuchen abhaben. Deshalb durften sich Fans des Meisters gleich über zwei Veröffentlichungen am selben Tag freuen: über den erstmals auf CD und Vinyl erscheinenden Promo-Sampler "The Versace Experience (Prelude 2 Gold)" und die vorliegende Limited Deluxe Edition des Konzertfilms "Sign O' The Times".
Mit dem gleichnamigem Album von 1987, auf dem der Purple One R&B, Funk, Soul, Jazz, Rock und Pop verschmolz, erschuf er einen Meilenstein der Musikgeschichte (wobei ich selbst "Around The World In A Day" vorziehe). Zudem stellt das Album einen Wendepunkt in der Beziehung zu Warner dar. Von Prince als Dreifachalbum "Crystal Ball" geplant, musste er es nach Streitereien mit der Plattenfirma auf ein Doppelalbum kürzen. Ein erster Bruch, der letztendlich in TAFKAP und mit Slave bemalten Wangen gipfelte.
Dementsprechend zeigt der bei seiner Erscheinung gefeierte Film Prince auf einem der Höhepunkte seines Schaffens. Statt der Begleitband The Revolution steht an seiner Seite ein Bündel begnadeter Musiker*innen, allesamt zum Zungeschnalzen gut. Ihr Herzstück bildet die beeindruckende Schlagzeugerin Sheila E., deren Kit passenderweise in der Mitte der Bühne, gleich hinter dem Meister platziert wurde. Dr. Fink (Keyboards), Levi Seacer Jr. (Bass) Miko Weaver (Gitarre), Eric Leeds (Saxophon), Matt Blistan (Trompete) und Boni Boyer (Keyboard), alle bekommen in Charlie Parkers "Now's The Time", das in einem umwerfenden Solo der Drummerin gipfelt, die Möglichkeit, ihr Können unter Beweis zu stellen. Alle nutzen ihren Moment imposant.
Eine kleine Geschichte hält die einzelnen Songs zusammen, unterstützt den Theathervibe der Show. Damit ähnelt sie im Grundgedanken David Bowies zeitgleich laufender "Glass Spider"-Tour, allerdings mit dem Unterschied, dass Prince darüber nicht den Bezug zu seinen Konzertbesuchern verlor. Die Tänzerin und Backgroundsängerin Cat Glover, die darüber hinaus für die komplette Choreografie der Show zuständig war, streitet sich mit ihrem Freund, Mr. Biebermütze. Prince wittert seine Chance, und nach einigem Hin und Her landen sie zusammen im Herzbettchen. Ganz im Sinne von "Temptation" ("Around The World I A Day") erkennt er aber schnell: "Love is more important than sex / Now I understand." Also zückt er schnell den Hochzeitsring.
Wer glaubt, hier einem Auftritt der damaligen Tournee zu folgen, liegt nur zu zwanzig Prozent richtig. Zwar filmte ein Team mehrere Konzerte in Rotterdam und Belgien mit, doch die Aufnahmen enttäuschten vom Sound und Bild her. So entschied sich der Meister, die eindrucksvolle Bühne nochmals im gerade fertiggestellten Paisley Park-Studio aufzubauen und an mehreren Drehtagen die Show nochmals nachzustellen. Dies ist während "Sign O' The Times", besonders während des Gitarrensolos in "I Could Never Take The Place Of Your Man", gut zu erkennen. Körnige, unscharfe Aufnahmen von weitem: Liveaufnahme. Schicke Nahaufname: Paisley Park. Dazu kamen Studioaufnahmen der Musiker*innen: ein einziges Overdub-Festival.
Die in Reih und Glied stehenden "Fans", alle jung und hübsch anzusehen, bilden kein homogenes Publikum nach, sehen nach einigen Drehtagen zeitweise auch schrecklich gelangweilt aus. Der schlechte, bleiernde Sound und Prince' oft viel zu leise Stimme verhindern, dass Live-Atmosphäre entsteht. Viel mehr hat man das Gefühl, einem eineinhalbstündigen Musikvideo zu folgen. "Als der Film fertig bearbeitet veröffentlicht wurde, bestand der Großteil der Filmaufnahmen, ungefähr 80 Prozent, aus denjenigen, die wir im Paisley Park drehten, weniger aus Filmmaterial von den eigentlichen Konzerten selbst", erinnerte sich Eric Leeds später.
Das hindert "Sign O' The Times" nicht daran, letztendlich doch noch zu explodieren und in "It's Gonna Be A Beautiful Night" zu einer ekstatischen Party zu eskalieren. Während Prince hinter das Schlagzeug wechselt, übernehmen Sheila und Cat die Bühne. Allein dieser Song ist den Film bereits wert.
Zu oft scheitert das Projekt aber an unerklärlichen Entscheidungen. Weitestgehend wird auf die während der Tournee gespielten alten Stücke verzichtet und der Fokus auf das aktuelle Album gelegt. Also kein "Purple Rain", kein "Kiss", kein "When Doves Cry". Kann man verstehen, ergibt in künstlerischer Sicht sogar Sinn. Inkonsequenterweise findet dann aber wiederum "Little Red Covette" seinen Platz in der Playlist.
Die ärgerlichste Entscheidung stellt aber die Idee dar, den Film mit dem "U Got The Look"-Video, in dem Sheena Easton mitspielt, zu unterbrechen. Das nimmt dem Ganzen endgültig die Atmosphäre, zerstört die Dynamik und unterbricht die eh schon eher einfach gestrickte Geschichte. Und wenn man schon den Film an sich remastert, warum dann nicht das darin befindliche Video? Das sieht aus, als habe man es frisch von der VHS kopiert. Wäre da wirklich nicht mehr gegangen?
Die zahlreichen Anekdoten im Special "Prince – The Peach & Black Times" machen selbiges zum eigentlichen Highlight der Box. Besonders heben sich dabei der Sympathieträger Levi Seacer Jr., der Produzent und Lightning Designer Leroy Bennett und Cat Glover hervor. Wer nach dem eineinhalbstündigen Film noch nicht genug hat, kann sich von all den teilnehmenden Wegbegleiter*innen auf der zweiten DVD/BluRay noch weitere zwanzigminütige Interviews anschauen.
Zum Ärgernis macht diese Limited Deluxe Edition jedoch nicht der Film, der trotz seiner klaren Schwächen unterhält und zumindest teilweise die Energie der Konzerte wiedergibt, sondern die Veröffentlichungspolitik. Die Box selbst erscheint im Vinyl-Format inklusive zwei DVDs und zwei Blu-rays. Beide mit dem exakt gleichen Inhalt: Film, Doku, Interviews, Trailer. Mehr nicht. Wenn man zwei neue Blu-rays mit etwa gleichem Umfang kauft, ist man normalerweise mit 17 Euro dabei. Dazu kommen ein großes, schön gestaltetes Booklet, ein paar Fotos und ein Poster. Das war's. Dafür ruft die "Prince Sign 'O' The Times"-Box Preise von 60 Euro aufwärts ab. Purer Nepp.
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